Tübingen · Filmkultur

Dem Arsenal droht das Aus

Ohne tatkräftige Unterstützer ist das Tübinger Programmkino womöglich verloren. Nun wurden auch noch asbesthaltige Dichtungen entdeckt.

13.06.2020

Von Dorothee Hermann

So sah die Tübinger Kinokneipe Arsenal in den 1970er Jahren aus: Außer den Oberlichtern, den Eisensäulen und dem Abgang (links) zu den Toiletten hat sich seither dort eigentlich alles geändert. In diesen Tagen entscheidet sich, ob dem Kino eine weitere Runderneuerung gelingt.Archivbild

So sah die Tübinger Kinokneipe Arsenal in den 1970er Jahren aus: Außer den Oberlichtern, den Eisensäulen und dem Abgang (links) zu den Toiletten hat sich seither dort eigentlich alles geändert. In diesen Tagen entscheidet sich, ob dem Kino eine weitere Runderneuerung gelingt.Archivbild

Während die Corona-Krise bundesweit die Lichtspielhäuser beutelt, hat das Tübinger Programmkino Arsenal mit einer weiteren existenzbedrohenden Ungewissheit zu kämpfen. Am vergangenen Samstag tauchten in der Tübinger Innenstadt kleine Plakate auf mit der Aufschrift „HNO statt Kino? Fliegt das Arsenal in drei Wochen zugunsten einer HNO-Praxis raus?“

Wer die Zettel aufgehängt hat, ist unklar. „Wir wissen nicht, wer das gemacht hat“, sagte Kinobetreiber Stefan Paul dem TAGBLATT. Auch der neugegründete Verein „Arsenal bleibt“, in dem sich Tübinger Cineastinnen und Cineasten sowie einzelne Arsenal-Mitarbeiter zusammengeschlossen haben, wurde von der Kampagne überrascht. Mittlerweile sind die Zettel wieder verschwunden.

Im vergangenen Jahr war das Haus am Stadtgraben an Julia und Axel Seehawer verkauft worden (wir berichteten mehrfach). Axel Seehawer schätzt die Sanierungskosten im vom Arsenal genutzten Erdgeschoss für Decke, Lüftung und Brandschutz auf mindestens 100 000 Euro. „Das käme über die Miete nie wieder herein.“ Zudem gestalte sich der geplante Umbau der ersten Etage zu Praxisräumen für seine Frau, die HNO-Ärztin Julia Seehawer, aufgrund von Barrierefreiheit und Brandschutz komplizierter und teurer als zunächst erwartet, sagte Seehawer dem TAGBLATT. Im Erdgeschoss gäbe es diese Probleme nicht.

Der Pilot ist selbst ein alter Kino-Fan, der schon als Kind mit seinem Vater gerne im Arsenal Filme angeschaut hatte. Zumindest für drei Jahre sollte der Kinobetrieb in der Hinteren Grabenstraße weiterlaufen. Doch der Kinobetreiber habe sich geweigert, einen Dreijahresvertrag zu unterschreiben, sondern auf einem Zehnjahresvertrag wie in der Vergangenheit bestanden, ohne ein Konzept für den Weiterbetrieb vorzulegen. Corona sei dazwischengekommen, sagte dazu Stefan Paul: „Wir hätten diese bittere Pille geschluckt, um das Kino zu erhalten.“

Momentan scheint dessen Fortbestand ungewiss. Bei einer Gebäudebegehung Anfang März 2020 wurde entdeckt, dass die Brandschutzklappen in Kino und Kneipe asbesthaltige Dichtungen enthalten, sagte Hauseigentümer Seehawer. Seien Dichtungen beschädigt, könnten bei laufender Lüftungsanlage kontaminierte Partikel in die Atemluft von Kinobesuchern und Mitarbeitern gelangen. Aber: Wenn das Arsenal schließen müsste, hätte er „ein irre schlechtes Gewissen“. Gleichzeitig hätte er sich mehr Unterstützung gewünscht: „Es gibt lauter Leute, die das toll finden, aber keiner will etwas machen und keiner will einen Euro ausgeben.“

Seither weiß auch der Kinobetreiber von dem Problem. „Wir haben Angebote eingeholt. Das hat fast vier Wochen gedauert“, so Stefan Paul. Die Asbestsanierung sei „eine kinoseitige Investition“, sagte er. „Die Brandschutzklappen der Lüftungsanlage werden ausgetauscht. Wenn es geht, schon nächste Woche.“ Parallel werde das Kino gegen Corona fitgemacht. „Wir haben ja auch ein Hygiene-Konzept.“ Für den Brandschutz bekomme er Zuschüsse vom Bundeskulturministerium. Der 74-jährige Kino-Enthusiast hofft, dass das Arsenal am 2. Juli wieder öffnen kann, und ebensosehr, die Unstimmigkeiten mit den Hauseigentümern wieder zu bereinigen: „Wir möchten eine einvernehmliche Lösung.“

Doch am kommenden Freitag erwartet den Kinobetreiber voraussichtlich ein Gerichtstermin mit den Vorbesitzern: Es geht um eine Räumungsklage.

Angesichts der verhärteten Situation sucht der Verein „Arsenal bleibt“ einen Ausweg. Natürlich sei die Nutzung der Kino-Etage „in erster Linie die Entscheidung der Eigentümer“, schreiben die Cineasten in einem offenen Brief vom 11. Juni. Doch es gebe auch ein starkes Interesse der Tübinger Bürgerinnen und Bürger an dem traditionsreichen Kino: 2000 Leute unterstützten im vergangenen Jahr eine Petition für dessen Erhalt.

Es sei wünschenswert, „dass das Arsenal an seinem jetzigen Standort weitermachen kann“, heißt es in dem Schreiben. Seit 46 Jahren präge es die Tübinger Kulturlandschaft mit. Abgesehen vom Ambiente des Gebäudes am Stadtgraben gebe es in der Innenstadt keinen Platz für einen neuen Kinosaal. „Da nun möglicherweise das private Interesse der Hauseigentümer dem kulturellen Leben als Teil der Daseinsvorsorge im Weg steht, sehen wir die Stadt in der Pflicht, als Vermittler aufzutreten.“

Die Stadt Tübingen könnte den Eigentümern andere Praxisräume anbieten oder langfristig neue Räume für das Programmkino finden, so die Kino-Aktivisten. Nur dann könne auch das Schwester-Kino Atelier mit dem Café Haag als wichtigem Veranstaltungsort überleben – und der seit mehr als 30 Jahren etablierten Tübinger Filmfestival-Szene bräche kein Vorführort und Treffpunkt weg.

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Erstellt:
13.06.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 13.06.2020, 01:00 Uhr

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