Graffiti in Tübingen

Der nächste Schritt im Kampf gegen Sprayer

Boris Palmer kündigt an: Die Stadt soll die Beseitigungskosten an Privathäusern bald komplett tragen. Interesse weckt auch das Pforzheimer Modell.

03.04.2019

Von Moritz Hagemann

Sprüht einer, sprühen viele: Wie Hunde markieren Sprayer oft ihr Revier, das will OB Palmer jetzt eindämpfen. Auf diesem Bild wurde eine Wand in der Collegiumsgasse verschandelt. Archivbild: Ulrich Metz

Sprüht einer, sprühen viele: Wie Hunde markieren Sprayer oft ihr Revier, das will OB Palmer jetzt eindämpfen. Auf diesem Bild wurde eine Wand in der Collegiumsgasse verschandelt. Archivbild: Ulrich Metz

Tübingen und „der Graffiti-Wahnsinn“, wie die Zeitung mit den vier Buchstaben unlängst schrieb – ein Thema, das immer wieder aufkommt. Vor allem, weil Oberbürgermeister Boris Palmer keine Kosten scheut, die Sprayer einzubremsen. Der neueste Plan: Graffiti-Entfernungen an Privathäusern sollen zu 100 Prozent von der Stadt gefördert werden, „zumindest solange das Geld da ist“, sagt Palmer dem TAGBLATT. Etwa 60 000 Euro sollen zunächst im Topf sein. Der OB hatte schon mehrmals betont, dass er das sofortige Entfernen für die beste Bekämpfung hält – er stützt das auch auf Meinungen aus anderen Städten.

Bislang wurden bis zu 50 Prozent der Kosten von der Stadt übernommen. Die Höchstförderungen gingen an Gebäude in der Altstadt sowie im südlichen Stadtzentrum. Die Förderhöhe beträgt bislang maximal 3000 Euro pro Maßnahme, die wiederum nicht in Eigenleistung, sondern von Fachfirmen erledigt werden muss. Wie die neuen Modalitäten im Detail aussehen, wird Palmer bald dem Gemeinderat präsentieren, der seiner geplanten Förderungserhöhung zustimmen muss.

Palmer erhofft sich „eine Art Windhundrennen“. Es sollen sich in einer befristeten Zeit so viele melden, bis das Geld aufgebraucht ist und die Sprayer die Lust verlieren, weil sie keine Präsenz mehr bekommen. Den Zuschuss können bislang Eigentümer, Erbbauberechtigte und Mieter beantragen, deren Gebäude zum Erhalt des Stadtbildes beitragen. Teilweise sind Graffitischäden auch über eine Wohngebäudeversicherung abgedeckt, auch in diesen Fällen müssen Fotos gemacht und die Polizei hinzugezogen werden.

Alleine die Tübinger Steinlachunterführung wurde in diesem Jahr bereits drei Mal gereinigt, die größte Maßnahme im Januar kostete rund 15 000 Euro. Immer wieder wurde die Unterführung direkt im Anschluss wieder besprüht, rivalisierende Banden kämpfen um ihr Revier und setzen Duftmarken. An anderen Hotspots in der Stadt sieht das nicht anders aus. „Wir werden jetzt mal ein oder zwei Gruppen zur Rechenschaft ziehen müssen, anders bekommen wir das Problem nicht in den Griff“, sagt Palmer, dessen Mittel jedoch begrenzt sind: Eine Video-Überwachung wäre rechtlich nicht durchzubringen, schließlich ist die Sicherheit nicht bedroht; eine Dauerstreife behebt das Problem nur stellen- und zeitweise.

Ein Lösungsansatz zeigt sich in Pforzheim: Rund 15 000 Euro werden dort jährlich für die Materialbeschaffung und die Unterhaltung des „Anti-Graffiti-Mobils“ (AGM) benötigt. Damit werden Graffiti möglichst schnell und kostenfrei entfernt. Und zwar von Tätern: Zwischen 7 und 21 Jahren sind die Beteiligten in der Regel alt, sie bekommen die Entfernung der Graffiti über gemeinnützige Arbeitsstunden vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft auferlegt. Unterstützt werden sie von Malern oder Lackierern, die sich über die Innung ehrenamtlich engagieren – und dafür einen Image-Gewinn sowie kostenlose Werbung in den Medien bekommen.

Mit Erfolg: „Aus unserer Sicht ist die präventive Wirkung hoch“, erklärt Kriminalhauptkommissar Martin Duske vom Pforzheimer Haus des Jugendrechts, das dem Karlsruher Polizeipräsidium angehört. So werde den Sprayern „der Ruhm genommen, den sie durch ihre Sprühereien bezwecken möchten“. Das geht in jene Richtung, die Palmer nun auch in Tübingen anstrebt. Außerdem werden die Täter in Pforzheim oft direkt mit den Opfern konfrontiert, deren Häuser sie besprayten. Rückfällig werde fast keiner.

Die Aufklärungsquote habe sich seit der Anschaffung 2003 stark verbessert, so Duske, auch wenn exakte Zahlen nicht erfasst werden. Er sagt aber: „Insbesondere in Jahren, in denen größere Tatserien aufgeklärt werden können, werden Aufklärungsquoten von bis zu 60 Prozent erreicht.“ Zum Vergleich: In ganz Baden-Württemberg lag die Aufklärungsquote zuletzt bei etwa 18 Prozent.

Untergebracht ist das AGM beim Bürgerverein Nordstadt, beteiligt sind zudem der Bezirksverein für soziale Rechtspflege und der Verein „Pforzheim mitgestalten“. Finanziert wird das mit Reinigungsmitteln gefüllte Fahrzeug über verhängte Geldauflagen und Spenden. „Wir können das Pforzheimer Modell der Stadt Tübingen nur empfehlen!“, sagt Duske. Das AGM könne auf alle Kommunen zugeschnitten werden und es gibt einige Städte, die das Pforzheimer Konzept in ähnlicher Weise umgesetzt haben. Bundesweit sorgt es für positive Schlagzeilen, in Pforzheim gab’s für die Einrichtung die Bürgermedaille der Stadt.

Palmer bestätigt, dass ihn die Pforzheimer Initiatoren eingeladen haben, ihr Projekt anzuschauen. Wäre das was für Tübingen? „Denkbar ist es“, sagt Palmer, „aber ich habe mich noch nicht detailliert damit befasst.“ Es bräuchte auch den Willen der Polizei, der hiesigen Maler- und Lackierinnung und unterstützender Vereine. Es wären viele Gespräche zu führen, aber der Pforzheimer Erfolg ist ein Reiz. Duske: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Palmer hatte in Sachen Graffiti vor Wochen bereits für Schlagzeilen gesorgt, als er 2500 Euro für entscheidende Hinweise auf die Täter auslobte. Etwa „ein halbes Dutzend“ an Information sei eingegangen, sagte Palmer: „Die Hinweisgeber kennen die Mitglieder der Gruppen.“ Die Namen seien ermittelbar, „aber dann hätte man eben noch nichts bewiesen“, so der Oberbürgermeister, der die versprochene Summe dann auszahlen möchte, „wenn die Hinweise gerichtsfest sind“. Das ist der Grund, warum bislang noch kein Geld an einen Informanten geflossen ist.

Zum Artikel

Erstellt:
03.04.2019, 01:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 03.04.2019, 01:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!