Olympia: Der Gigantismus lebt

Olympische Geschichte, Teil 6: Von Kritik und Ignoranz

Das IOC ist mit Reformen zurückhaltend. Es reagiert auf Kritik meist mit Ignoranz und dem Verweis auf die ideelle Bedeutung der Spiele.

17.07.2021

Von Jörg Krieger

Olympia-Dämmerung über Tokio mit Blick auf die Regenbogenbrücke. Die Spiele könnten über 30 Milliarden Dollar kosten. Foto: CHARLY TRIBALLEAU

Olympia-Dämmerung über Tokio mit Blick auf die Regenbogenbrücke. Die Spiele könnten über 30 Milliarden Dollar kosten. Foto: CHARLY TRIBALLEAU

Die Neoliberalisierung und damit einhergehende Kommerzialisierung der olympischen Bewegung Ende der 1980er Jahre verhalfen dem IOC zu einer zwei Jahrzehnte währenden Phase finanzieller Stabilität und positiver öffentlicher Wahrnehmung.

Weltstädte wie Barcelona, Sydney oder Athen ließen die Spiele in neuem Glanz erleuchten – natürlich nicht ohne das Eigeninteresse der touristischen Vermarktung. Finanzkräftige Sponsoren wie Samsung und Panasonic stiegen langfristig ins olympische Sponsorenprogramm ein. So stiegen die Einkünfte des IOC signifikant. Die Finanzberichte von 2012 bis 2016 zeigen Gesamteinnahmen von etwa fünf Milliarden Dollar im olympischen Vierjahreszyklus. 90 Prozent verteilt das IOC an die Interessensgruppen des internationalen Sports: So profitieren Organisationskomitees der Spiele, Sportverbände und Nationale Olympische Komitees vom Umsatz in der olympischen Bewegung.

Um die Einnahmen zu steigern, sollte die Marke „Olympia“ über den Vierjahreszyklus hinaus präsent sein. Zu diesem Zweck werden die Winterspiele seit 1994 um zwei Jahre versetzt zwischen den Sommerspielen veranstaltet. 2010 wurden Olympische Jugendspiele eingeführt, die ab 2023 in „nicht-olympischen“ Jahren stattfinden. Der Schauplatz der Spiele, die Sportstätten und deren Umgebung, wurde zur Präsentationsfläche für die Sponsoren. 2016 gründete das IOC schließlich noch einen eigenen TV-Kanal, um gemeinsam mit den Sponsoren das ganze Jahr über medial präsent zu sein. Diese oft als „Gigantismus“ bezeichnete Entwicklung hatte viele negative Konsequenzen. War es in den 80er Jahren noch möglich, Olympia unter einer Milliarde Dollar zu organisieren, sind für Sommerspiele heute mehr als 15 Milliarden Dollar zu veranschlagen. Wegen der hohen Kosten, die größtenteils durch Infrastrukturmaßnahmen, Sportstättenbau und Sicherheitsvorkehrungen zu Stande kommen, wehren sich vermehrt Bürgerschaften gegen den Einsatz öffentlicher Gelder. In Deutschland stimmte in der jüngeren Vergangenheit die Bevölkerung in Hamburg und in München gegen Bewerbungen.

Solche, nicht nur auf Deutschland begrenzte, Ablehnungen veranlassten das IOC zur Reformierung wichtiger Entscheidungsprozesse, inklusive des Vergabeprozesses. Die künftigen Ausrichter in Paris (2024) und Los Angeles (2028) wurden konkurrenzlos festgelegt. Auch für 2032 führt das IOC Verhandlungen ausschließlich mit der australischen Stadt Brisbane, trotz des Interesses der deutschen Rhein-Ruhr-Initiative, sich für 2032 bewerben zu wollen.

Der direkte Dialog mit westlichen Kandidaten ist auch als Reaktion auf die verstärkte Ausrichtung der Spiele im asiatischen Raum zu verstehen. Zwischen 2008 und 2022 fanden vier von acht Sommer- und Winter-Ausgaben der Spiele in Ostasien statt. Wie westliche Ausrichterländer zuvor, nutzten die politischen Regime in China (2008, 2022) und Russland (2014) die Spiele, um politische und wirtschaftliche Macht zu demonstrieren. Dabei machten sie auch nicht Halt vor Menschenrechtsverletzungen, Staatsdoping oder fatalen Umweltschäden. Das IOC reagierte auf Kritik und Proteste zumeist mit Ignoranz und Verweis auf die ideelle Bedeutung der Durchführung der Spiele. Russland wurde zwar in Folge des Staatsdopings für ursprünglich vier Jahre von der Welt-Anti-Dopingagentur (Wada) ausgeschlossen. Die Sperre wurde jedoch reduziert und betrifft Paris 2024 nicht mehr. Auch dürfen russische Athletinnen und Athleten unter neutraler Flagge weiter teilnehmen.

Die Teilnehmerzahl begrenzt

Als Antwort auf die öffentliche Kritik verabschiedete das IOC, mittlerweile geführt von Präsident Thomas Bach, 2014 eine „Agenda 2020“. Sie zielte insbesondere darauf ab, die Größe der Spiele nicht ausufern zu lassen. Die Teilnehmerzahl ist nun auf rund 10?000 Sportlerinnen und Sportler in maximal 310 Wettbewerben beschränkt.

Zwar werden immer wieder neue Trendsportarten hinzugefügt – in Tokio unter anderem Surfen und Skateboarden. Diese sind aber nur temporär und ohne den zusätzlichen Neubau von Sportstätten zugelassen. Das IOC hat seine Reformpläne im März 2021 als „Agenda 2020+5“ fortgeschrieben. Die olympische Bewegung soll noch digitaler, der Kampf gegen Doping intensiviert und die Spiele zudem nachhaltiger werden. Ob diese Ziele realisiert werden? Der Blick zurück in die olympische Geschichte offenbart ein anderes Bild.

Zur Person und den Olympischen Spielen

Sporthistoriker Jörg Krieger ist Assistent Professor an der Aarhus University in Dänemark. Gebürtig aus dem oberschwäbischen Ochsenhausen, promovierte Krieger 2015 an der Deutschen Sporthochschule Köln zur Anti-Doping Geschichte. Heute forscht er zu verschiedenen Themen in der Sportpolitik, Sportsoziologie und internationalen Sportgeschichte.

Die Olympischen Spiele beginnen am 23. Juli und enden am 8. August.

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Erstellt:
17.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 17.07.2021, 06:00 Uhr

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