Frankreich

Der französische Trump: Wie ein rechtsextremer Journalist den Wahlkampf aufmischt

Für seine rechtsextremen Aussagen wird der Bestsellerautor Eric Zemmour gleichermaßen gehasst und bejubelt. Der Populistin Marine Le Pen könnte er bei den Präsidentschaftswahlen Konkurrenz machen. Erklären kann sich den Hype niemand.

27.11.2021

Von Peter Heusch

Hängt offen Verschwörungstheorien an und trifft in gewissen Kreisen offenbar einen Nerv: Eric Zemmour. Foto: Tolga Akmen/afp

Hängt offen Verschwörungstheorien an und trifft in gewissen Kreisen offenbar einen Nerv: Eric Zemmour. Foto: Tolga Akmen/afp

Paris. Die 1300 Plätze des Kongresszentrums von Bordeaux reichen nicht aus für die Masse des herbeiströmenden Publikums. Mehrere Hundert Menschen, die Eric Zemmour sehen und hören wollen, bekommen keine Karten mehr. Weitere 150 Menschen, die gegen die Anwesenheit des Stars des Abends demonstrieren und „Faschisten raus“ skandieren, werden von der Polizei auf sicherem Abstand gehalten. Derweil klagt ein älterer Herr, dass er sich früher hätte anstellen müssen, „um unseren nächsten Präsidenten zu erleben“. Die Frage, ob er selber denn Zemmour seine Stimme geben würde, beantwortet der Rentner im Brustton der Überzeugung: „Aber natürlich, er ist der Einzige, der Frankreich noch retten kann!“

Als der 63-jährige Journalist und Bestsellerautor wenig später die Bühne des Kongresszentrums betritt, ist die Begeisterung der immer wieder stehend applaudierenden Zuhörer nicht so einfach nachzuvollziehen. Zemmour mag sich mit seinem geschliffen Schreibstil einen Namen gemacht haben, als Redner ist er bestenfalls zweitklassig. Es kommt hinzu, dass der schmächtige Mann mit seinem schütteren Haar, seinen abstehenden Ohren und seiner Hakennase eher ein Weg- als ein Hingucker ist. Aber das Publikum hängt gebannt an seinen Lippen, als er wortreich ausführt, dass es längst nicht mehr darum gehe, ob und wie Frankreich reformiert werden könne. „Wir müssen unser Land vor dem Niedergang retten“, ruft Zemmour in den Saal und dass es sich um nichts weniger handle als um „eine Frage von Leben und Tod“.

Mehrfach wegen Hetze verurteilt

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Eric Zemmour Anfang Dezember seine Kandidatur für die französischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr bekanntgeben. Aber obwohl der potenzielle Herausforderer von Amtsinhaber Emmanuel Macron diesen Schritt noch nicht vollzogen hat, liegt er in den jüngsten Umfragen bei 15 bis 17 Prozent und damit derzeit in etwa gleichauf mit der Populistin Marine Le Pen, der Chefin des rechtsextremen Rassemblement National – sprich auf dem zweiten oder dritten Platz hinter Macron. Als NPO (Nichtidentifiziertes Politisches Objekt) bezeichnen Meinungsforscher und Medien Zemmour mittlerweile, da sich niemand den Hype um diesen Mann so recht erklären kann.

In Frankreich wird Zemmour gerne als „polémiste“, als Polemiker bezeichnet. Tatsächlich schreckt der kleine Mann mit der scharfen Zunge, der in Artikeln und im Fernsehen unermüdlich vor dem angeblich von Immigranten und Muslimen herbeigesteuerten Untergang Frankreichs warnt, vor keinem Streit zurück. Der mehrfach wegen rassistischer Hetze verurteilte Bewunderer von Honoré de Balzac und Victor Hugo könnte durchaus als eine belesene Reinkarnation von Donald Trump beschrieben werden. Jedenfalls trifft er einen Nerv. Seine Bücher sind ausnahmslos Bestseller, das Opus „Der französische Selbstmord“ etwa verkaufte sich eine halbe Million Mal. Und als Zemmour vor zwei Jahren als Moderator eine Sendung des rechten TV-Kanals „CNews“ übernahm, verzehnfachte sich deren Zuschauerquote.

Seine jeden Abend von 900 000 Menschen verfolgten Fernsehauftritte musste er im September allerdings aufgeben, weil der französische Medienrat sie als Sprechzeit einer Wahlkampagne zu zählen begann. Stattdessen tourt Zemmour nun durch das ganze Land, um sein neues Buch „Frankreich hat noch etwas zu sagen“ vorzustellen. Viele Leser sehen das Werk als ein politisches Programm an oder auch als eine Bewerbung für das höchste Amt im Staat. Vor allem aber beschreibt Zemmour auf 350 Seiten, was und wer nach seiner Meinung Frankreich in den Abgrund steuert: Immigranten, kriminelle Ausländer, eine liberale Elite, Globalisierer, Feministen, die EU sowie ein Deutschland, welches den amerikanischen „Gauleiter“ in Europa spiele.

Zemmour gilt als einer der bekanntesten, umstrittensten und meistgehassten Journalisten des Landes. Das hat nicht nur, aber sehr viel damit zu tun, dass er völlig offen die Verschwörungstheorie des „großen Austauschs“ vertritt. Gemeint ist jener Bevölkerungsaustausch, den der rechtsextreme französische Philosoph Renaud Camus beschrieben hat. Folgt man dessen Denken, dann sind sowohl Europa als auch Nordamerika wegen der Massenimmigration von einem „beispiellosen Kultur- und Identitätsverlust“ bedroht. Eine Entwicklung, die in Camus’ Augen der Globalisierung geschuldet ist und von den „politischen Eliten“ gezielt begünstigt wird. Es ginge darum, einen neuen, nationaler, ethischer und kultureller Eigenheiten entkleideten Menschentyp zu schaffen, der „austauschbar“ und „delokalisierbar“ sei – zum Wohle der Interessen des Großkapitals.

Folgerichtig wird Zemmour nicht müde, gegen die „Ausländer-Invasion“ zu wettern. Und – vor allem – gegen die Moslems und den Islam, den er als unvereinbar mit Frankreich bezeichnet. Tatsächlich stellt Zemmour die Muslime vor die Wahl, ob sie Franzosen sein wollen oder Moslems. Damit geht er sogar weiter als der für seine verbalen Ausfälle berüchtigte und zigfach verurteilte Jean-Marie Le Pen, der Gründer des Front National. Von einem öffentlichen Fernsehsender ist Zemmour in der Vergangenheit sogar gefeuert worden, weil er vor laufenden Kameras bedauert hatte, dass man die fünf Millionen Muslime Frankreichs nicht einfach deportieren könne.

Wo sich Zemmour politisch selbst verortet, unterstrich er neulich, als er verächtlich erklärte, zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen gebe es kaum mehr Unterschiede, seitdem letztere ihren Diskurs gemäßigt habe und sich „salonfähig“ aufzuführen versuche. Keine Frage: Zemmour macht der Rechtsextremistin nicht nur Konkurrenz, sondern auch größte Sorgen. Seit die Präsidentschaftskandidatur des Polemikers im Raum steht, ist Le Pen in den Umfragen von 26 auf 16 Prozent abgestürzt. Aber auch die konservativen Republikaner, die ihren Präsidentschaftsbewerber erst Anfang Dezember küren wollen, werden zunehmend nervös, da ihre aussichtsreichsten Repräsentanten in den Umfragen ausnahmslos hinter Zemmour rangieren.

Unklar ist, wie der parteilose Zemmour einen Wahlkampf organisieren oder finanzieren will, wenn er wie erwartet seinen Hut tatsächlich in den Ring wirft. Aber es ist bekannt, dass er über einflussreiche und begüterte Gönner verfügt, die hinter dem Verein „Les amis de Zemmour“ (Die Freunde Zemmours) stehen, welcher seit Monaten für Spenden für den potenziellen Kandidaten wirbt und seine Vorlesungen in den größten Städten Frankreichs in Szene setzt. Wobei Zemmour diese Auftritte gekonnt nutzt, um die gesamte politische Szene gründlich aufzumischen und mit radikalen Äußerungen beinahe täglich für Wirbel zu sorgen.

Ausländische Vornamen verbieten

Beispielsweise mit dem Vorschlag, ausländische Vornamen gesetzlich verbieten zu lassen, weil es „mich stört, dass manche Kinder von ihren Eltern auch noch nach drei Generationen in Frankreich Mohammed genannt werden“. Beinahe unnötig zu erwähnen, dass der dreifache Vater seinen eigenen Kindern mit Thibaud, Clarisse und Hugo urfranzösische Vornamen gab.

Ein Einwandererkind ist der in bescheidenen Verhältnissen in einem Pariser Vorort aufgewachsene Zemmour genaugenommen ebenfalls. Seine jüdischen Eltern waren „Pieds noirs“, Algerienfranzosen also, die während des Unabhängigkeitskrieges aus ihrer Heimat nach Frankreich flüchten mussten. Das hinderte Zemmour jedoch nicht daran, die Elite-Universität „Sciences Po“ zu absolvieren. Allein an der Aufnahmeprüfung für die nationale Kaderschmiede ENA scheiterte er.

Ob sich da Minderwertigkeitskomplexe einstellten, die sich laut einiger spitzer Zungen in Größenwahn verwandelten? Wenn ja, muss Zemmour diese Tage, wo er im Vorwahlkampf die allererste Geige spielt, in vollen Zügen genießen.

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Erstellt:
27.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 31sec
zuletzt aktualisiert: 27.11.2021, 06:00 Uhr

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