„Debatten versachlichen“

Die Demokratieforscherin Brigitte Geißel von der Goethe-Universität in Frankfurt/Main untersucht das Thema politische Beteiligung und hat den ersten Bürgerrat zur Zukunft der Demokratie wissenschaftlich begleitet.

14.01.2021

Von IGOR STEINLE

Professorin Brigitte Geißel von der Uni Frankfurt/Main. Foto: Vincent Leifer

Professorin Brigitte Geißel von der Uni Frankfurt/Main. Foto: Vincent Leifer

Berlin. Bürgerräte sollten mit Volksentscheiden verbunden werden, empfiehlt die Professorin.

Wieso verlieren Bürger Vertrauen in die Demokratie?

Brigitte Geißel Viele Bürger haben den Eindruck, dass Politiker sich nicht an ihren Interessen orientieren. Eine Studie der Uni Osnabrück etwa hat festgestellt, dass politische Entscheidungen sich eher an Interessen höherer Einkommensschichten orientieren. Das wirkt sich auf die Beteiligung der unteren Schichten aus. Andere Beispiele sind die momentanen Covid-Maßnahmen, bei denen sich einige Gruppen nicht gesehen fühlen, aber auch Themen wie der Klimawandel.

Schaffen Bürgerräte eine höhere Zustimmung zum politischen System?

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Mit einer Vielzahl von Bürgerräten auf verschiedenen Ebenen, lokal und national, könnte das aber gelingen.

Könnten sie konfliktreiche Themen wie Tempolimit, Umweltschutz oder Migration befrieden?

Es ist eine Möglichkeit, Debatten mit polarisierten Einstellungen zu versachlichen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Im Parlament stoßen Gegensätze aufeinander, Parteien müssen Interessen durchsetzen. In Bürgerräten ist das nicht notwendig, man hört einander bei guter Moderation eher zu und findet im Idealfall gemeinsam eine Lösung.

Werden Bürgerräte gegen Volksentscheide ausgespielt?

Ja, und ich halte das für falsch. Bürgerrat und Volksentscheid müssen zusammen gedacht werden. Damit Volksentscheide vernünftig ausgehen, brauchen wir vorher eine breite Debatte. Bürgerräte können die gewährleisten. Aber auch andersrum sollten Bürgerräte mit Volksabstimmungen verknüpft werden, so wie in Irland oder Kanada.

Wie kam es zur weltweiten Bürgerrats-Welle?

Überall im Westen, aber auch in Lateinamerika, merkt die Politik, dass sie etwas tun muss, um die Menschen wieder an sich zu binden. Für Politiker ist es nicht angenehm, die Berufsgruppe zu sein, die im Vertrauen der Gesellschaft ganz unten steht. Deshalb werden verschiedene Mittel ausgetestet. Bürgerräte sind dabei einfacher als Volksentscheide, weil es bei ihnen zunächst mal nicht um die Abgabe von Macht geht. Igor Steinle

Zum Artikel

Erstellt:
14.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 55sec
zuletzt aktualisiert: 14.01.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.
Aus diesem Ressort

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!