Mobile Luftfilter an Schulen

Raumluft-Experte Konstantinos Stergiaropoulos: „Das ist ein Trugschluss“

Mobile Luftfilter sollen mehr Sicherheit im Corona-Unterricht bringen. Raumluft-Experte Konstantinos Stergiaropoulos dämpft die Erwartungen.

17.07.2021

Von Axel Habermehl

Umstrittene Hoffnungsträger: Luftfilter in Klassenräumen. Foto: Sven Hoppe

Umstrittene Hoffnungsträger: Luftfilter in Klassenräumen. Foto: Sven Hoppe

Sechs Monate hat sich ein Team der Uni Stuttgart um Professor Konstantinos Stergiaropoulos (51) mit der Frage beschäftigt, wie man Schulräume am besten lüftet. An zehn Schulen führten sie Versuche durch, versprühten Aerosole, analysierten Luftströme. Immer auf der Suche nach der besten Methode, um bei möglichst geringer Infektionsgefahr Unterricht abhalten zu können.

Deutschland debattiert über Luftfilter für Schulräume. Sie raten nach langen Experimenten vom flächendeckenden Einsatz ab. Warum?

Konstantinos Stergiaropoulos: In unserer Studie haben wir in mehreren Stuttgarter Klassenräumen verschiedene Formen der Lüftung untersucht: über die Fenster, mit fest verbauten raumlufttechnischen Anlagen und mit mobilen Luftreinigungsgeräten. Dabei haben wir festgestellt, dass diese mobilen Geräte zwar eine gewisse Wirkung in Bezug auf die Abscheidung von Partikeln und Aerosolen haben, die als Vehikel für SARS-CoV-2-Viren gelten. Aber die anderen Lüftungsmöglichkeiten waren nicht schlechter.

Aber in Bezug auf das Infektionsrisiko weisen Luftreiniger in Ihrer Studie doch deutlich die besten Werte auf?

Ja, die Werte sind niedriger, aber „deutlich“ würde ich nicht sagen. Sie liegen im gleichen Bereich. Außerdem haben unsere Untersuchungen ergeben, dass Luftreiniger bei einem ausreichend hohen Volumenstrom zwar die positive Wirkung der Aerosolabscheidung erbringen. Sie führen dann aber auch zu einem hohen Schalldruck im Raum, der weit über dem geltenden Grenzwert liegt. Und es entsteht ein Luftzug, der stark darüber hinausgeht, was Menschen als „behaglich“ empfinden.

Zugluft und ein Brummen: Sind das in der Abwägung nicht relativ kleine Übel?

Nein, wir erwarten, dass Nutzer das nicht hinnehmen. Vielleicht kurzzeitig, aber nicht dauerhaft. Erfahrungsgemäß schalten Menschen dann die Geräte ab oder regeln den Volumenstrom herunter, um Schalldruck und Luftzug zu senken. Bei niedrigem Volumenstrom steigt wiederum die Infektionswahrscheinlichkeit.

Die Alternative ist normales Lüften. Sie raten zu Stoßlüften alle 20 oder besser alle 10 Minuten. Das stört Unterricht doch auch.

Ja und nein. Jedenfalls muss man wissen: Auch beim Einsatz von Luftreinigern muss man lüften, denn die Geräte wälzen die Luft nur um. Sie transportieren weder CO2 aus dem Raum noch die Wärme und Feuchtigkeit, die Menschen abgeben. Um das Fenster-Lüften kommt man nicht herum.

Konstantinos Stergiaropoulos. Foto: Universität Stuttgart

Konstantinos Stergiaropoulos. Foto: Universität Stuttgart

Das sagt doch auch niemand. Man kann ja trotzdem lüften, aber vielleicht in den Pausen und nicht alle zehn Minuten?

Das reicht aber nicht. Die CO2-Konzentration in voll besetzten Klassenräumen ist oft deutlich zu hoch. Das hat mit guter Innenraum-Luftqualität nichts mehr zu tun. Nur alle 45 Minuten in der Pause zu lüften genügt nicht. Klassenräume müssten auch ohne Pandemie alle 20 Minuten gelüftet werden.

Sie empfehlen den Einsatz von Luftreinigern für „schlecht zu lüftende Räume“. Was ist damit genau gemeint?

Letztlich geht es um die Frage, wie viel Quadratmeter zu öffnende Fensterfläche pro Kubikmeter Raum zur Verfügung steht. Für diese Berechnung haben wir ein Tool entwickelt und der Stadt Stuttgart zur Verfügung gestellt. Da sieht man, ob der Volumenstrom über die Fensterlüftung für das Zimmer ausreicht.

Spielten die Kosten der Geräte für Ihre Empfehlung eine Rolle?

Nein.

Der Staat gibt nun Millionen für Luftfilter aus, aber eine Maskenpflicht im Unterricht ist nur für die ersten zwei Wochen nach den Ferien vorgesehen. Leuchtet Ihnen das ein?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Masken wirken erwiesenermaßen sehr gut. Sie filtern Aerosole sowohl beim Aus- als auch beim Einatmen und scheiden dabei Viren ab. Die Diskussion über die Luftreiniger scheint mir stark politisch dominiert zu sein. Da herrscht Druck von Eltern, Schülern und Lehrern. Viele denken, man kauft mit so einem Gerät 100-prozentige Sicherheit. Das ist ein Trugschluss.

Ihre Studie lief in Schulräumen. Hat sie auch Aussagekraft für Kitas und Kindergärten?

Im Prinzip schon. Wie gesagt: Es geht immer um die Fensterfläche pro Raumvolumen und Personenzahl. Aber natürlich spielen kleine Kinder und bewegen sich mehr, sind auch mal sehr nah beieinander. Virusübertragung kann nicht nur durch Aerosole stattfinden, sondern auch durch ballistische Übertragung über Tröpfchen. Solche Tröpfchen, die beim Sprechen oder Schreien entstehen, können natürlich mehr Viren tragen als die kleineren Aerosole. Das erhöht die Übertragungswahrscheinlichkeit.

Zum Artikel

Erstellt:
17.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 17.07.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!