Tübingen · Kinder-Uni

Der kälteste aller Arbeitsplätze

Juniorprofessorin Ilka Weikusat reiste mit sehr warmen Gepäck von Bremerhaven zur Tübinger Kinder-Vorlesung.

27.06.2019

Von Ulla Steuernagel

Jonathan (links) und Patrick führen vor, welche Riesenausrüstung Ilka Weikusat mit nach Grönland nimmt.Bild: Ulla Steuernagel

Jonathan (links) und Patrick führen vor, welche Riesenausrüstung Ilka Weikusat mit nach Grönland nimmt.Bild: Ulla Steuernagel

Warum kann Eis Geschichten erzählen? So hieß die Frage, mit der sich Juniorprofessorin Ilka Weikusat in ihrer Kinder-Uni-Vorlesung beschäftigte. Und wenn jemand schon Eisgeschichten „gelesen“ hat und davon erzählen kann, dann Weikusat. Die Glaziologin (Eiswissenschaftlerin) hält nämlich nicht nur Vorlesungen an der Tübinger Universität, sie forscht auch regelmäßig am Nordpol.

Dafür muss man sich sehr warm anziehen. Um zu zeigen, wie warm, hatte die Forscherin die wichtigsten Stücke aus ihrem Grönland-Kleiderschrank mitgebracht. Das heißt, sie hatte sie am brüllheißen Dienstag, dem Tag der Vorlesung, mit dem Zug von Bremerhaven, dem Forschungsinstitut, an dem sie arbeitet, in einen Seesack nach Tübingen transportiert.

Eis ist nicht gleich Eis

Sie selber mag Hitze nicht so gerne. Wenn sie in zwei Wochen wieder in Grönland ist, der größten Insel der Erde, dann wird die wärmste Temperatur wohl so bei minus 5 Grad liegen. Was für Grönland selbst um diese Jahreszeit warm ist und wohl auch mit der Erderwärmung zu tun hat, hätte für die etwa 120 Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal einen Temperatursprung von mindestens 40 Grad bedeutet.

Warum es an den Polen kälter ist als sonstwo auf der Erde, erklärte Weikusat damit, dass dort weniger Sonnenstrahlen ankommen. Das verstanden die Kinder sofort, die auch wichtige Polbewohner, wie Eisbär (Nordpol) und Pinguin (Südpol), benennen konnten. Auch dass an der Arktis und der Antarktis ewiges Eis liegt, wussten die Kinder. Aber wie kann Eis, stumm und dumm wie es daliegt, Geschichten erzählen?

Weikusat erklärt, dass Eis nicht gleich Eis ist. Das weiß man zwar schon vom Speiseeis, schließlich schmeckt Stracciatella nicht wie Zitrone, aber auch das Eis, das aus Wasser oder Schnee gebildet wird, zeigt große Unterschiede.

„Das Eis“, so zeigte die Forscherin den Kinder, „ist ähnlich wie ein Schichtpudding aufgebaut.“ Zwar sind immer Schneekristalle die einzelnen Bauteile. Sie haben auch immer sechs Ärmchen, aber sie können ganz unterschiedlich aussehen. Und wenn eine frisch gefallene Schneeschicht auf einer älteren liegenbleibt, dann wird die untere Schicht verdichtet. „Die Luft wird aus der Schneeschicht herausgedrückt, ein Teil der Luftbläschen wird aber auch im Schnee eingeschlossen.“ Je tiefer die Schneeschichten, desto fester sind sie auch. Woher weiß man, wie das Eis, zum Beispiel zwei Kilometer unter der Oberfläche aussieht? Man arbeitet sich mit einem starken spiralförmigen Bohrer hinein, der nicht nur einen Kanal ins Eis, sondern auch einen „Bohrkern“ herauszieht.

Im beheizten Zelt

Weikusat wird vier Wochen im ewigen Eis und wie die anderen Forscher in einem beheizten Zelt wohnen. Wer spazieren geht oder mit einem Motorschlitten (einem Skidoo) herumfährt, der muss sich mit derart warmen Sachen einmummeln, wie sie die Glaziologin im Hörsaal ausgelegt hatte. Die Camps haben auch ein Zentrum, ein kugeliges Haupthaus, das die Kinder auf Bildern zu sehen bekamen. Der Arbeitsplatz der Forscher liegt jedoch tief unter der Schneeoberfläche. In einer Höhle wird die freigeschnittene Eisstange in viele Stücke zerlegt. Das muss im Eis gemacht werden, weil dort die eisigen Temperaturen herrschen. „Wir arbeiten da bei minus 15 Grad.“ Manchmal werden Teile des Eiskerns auch verpackt und verschickt, aber manches wird auch gleich vor Ort untersucht.

Wenn man so eine lange Eisstange vor sich hat, kann man die verschiedenen Schichten des Eises manchmal schon mit dem bloßen Auge sehen, manchmal aber nur mit Mikroskopie und einer Lichteinstrahlung, die die Staubteilchen im Eis sichtbar macht.

Das älteste Eis, das bisher untersucht wurde, ist 800 000 Jahre alt. Aber auch wenn ein Zeitraum von „nur“ 100 000 Jahren untersucht wird, ist das schon sehr aufschlussreich. Zum Beispiel ist Staub in ganz unterschiedlichen Mengen im Eis zu finden. So kann das Eis etwa verraten, dass es irgendwo auf der Erde einen gewaltigen Vulkanausbruch und dass es größere Stürme gegeben hat.

Aber auch über die Temperaturen und frühere Eis- und Warmzeiten gibt das Eis Auskunft, je nachdem wie viele Wasserteilchen ins Eis eingeschlossen sind. Derzeit befinden wir uns, was gerade niemanden wundert, in einer Warmzeit. Je wärmer es wird, desto schneller schmilzt das Eis an den Polkappen. Wenn alles Eis schmelzen würde, bedeutete das, dass der Meeresspiegel um sieben Meter steigen würde. Doch der Klimawandel wäre noch ein Extrathema.

Nächsten Dienstag

Ein Neuropsychologe wird nächsten Dienstag, 2. Juli, in der Kinder-Uni sprechen. Prof. Korbinian Möller wird um 17 Uhr im Hörsaal 25 des Kupferbaus die Frage beantworten: „Warum nehmen wir beim Rechnen die Finger zu Hilfe?“

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Erstellt:
27.06.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 27.06.2019, 01:00 Uhr

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