Musik

Interview mit Rapper RIN: Der Soundtrack des Südens

„Kleinstadt“ heißt das neue Album des Erfolgsrappers RIN aus Bietigheim-Bissingen. Er erzählt, warum die Pandemie ihm gelegen kam und der deutsche Pop sich verändern muss.

29.10.2021

Von Udo Eberl

„Mein Körper hat gesagt“, erzählt RIN, „bis hierhin und nicht weiter, junger Mann.“ Bild: SWP

„Mein Körper hat gesagt“, erzählt RIN, „bis hierhin und nicht weiter, junger Mann.“ Bild: SWP

Bietigheim. Der Bietigheimer Rap-­Künstler Renato Simunovic, besser als RIN bekannt, hat in den vergangenen fünf Jahren den Musikmarkt mit seinem gekonnten Mix aus deutschsprachigem Hip-Hop und R ’n’ B gewaltig aufgemischt. Beim Video-Interview ist der hypersensible 27-jährige Psychologie-Fan, der offen darüber spricht, dass er auch deshalb zum extrovertierten Star wurde, weil er so Ängste und Zweifel überwinden konnte, in bester Laune. In den 18 Songs und Tracks des neuen Albums „Kleinstadt“ zeigt er sein noch erweitertes musikalisches Spektrum, das von Soul bis Grunge-Rock reicht, und er beweist mit den „Giant Rooks“, dass er auch im Band-Format denken kann. Sein klare Ansage: Große Musik muss nicht aus einer großen Stadt kommen.

Direkt nach einer erfolgreichen Tournee mit Ihrem Erfolgsalbum „Nimmerland“ begann der Lockdown. Sicherlich eine sehr krasse Situation?

RIN: Ich war zu dieser Zeit auch persönlich an einem sehr dunklen Ort. Das Album „Nimmerland“ hat mich mehr Kraft gekostet als ich hatte. Jeder Song war entweder von mir produziert, koproduziert oder kuratiert, und alle Premixes habe ich auch aufgenommen. Ich wollte für mich einfach die Frage beantwortet haben, ob ich ein Album auch ganz allein realisieren kann, wenn mir Dritte nicht zuarbeiten. Ich neige zum Perfektionismus und stelle meine Fähigkeiten häufig infrage – vermutlich zu oft. Aber Nimmerland war dann glücklicherweise ein unheimlich erfolgreiches Album, ich holte letztendlich über eine halbe Milliarde Streams, und für die Tour wurden an die 100 000 Tickets verkauft. Danach hat mein Körper allerdings gesagt: bis hierhin und nicht weiter, junger Mann.

Der Lockdown kam Ihnen also nicht ganz ungelegen??

Ja, die Zwangspause tat mir gut. Meiner Meinung nach ging das auch vielen so in der Unterhaltungsindustrie. Nach einer gewissen Zeit haben die Lockdowns in der Branche allerdings für existenzielle Probleme gesorgt, und die Situation hat auch wirklich essenzielle Fragen aufgeworfen. Man hatte viel Zeit, über unser Leben in der Komfortzone nachzudenken. Das kann man nun auch auf meinem Kleinstadt-Album hören.

Wie wichtig war denn der feste Boden der Kleinstadt Bietigheim für den ausgebrannten Musikanten, um wieder auf die Füße zu kommen??

Sogar noch wichtiger als zuvor! Wobei der Titel Kleinstadt viel größer gedacht ist als die reine Begrifflichkeit. Mir ging es da eher um eine musikalische Identität in einem regionalen Mindset, mit dem unter einem Brennglas betrachtet werden kann, was passiert, wenn man in einer Ausnahmesituation wie einem Lockdown allein auf seine nächste Umgebung zurückgeworfen wird. Das gilt für Bietigheim genauso wie für einen Kiez in Berlin.

Sie wollten einen Soundtrack des „Dirty South“, also des Teils von Süddeutschlands, in dem Sie leben, produzieren, an den man sich auch noch in 20 Jahren erinnert. Was musste darin vorkommen?

Vor allem natürlich die hier überall präsente Autoindustrie als Wertschöpfungsgarant. Die meisten Ausländer, die hier ihre Heimat gefunden haben, sind ja auch wegen der Arbeit hier in diesen privilegierten Teil Deutschlands gezogen. Die Eltern bauen die Autos, die Kinder fahren sie jetzt, wenn sie so viel Glück haben wie ich.

Bietigheim-Bissingen verband man vorher eher mit Bands wie Camouflage und Pur. Wie kommt’s, dass hier in der heilen schwäbischen Welt ein kleines Epizentrum des neuen deutschen Hip-Hop entstehen konnte?

Wahrscheinlich war es die pure Abstinenz von Popkultur, wie wir sie als Teenager hören und live erleben wollten. Also mussten wir sie einfach selber machen und haben mit der uns eigenen schwäbischen Akribie an unserem Sound gearbeitet. Warum allerdings mit Bausa, Shindy und mir gleich drei solch erfolgreiche Künstler der zweiten Rap-Generation aus Bietigheim kommen, ist für uns selbst ein kleines Rätsel. Wir haben uns ja nie ein Studio geteilt oder gemeinsam an Tracks gearbeitet, um den jeweils anderen zu promoten, sondern uns ganz unabhängig voneinander zu erfolgreichen Künstlern entwickelt.

Sie haben auf dem Weg zu „Kleinstadt“ in nur fünf Jahren den Traum vieler Kids gelebt. Wie bleibt man da auf dem Boden?

Ich bin ein Einzelkind, meine Eltern konnten nie Vermögen anhäufen und wären sicherlich von Altersarmut bedroht, wenn ich nicht so erfolgreich wäre. Wenn deine Mutter früher einmal Pfandflaschen gesammelt hat, damit am Morgen Butter auf dem Brot ist, hält dich schon allein die Verantwortung am Boden.

Und doch geht’s auf dem neuen Album trotz Tracks wie „Fuck Your Money“ auch häufig um Rapper-Statussymbole wie schnelle Autos und Goldketten.?

Geld bringt Fun, aber es gibt auch bei diesem Spaß Grenzen. Klar, ich habe mir einen Porsche bestellt und bin empfänglich für Kunst und besonderes Design. Wenn ich aber mit einer 100 000 Euro teuren Uhr am Handgelenk bei meiner Mutter am Kaffeetisch sitzen würde, würde sie mir so richtig was erzählen. Bei der Anlage meines Geldes denke ich als 27-Jähriger eher solide wie ein schwäbischer Rentner.

In ihren Texten spiegeln Sie allerdings auch die Gegenwartsängste ihrer Generation und jüngerer Menschen. Die Autos werden schneller, aber die Probleme größer.

Der Ernst des Lebens holt dich ein, egal wie viel Geld du auf der hohen Kante liegen hast. Und der Wind da draußen wird rauer. Die Angst vor einer ungewissen Zukunft nimmt zu. Die Zeiten der Lockdowns waren da ein gesellschaftlicher Brandbeschleuniger. Auch das ist ein inhaltlicher Teil meiner musikalischen Stadtkarte.

Eine Kleinstadt, in der Kids wie überall auf der Welt via Social Media und Co. viel zu verführbar sind.

Du bekommst über die verschiedenen Kanäle im Netz heute schnell das größte Maß an Aufmerksamkeit, ob du nun etwas zu sagen hast oder ein Dilettant bist. Gibt es ein brennendes Problem, gehe damit online und du schüttest noch Kerosin darauf. Es scheint auf den Plattformen niemand etwas zu hinterfragen. Wer Erfolg hat, der hat Recht.

Inzwischen nehmen viele Künstler Ihre Hits als Blaupause. Haben Sie sich deshalb musikalisch viel breiter aufgestellt?

Ich habe mir zur Lebensaufgabe gemacht, immer den ungemütlichen Weg zu gehen. Nur nicht auf dem Erfolg ausruhen. Deshalb habe ich auch den Typ aus Nimmerland gekillt und bin ein neuer RIN geworden.

Der neue Trends setzen will

Der deutsche Pop braucht dringend Veränderung. Deshalb habe ich mit Schmyt auch einen Rapper als Gast auf meinem Album, der meiner Meinung nach ein Star der nächsten Generation wird. Es muss jetzt endlich etwas passieren, denn die Musikindustrie hat während der Pandemie massiv Schaden genommen. Die Zuwächse beim Bewegtbild wie Videos oder Games sind enorm und selbst für Podcasts gilt das, während das Musikbusiness sich halbiert hat. Und das hat natürlich auch mit einem Angebot zu tun, das nur noch auf den breiten Musikgeschmack zu zielen scheint. Ich als Profiteur des zweiten deutschen Hip-Hop-Aufschwungs nehme mir es heraus, kritisch zu hinterfragen, ob eine solche Monokultur das Ziel sein kann.

Live in der Heimat und auf Festivals

Das RIN-Album „Kleinstadt“ (Division/Gold League) wird an diesem Freitag veröffentlicht. In den vergangenen Jahren konnte Renato Simunovic mit den beiden Alben „Eros“ und „Nimmerland“, Features von Rap-Legenden wie Kool Savas oder Sido sowie als erster deutscher Musikkünstler mit einer eigenen Show auf Apple Music seinen Ruhm mehren. Der 27-Jährige mit den bosnischen und kroatischen Wurzeln, der in Ulm auf die Welt kam und in Bietigheim-Bissingen, wo er bis heute lebt, aufgewachsen ist, wird dort im kommenden Jahr beim „RIN // Ljubav & Powerbausa Open Air“ am 25. Juni 2022 auf dem Festplatz am Viadukt live zu erleben sein. Bestätigt sind außerdem Festival-Konzerte bei „Rock am Ring“, „Rock im Park“ und dem „Juicy Beats“ im Westfalenpark Dortmund.

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Erstellt:
29.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 53sec
zuletzt aktualisiert: 29.10.2021, 06:00 Uhr

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