Koalition

„Das bleibt unser Geheimnis“

CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel und Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand könnten unterschiedlicher kaum sein – und regieren doch zusammen. Ein Gespräch über konträre Lebenswelten, gemeinsame Spaziergänge und Vertrauen in der Politik.

29.07.2021

Von AXEL HABERMEHL UND ROLAND MUSCHEL

Gemeinsame Spaziergänge als Vertrauensbasis: CDU-Fraktionschef Manuel Hagel (l.) und Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand vor dem Landtag. Fotos: Leif Piechowski Foto: Leif Piechowski

Gemeinsame Spaziergänge als Vertrauensbasis: CDU-Fraktionschef Manuel Hagel (l.) und Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand vor dem Landtag. Fotos: Leif Piechowski Foto: Leif Piechowski

Stuttgart. Zur Zeit der Sondierungs- und dann Koalitionsgespräche in Baden-Württemberg sind Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand, 33, und CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel, 33, oft zusammen im Stuttgarter Schlossgarten spazierengegangen. Auf diesem Weg wollte das ungleiche Duo Konflikte lösen oder erst gar nicht aufkommen lassen. Nun sitzen die beiden Jungstars der Landespolitik auf der Terasse des Landtagsgaststätte, mit Blick auf den Oberen Schlossgarten, zum ersten gemeinsamen Interview zusammen. Der Ton im eineinhalbstündigen Gespräch wechselt mehrfach zwischen ernsthaft und frotzelnd – ganz offensichtlich haben hier zwei, die, wie sie im Gespräch selbst sagen, mit ihren Biografien und Haltungen auf „unterschiedlichen politischen Planeten“ leben, eine gemeinsame Gesprächsebene gefunden.

Herr Hildenbrand, Sie haben der CDU im Landtags-Wahlkampf vorgeworfen, beim Klimaschutz „Bremsklotz“ der Koalition gewesen zu sein. Wie meinten Sie das?

Oliver Hildenbrand: Gegen Ende der Legislaturperiode hatten wir viele Differenzen, zum Beispiel beim Klimaschutz. Bei den Verhandlungen über unsere neue Koalition haben wir nun gemerkt, dass die CDU bereit ist, die Bremse zu lösen. Baden-Württemberg bekommt jetzt das fortschrittlichste Klimaschutzgesetz bundesweit. Vom Klotz am Bein kann da keine Rede mehr sein.

Herr Hagel, haben Sie den Vorwurf damals verstanden?

Manuel Hagel: Nein, weil er ja nicht stimmte. Aber unser persönliches Verhältnis ist so gut, dass man über so einen Lapsus hinwegsehen kann. Das ist verziehen, Oli. (lacht) Oder, um es mit Angela Merkel zu sagen: Schwamm drüber! Insgesamt tut uns manchmal mehr Gelassenheit gut und ich war ja fünf Jahre CDU-Generalsekretär. Ich weiß, dass man manchmal überspitzte Dinge sagt.

Herr Hildenbrand, nach der Wahl hatten die Grünen zwei Optionen: Fortführung der Regierung mit der CDU oder eine Ampelkoalition mit SPD und FDP. Was war ihr Favorit?

Hildenbrand: Bei den Sondierungsgesprächen ist mir die tiefe Abneigung der FDP gegen jede Form von politischer Regulierung negativ aufgefallen. Dagegen war ich mir mit Manu immer einig: Die Notwendigkeit von politischer Rahmensetzung steht außer Frage. Wir müssen dem Wandel eine Richtung geben und dafür braucht es ökologische und soziale Leitplanken.

Hagel: Wille und Tatkraft – darum geht es. Politik muss den Willen haben, zu entscheiden, aber auch die Kraft, das Entschiedene umzusetzen. Dazu braucht es einen klaren ordnungspolitischen Kompass, eng verwoben mit Erfindergeist, Ideenreichtum, Innovation und Hochtechnologie.

Die CDU hätte sich auch für eine Erneuerung in der Opposition entscheiden können.

Hagel: Erneuerung in der Opposition funktioniert doch nicht, sonst wäre die SPD im Land ja nahe an der absoluten Mehrheit. Das Wahlergebnis war für uns eine ziemliche Klatsche. Damit kann man auf zwei Arten umgehen: entweder schmollen und sich frustriert in die Ecke stellen oder die Ärmel hochkrempeln und sagen: Wir verstehen, lernen daraus, packen es an und übernehmen Verantwortung.

Manuel Hagel (CDU). Foto: Leif Piechowski

Manuel Hagel (CDU). Foto: Leif Piechowski

Sie beide sind während der Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen oft gemeinsam spazieren gegangen. Wie kam es dazu?

Hagel: Das begann schon früh. Oli war Landesvorsitzender der Grünen, ich CDU-Generalsekretär. Irgendwann haben wir gesagt, wir wollen uns verstehen bevor wir bewerten. Mit unseren Biografien und Haltungen leben wir ja auf unterschiedlichen politischen Planeten.

Hildenbrand: Wir beide sind fast gleich alt – und damit enden die Gemeinsamkeiten eigentlich auch schon. Manu vertritt einen ländlich geprägten Wahlkreis, ich einen städtischen. Er lebt mit Frau und Kindern im Alb-Donau-Kreis, ich mit meinem Freund in Stuttgart.

Hagel: Wenn du nur noch Vegetarier wärst! (lacht)

Hildenbrand: Das sagt ausgerechnet der Jäger!

Wie unterschiedlich blickt man vom jeweiligen Planeten auf die Politik?

Hildenbrand: Wir haben beide ein gutes Gespür für unsere jeweilige Partei. Deshalb haben wir den Versuch unternommen, uns gegenseitig Einblicke in unsere unterschiedlichen Traditionen und Denkweisen zu geben.

Hagel: Und in Mechanismen der Meinungsbildung.

Hildenbrand: Genau. All dies führt zu unterschiedlichen Sichtweisen und Haltungen. Das wollten wir genauer verstehen.

Hagel: Die Grünen und die CDU sind unterschiedliche Parteien – Gott sei Dank! Die Frage ist: Muss man jeden mit einer anderen Meinung belehren, bevormunden, niederringen? Oder lässt man andere Meinungen zu, sucht den Konsens und hat im Zweifel auch die Größe, mal was stehenzulassen?

Hildenbrand: Grün-Schwarz ist ein Bündnis ungleicher Partner. Daraus folgt, dass wir sowohl Kompromissbereitschaft als auch Konfliktbereitschaft brauchen. Für mich ist es einer der schlimmsten Vorwürfe, alle Parteien seien gleich. Sind sie nicht! Unterschiede verschwinden nicht, nur, weil man miteinander regiert. Damit ehrlich umzugehen, ist die Mühe wert.

Hagel: Das hat immer auch mit den handelnden Personen zu tun. Aber unterschiedliche Meinungen auszutauschen, das braucht es doch in einer Demokratie.

In der vergangenen Legislaturperiode gab es ja viel Streit.

Hagel: Man kann diskutieren, ohne sich zu beschimpfen. Eine Konfliktkoalition hilft dem Verursacher des Konflikts nicht. Das haben wir gelernt. Die Leute wollen doch von uns nicht wissen, was an den Vorschlägen des anderen schlecht ist, sondern was unsere eigenen Ideen für dieses Land sind.

Hildenbrand: Der Kipppunkt war 2018 die Entscheidung der CDU-Fraktion, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Wahlrechtsreform scheitern zu lassen. Man konnte daran sehen, welch gravierende Folgen es haben kann, wenn sich Misstrauen in eine Zusammenarbeit einschleicht. Das soll diesmal nicht passieren. Wir gehen die Reform jetzt erneut an – diesmal wirklich.

Haben Sie bei Ihren Spaziergängen auch konkrete Probleme gelöst?

Hagel: Das bleibt unser Geheimnis.

Oliver Hildenbrand (Grüne). Foto: Leif Piechowski

Oliver Hildenbrand (Grüne). Foto: Leif Piechowski

Aber es gab solche Punkte?

Hagel: Zahlreich! Es ging um viele inhaltliche Fragen. Dabei haben uns Natur und frische Luft geholfen, aber auch die Vertraulichkeit. Ich bin überzeugt, dass Politik mehr offene Gespräche braucht, von denen man weiß: Der Inhalt steht nicht am nächsten Tag in der Zeitung.

Ist es schwieriger, Kompromisse zu schließen oder diese anschließend gegenüber der eigenen Partei zu vertreten?

Hildenbrand: Ersteres. Das Werben um Akzeptanz für eine Kompromisslösung bei den eigenen Leuten ist einfacher, wenn die wissen, dass es Vertrauen und Verlässlichkeit gibt. Ich habe die Geschichte unserer Spaziergänge nicht ohne Grund mal bei einem Parteitag erzählt.

Hagel: Was wir vorher abgestimmt hatten.

Hildenbrand: Genau.

Hagel: Ich glaube, es war Hans-Dietrich Genscher der einmal gesagt hat: Koalitionen scheitern nie an Inhalten, sondern immer an Personen. Man muss sich ehrlich sagen können, was geht und was nicht. Ein Beispiel aus den Spaziergängen ist unser geplantes Antidiskriminierungsgesetz. Da habe ich klar gesagt: Oli, eine Beweislastumkehr, die, nach dem Berliner Modell, zu Lasten unserer Polizei gehen würde, kannst Du vergessen!

Hildenbrand: Wir werden den Schutz von Diskriminierung und Ungleichbehandlung wirksam verbessern. Wir orientieren uns dabei am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, nicht am Berliner Antidiskriminierungsgesetz. Ein Antidiskriminierungsgesetz ist ein Gesetz für ein respektvolles Miteinander und ein chancengleiches Zusammenleben. Davon profitieren wir alle.

Bald stehen Bundestagswahlen an: Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz – wäre das Ihre Traumkonstellation auch im Bund?

Hagel: Zuerst arbeiten wir hart dafür, dass die CDU so stark wie möglich wird. Und dann, Oli, vermittle ich Dir natürlich immer gern Kontakt zu einem Bundeskanzler Armin Laschet. (lacht)

Hildenbrand: Klingt ja toll ? Aber im Ernst: Im Wahlkampf wirbt jede Partei für sich. Koalitionsfragen stellen sich nach der Wahl, nicht vor der Wahl.

Hagel : So muss das sein! Es ist doch selbstverständlich, dass jede Partei im Wahlkampf für ihre Inhalte wirbt und die Wählerinnen und Wähler können dann entscheiden.

Hildenbrand: Dann kannst Du ja auch Deinem Armin Laschet schon mal von mir ausrichten, dass wir langsam über die großen Fragen reden sollten. Bisher geht es ja nur um irgendwelche Kleinigkeiten, aber nicht darum, welche Ideen die Parteien für das Land haben.

Hagel: Ich kann es ja twittern, dann liest es auch Jürgen Trittin. Aber Spaß beiseite: In unserem Wahlprogramm steht sehr klar, wo wir hinwollen.

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Erstellt:
29.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 51sec
zuletzt aktualisiert: 29.07.2021, 06:00 Uhr

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