Astronomie

Johannes Kepler: Denker in neuen Bahnen

Mit seinen Theorien über die Planetenbewegungen revolutionierte Johannes Kepler die Astronomie. Seine Erkenntnisse ermöglichen heute, 450 Jahre nach seiner Geburt, die Entdeckung neuer Himmelskörper.

18.12.2021

Von Yasemin Gürtan

Beharrte auf dem heliozentrischen Weltbild: Johannes Kepler.

Beharrte auf dem heliozentrischen Weltbild: Johannes Kepler.

Außerhalb unseres Sonnensystems, 1400 Lichtjahre entfernt, zieht der Planet Kepler-452b seine Bahnen. In vieler Hinsicht ähnelt er der Erde, womöglich ist sogar Leben auf ihm entstanden. Aufgespürt hat ihn das Weltraumteleskop „Kepler“, das bis vor kurzem im Dienste der Nasa, der US-Bundesbehörde für Raumfahrt, im All unterwegs war.

Dass Planet wie Teleskop Johannes Keplers Namen tragen, ist kein Zufall. Denn ohne Kepler wüsste man nichts von der Existenz von Kepler-452b, erklärt Wolfgang Pleithner, Vorstandsmitglied der Kepler-Gesellschaft in Weil der Stadt. Hier wurde der berühmte Astronom und Mathematiker am 27. Dezember 1571 geboren.

Derart weit entfernte Planeten kann kein Teleskop erfassen, man kann nur ableiten, dass es sie gibt – und dazu muss man wissen, auf welche Weise sie sich bewegen. Genau das hat Johannes Kepler vor mehr als 400 Jahren beschrieben. Den Sternenhimmel konnte er dazu selbst gar nicht detailliert beobachten, eine Pockenerkrankung in der Kindheit hatte seine Sehkraft beeinträchtigt.

Kepler war ein Theoretiker, und zwar ein begnadeter. „Seine Gesetze haben bis heute absolute Gültigkeit“, betont Pleithner. „Er war in vielen Dingen seiner Zeit voraus.“ Keplers vermutlich wichtigste Erkenntnis: Die Planeten bewegen sich nicht in Kreisbahnen um die Sonne sondern in Ellipsen (siehe Box unten). Das mag sich nicht sonderlich revolutionär anhören, war für die damalige Zeit aber unerhört – vor allem wegen der Behauptung, die Planeten kreisten um die Sonne und nicht um die Erde. „Das kam bei der Kirche natürlich nicht so gut an“, sagt Pleithner. Zumal Kepler Theologie studierte und ursprünglich auch Pfarrer werden wollte. „Er wurde der Ketzerei beschuldigt.“

Dass die Lage nicht wie bei seinem Zeitgenossen Galileo Galilei eskalierte, lag wohl an Keplers etwas diplomatischerem Auftreten. Galilei sei arroganter gewesen, was die Kirche provoziert habe. „Man kann die Sache natürlich auch noch schlimmer machen“, meint Pleithner. Als feigen Duckmäuser darf man sich aber Johannes Kepler nicht vorstellen. „Er hatte in Glaubensfragen immer seinen eigenen Kopf“, sagt Pleithner.

Mit dem Beharren auf dem heliozentrischen Weltbild des Nikolaus Kopernikus widersprach Kepler nicht nur der herrschenden Kirchenlehre. Indem er die Kreisbahn der Planeten verwarf, stellte er sich zudem gegen Platons Ideal der perfekten und damit göttlichen Form. „Die Kreisbewegung war damals ein Dogma“, betont Pleithner. Kepler aber vertraute den Fakten, nicht der Idee. Damit verhielt er sich wie ein moderner Wissenschaftler – „aus heutiger Sicht ist das selbstverständlich, damals war es das absolut nicht.“

Ursprünglich war auch Johannes Kepler davon überzeugt gewesen, dass sich Planeten in Kreisen bewegen. Entsprechend verwirrt und verzweifelt muss er gewesen sein, als seine Versuche etwas anderes zeigten als die Beobachtungsdaten. Kepler war damals, im Jahr 1600, als Assistent des berühmten dänischen Astronomen Tycho Brahe an den Hof des Kaisers Rudolf II. nach Prag geholt worden. Brahe hatte den Sternenhimmel lange akribisch beobachtet und wollte, dass der jüngere Kepler die Bahn des Mars für ihn berechnete – Brahe hatte seine eigene Theorie der Planetenbewegungen und erhoffte Beweise dafür. Der Mars sprengte allerdings die Theorien sowohl Brahes als auch Keplers, so oft dieser auch nachrechnete. Schließlich beugte sich Kepler den Fakten: Er gab die Idee der Kreisbewegung auf und erstellte eine neue Hypothese. Endlich passten Daten und Berechnungen zusammen, und für Kepler stand fest: Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen.

So sachlich Kepler auch vorgegangen ist: Er war keineswegs ein rein nüchterner Kopf, der alles mit Formeln erklären wollte. „Kepler war sein Leben lang tief gläubig“, sagt Pleithner ohne sich allerdings dem kirchlichen Dogma zu beugen. Er war Protestant, lehnte die Abendmahlslehre Luthers ab und bevorzugte teils calvinistische Ideen – womit er sich in seiner streng lutherischen Heimat-Universität Tübingen in gefährliche Nähe zur Ketzerei brachte.

Kepler stand zu seinen Idealen – auch später, als er im Zuge der Gegenreformation wiederholt dazu aufgefordert wurde, sich zum Katholizismus zu bekennen. Zweimal war er deswegen gezwungen, die Stadt zu verlassen, was ihn jeweils heimatlos dastehen ließ. Ein einfaches Leben hatte der Wissenschaftler nicht, meint Pleithner. Er hatte Frau und Kinder zu versorgen, war oft gehetzt und in Streitigkeiten verwickelt. Im Alter von 58 Jahren starb er geschwächt in Regensburg, wo er ausstehende Gehälter einfordern wollte.

Was ihm aus heutiger Sicht charakterlich wohl am meisten Bewunderung einbringt: Als seine betagte Mutter 1615 der Hexerei angeklagt wurde und ihr Folter und Scheiterhaufen drohte, stand Kepler als einziges Familienmitglied zu ihr. Nach jahrelangem Rechtsstreit konnte er ihre Unschuld beweisen.

„Vieles an Kepler kommt uns aber auch ein wenig seltsam vor“, sagt Pleithner. Dessen Hang, Horoskope zu erstellen, beispielsweise passt aus heutiger Sicht so gar nicht in das Bild des objektiven Wissenschaftlers. Teils steckte zwar wohl auch finanzielle Not dahinter, denn trotz seiner angesehenen Stellung am kaiserlichen Hof war Kepler praktisch dauernd in Geldnot. „Man kann aber auch nicht sagen, dass er gar nicht daran geglaubt hat“, meint Pleithner. So habe er etwa versucht, die schroffe Art seines Vaters mit dem Stand der Sterne bei dessen Geburt zu erklären. Im Laufe seines Lebens habe Kepler mehr als 1000 Horoskope erstellt – unter anderem für den in Schillers gleichnamiger Dramen-Trilogie verewigten Feldherrn Albrecht Wallenstein. Völlig vereinnahmen ließ er sich indes auch hier nicht und beschränkte sich auf die Berechnung von Gestirnspositionen. Ohnehin: „So suspekt wie heute in der Wissenschaft waren Horoskope damals nicht.“ Eine Trennung zwischen Astronomie und Astrologie gab es noch nicht, Kepler bewegte sich also ausnahmsweise im Mainstream.

Berühmte Gesetze

Johannes Kepler ist heute vor allem für seine drei Gesetze berühmt. Das erste besagt, dass sich die Planeten auf elliptischen Bahnen bewegen, in einem Brennpunkt befindet sich die Sonne. Das zweite berechnet, dass sie sich dabei nicht immer gleich schnell bewegen: Kommen sie der Sonne näher, werden sie schneller. Das dritte besagt, dass die Umlaufdauer der Planeten zunimmt, je weiter sie von der Sonne entfernt sind. Anhand dieser Gesetze konnte Issac Newton im späten 17. Jahrhundert seine Himmelsmechanik entwickeln.

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Erstellt:
18.12.2021, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 18.12.2021, 06:00 Uhr

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