Pandemie

Der digitale Impfpass kommt

Ein elektronisches Zertifikat auf?dem Smartphone soll das Reisen in?Europa erleichtern. In Deutschland drohen?allerdings Verzögerungen. Kritiker?warnen vor?einer Spaltung der Gesellschaft.

29.05.2021

Von Igor Steinle

Digitaler Impfausweis: Ein solcher QR-Code könnte demnächst an Landesgrenzen und in Restaurants entscheiden, wer rein darf und wer nicht. Foto: Matthias Balk/dpa

Digitaler Impfausweis: Ein solcher QR-Code könnte demnächst an Landesgrenzen und in Restaurants entscheiden, wer rein darf und wer nicht. Foto: Matthias Balk/dpa

Brauchen wir das wirklich?. Immer mehr Menschen sind geimpft, die Infektionszahlen sinken – viele freuen sich nun auf einen unbeschwerten Sommerurlaub. Kann ein digitaler Impfpass dazu beitragen? Ein Überblick.

Wozu ein digitaler Impfpass? Vorweg: Das bekannte gelbe Impfbüchlein der Weltgesundheitsorganisation erfüllt nach wie vor alle Anforderungen und bleibt international gültig. Es aber immer mit sich herumzutragen, womöglich noch gemeinsam mit Bescheinigungen über negative Tests oder eine überstandene Corona-Infektion, ist nicht sonderlich praktisch. Die EU hat deswegen beschlossen, dass ein digitaler Impfpass das Reisen in Europa, etwa bei Grenzübertritten oder beim Besuch von Restaurants, erleichtern soll. Das digitale Dokument soll neben Angaben zu Impfungen auch Informationen über Tests oder überstandene Infektionen enthalten. Name, Geburtsdatum, Impfdatum und Aussteller des dafür benötigten Zertifikats können ebenfalls ausgelesen werden.

Wo bekommt man das Zertifikat? In der Regel sollen Ärzte oder Impfzentren gleich nach der Impfung als Zertifikat einen QR-Code, also eine Art Barcode, zur Verfügung stellen. All jene, die schon geimpft sind, können sich den Code laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch nachträglich in Arztpraxen, Impfzentren und Apotheken abholen. „Grundsätzlich soll die nachträgliche Ausstellung dort erfolgen, wo man geimpft worden ist“, heißt es beim Ministerium. Wenn in den Impfzentren entsprechende Kontaktdaten vorliegen, sollen die QR-Codes möglichst automatisch per Post zugesandt werden. Wenig begeistert reagierten allerdings bereits die Hausärzte. Sie seien Ärzte und nicht das Passamt, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt. Der zusätzliche Aufwand sei gerade in der jetzigen Situation nicht zumutbar. Spahn glaubt allerdings, dass das nicht alle Ärzte so sehen, zumal sie genauso wie Apotheken für den Mehraufwand vergütet würden.

Wo wird der Impfpass gespeichert? Den QR-Code, den man vom Arzt oder Apotheker erhält, kann man entweder in Papierform mit sich rumtragen, oder von einer Smartphone-App scannen lassen. Die EU hat die Nationalstaaten verpflichtet, bis zum 1. Juli eine solche App bereitzustellen. In Deutschland soll das unter anderem mit der Corona-Warn-App möglich sein. Außerdem wird momentan unter Führung des US-Konzerns IBM eine weitere „Cov-Pass-App“ entwickelt, die ausschließlich der Anzeige des Zertifikats dienen soll – alles auf freiwilliger Basis. In dieser App sei es laut Gesundheitsministerium auch möglich, Zertifikate von Familienmitgliedern abzuspeichern. Eine digitale Plattform der EU werde dann ermöglichen, dass dieses Zertifikat in ganz Europa, ähnlich wie Flug- oder Bahntickets, ausgelesen werden kann.

Welche Erleichterungen bringt der Pass? Das entscheidet jedes EU-Land für sich selbst. Das Europaparlament konnte sich mit einer Forderung nach verpflichtenden Erleichterungen nicht durchsetzen. Die Kompromissformel lautet nun, dass Reisebeschränkungen wie Quarantäne für negativ Getestete, Geimpfte oder Genesene nur eingeführt werden sollen, sofern es die epidemiologische Lage erlaubt und dies wissenschaftlich begründet ist.

Wann ist es soweit? Spahn versicherte mehrfach, dass Deutschland die EU-Frist einhalten kann. Daran, dass das gelingt, gibt es jedoch Zweifel. Grund dafür ist die dezentrale Verwaltung Deutschlands. Weil es kein zentrales Impfregister gibt, müssen die Zertifikate jeweils vor Ort eingeholt werden. Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, glaubt deswegen nicht an einen Start Ende Juni. „Das wird ganz sicher nichts werden.“ Ihr zufolge brauche es unter anderem einheitliche Schnittstellen in der Praxissoftware, die sich nicht so schnell programmieren lassen. Den Befürchtungen, dass ein Start zum 1. Juli nicht gelingen wird, hat die Bundesregierung auch selbst Nahrung gegeben, indem sie bei der EU-Kommission eine sechswöchige Übergangsfrist ausgehandelt hat. Gut möglich, dass das deutsche Zertifikat also erst Mitte August zur Verfügung steht, wenn viele Urlauber bereits zurückgekehrt sind.

Brauchen wir das wirklich? Manche Kritiker bezweifeln dies. Linus Neumann etwa, Sprecher des Chaos Computer Clubs, der auch im Bundestag zum Thema angehört wurde, warnt: Durch digitale Impfpässe werde eine „allgegenwärtigen Kontrolle des Impfstatus“ ermöglicht. Tatsächlich ist es vorstellbar, dass Restaurants oder Theater zunächst nur für Besitzer des digitalen Impfpasses öffnen. Dadurch drohe, solange nicht alle Menschen geimpft sind, eine enorme gesellschaftliche Spaltung zu entstehen, befürchtet Neumann. Dabei würde man die Zertifikate gar nicht mehr brauchen, sobald ausreichend Menschen geimpft sind.

Was ist mit dem Datenschutz?

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen digitalen Impfpass. Dieser könne sogar datenschutzfreundlicher sein als der Papierpass, da weniger Daten angezeigt würden. Die EU hat versichert, dass keinerlei persönliche Daten auf Servern gespeichert würden, sondern nur auf dem Handy.

Kelber kritisiert jedoch, dass die Bundesregierung ihm nach wie vor nicht die nötigen Informationen zur geplanten Cov-Pass-App zugespielt habe – obwohl sie dazu verpflichtet ist. Sollte die deutsche App aus Kelbers Sicht datenschutzrechtliche Mängel aufweisen, könnte er einen „Baustopp“ verfügen, was den Prozess verzögern würde. - igs

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Erstellt:
29.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 24sec
zuletzt aktualisiert: 29.05.2021, 06:00 Uhr

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