Vor der Wahl

Das TV-Triell im Faktencheck

Fachaufsicht und taktisches Wählen: Im Schlagabtausch der Kandidaten ging einiges wild durcheinander. Die Auflösung der zentralen Ungereimtheiten im Überblick.

14.09.2021

Von Dominik Guggemos, Dieter Keller, Dorothee Torebko, Hajo Zenker

Die Kandidaten im Rennen um das Kanzleramt sind auf einer Leinwand in Berlin Adlershof zu sehen. Foto: Christophe Gateau/dpa

Die Kandidaten im Rennen um das Kanzleramt sind auf einer Leinwand in Berlin Adlershof zu sehen. Foto: Christophe Gateau/dpa

Im zweiten Triell zwischen Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) ging es heftig zur Sache – und zwar zu komplizierten Themen. Talkmaster Thomas Gottschalk sprach sogar von „Chefbeamten-Chinesisch“. Eine Übersetzung:

Will Scholz seine Rolle bei der Finanzministeriums-Razzia kleinreden? In der vergangenen Woche durchsuchte die Staatsanwaltschaft Osnabrück Räume des Bundesfinanzministeriums. Sie will herausfinden, wer in der Anti-Geldwäsche-Behörde FIU dafür verantwortlich war, dass Hinweise auf eine Millionen-Überweisung nach Afrika nicht gemeldet wurden, obwohl es den Verdacht der Terrorfinanzierung gab. Im Streit über diese Frage bekam Scholz rote Ohren im Triell. So richtig sei das Ministerium für diese Behörde gar nicht zuständig, wehrte er sich gegen heftige Vorhaltungen Laschets.

Klar ist, dass sein Ministerium für die FIU zuständig ist. Die Frage lautet jetzt, in welcher Form: Hat es die Fachaufsicht, kann es sogar Anweisungen geben – und Scholz' politische Verantwortung wäre größer. Hat das Ministerium nur die Rechtsaufsicht, kann es lediglich hinterher überprüfen, ob die FIU richtig gehandelt hat. Und was gilt? Ganz eindeutig ist das nicht zu beantworten, heißt es bei der Union: Geht es um konkrete Fälle, gibt es nur die Rechtsaufsicht. Das Ministerium könne aber sehr wohl untersuchen, ob die FIU generell richtig organisiert sei, um Geldwäsche-Meldungen effektiv zu verfolgen.

Hat Scholz zu wenig gegen Geldwäsche unternommen? Diesen Vorwurf erhob Annalena Baerbock: Eines der größten Probleme auch mit Blick auf den Staatshaushalt sei, „dass dem Staat rund 50 Milliarden Euro jährlich durch Steuerbetrug, durch Geldwäsche, durch kriminelle Aktivitäten durch die Lappen gehen“. Beschränkungen für besonders anfällige Barzahlungen gibt es hier tatsächlich keine. Scholz hat sie – ebenso wie die Union – bisher abgelehnt, schon weil viele Bürger Angst haben, das Bargeld solle ganz abgeschafft werden. In vier Bereichen spielen hohe Bargeldzahlungen eine große Rolle: Immobilien, Gebrauchtwagen, Uhren und Schmuck sowie Kunst. Eine Beschränkung gibt es seit Anfang 2020 bei Immobilien: Notare sind jetzt verpflichtet, Bargeldzahlungen von über 10 000 Euro zu melden – an die FIU.

Was ist nochmal der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme? Die Bundesrepublik ist in 299 Wahlkreise eingeteilt, jeder von ihnen entsendet einen direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag. Laschet hat mehrfach darauf hingewiesen, als es um den CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen ging. Er sei vom dortigen Parteiverband aufgestellt worden. Tatsächlich wählt man Maaßen (Erststimme) nicht mit, wenn man CDU wählt (Zweitstimme). Die Erststimme entscheidet, wer einen Wahlkreis gewinnt. Mit der Zweitstimme geben die Bürger der jeweiligen Landesliste einer Partei ihre Stimme. Die Zweitstimme wird häufig auch „Kanzlerstimme“ genannt, weil sie über die Sitzverteilung im Bundestag entscheidet.

Taktisches Wählen mit der Erststimme – wie geht das? Die Frage stellen sich nicht nur viele Bürger im Wahlkreis 196 in Südthüringen, wo Maaßen antritt. Hier haben etwa die Grünen dazu aufgerufen, den SPD-Kandidaten und früheren Biathlon-Olympiasieger Frank Ullrich zu wählen – um den umstrittenen Maaßen zu verhindern. Generell gilt: Wer mit der Erststimme vor allem seinen Anteil dazu leisten will, dass ein Kandidat nicht gewählt wird, sollte den aussichtsreichsten Gegenkandidaten wählen. Berechnungen zu einzelnen Wahlkreisen gibt es etwa auf Wahlkreisprognose.de oder election.de.

Wie war das mit der Impfpflicht? Während Scholz und Laschet eine Impfpflicht klar ablehnten, hat Baerbock deutlich gemacht, dass sie eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen befürwortet – etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich. International ist Baerbocks Position nicht abwegig: In den USA etwa hat Präsident Joe Biden eine Impfpflicht für alle Mitarbeiter von Bundesbehörden angekündigt. Eine Impfpflicht im Gesundheitswesen und in der Pflege gibt es in Italien seit März, in Griechenland seit Anfang September, in Frankreich tritt sie am Mittwoch in Kraft.

Konfuse Moderation: Die Moderatoren des Triells, ZDF-Polittalkerin Maybrit Illner und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, sind eigentlich erfahrene Journalisten. Dennoch wirkten ihre Fragen unstrukturiert. Zur Migration durfte sich etwa nur Laschet äußern. Zudem vermischten Illner und Köhr die Themen so stark, dass jeder der drei Kandidaten einmal nachhaken musste, was eigentlich die Frage sei.

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Erstellt:
14.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 14.09.2021, 06:00 Uhr

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