Literatur

Buchpreis: Das Leben und andere Debatten

Mit drei Titeln auf der Shortlist hat der Münchner Hanser Verlag schon gewonnen. Monika Helfer und Mithu Sanyal gehören zu den Favoritinnen auf den Buchpreis.

22.09.2021

Von Jürgen Kanold

Die Schriftstellerin Mithu Sanyal. Foto: Soeren Stache/dpa

Die Schriftstellerin Mithu Sanyal. Foto: Soeren Stache/dpa

Frankfurt/Main. Drei Frauen, drei Männer. Namhafte Schriftsteller und noch nicht ganz so bekannte Autorinnen, darunter eine Debütantin – aber niemand unter 50. Aus Österreich, der Schweiz, auch mit DDR-Vergangenheit oder Migrationshintergrund. Das sind Fakten, die eigentlich keine Leser interessieren müssten, die aber einer Jury des Deutschen Buchpreises gewiss nicht verborgen geblieben sind, als sie die sechs Titel der Shortlist auswählte – um es vorsichtig zu formulieren. Eine ausgewogene Wahl also, die Finalisten, per definitionem die sechs besten Romane des Jahres, haben unbestrittene Qualitäten.

Was auffällt: Die großen, etablierten Literaturverlage haben diesmal komplett das Rennen gemacht. Suhrkamp, S. Fischer – und bei Hanser in München haben am Dienstagmorgen sicherlich die Korken geknallt. Gleich drei Titel stehen auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, der am 18. Oktober dann, am Vorabend der Frankfurter Buchmesse, vergeben wird und dessen Sieger 25?000 Euro erhält – und dem großes Werbeaufsehen, ein Interview-Marathon und eine starke Auflage winken. Die Gründe? Dass sie gute Bücher herausgebracht haben, mag an der Jury liegen, an deren Vorlieben und Connections, auch daran, dass die großen Verlage mit ihrer Logistik und Pressearbeit besser durch die Corona-Krise gekommen sind, aber vielleicht auch einfach daran, dass sie ihre Autorinnen und Autoren pflegen und neue entdecken. Also gute Arbeit leisten.

Zum Beispiel Monika Helfer aus dem Bregenzerwald. Einen Teil ihrer Familiengeschichte hat die 74-Jährige schon in dem Roman „Die Bagage“ aufgeschrieben, in „Vati“ erzählt sie jetzt das Schicksal ihres in ärmsten Verhältnissen aufgewachsenen Vaters, der sein Leben lang Bücher liebte, der seine Herkunft abschütteln, in die Welt gehen wollte, aber in den Zweiten Weltkrieg ziehen musste und körperlich und seelisch versehrt zurückkehrte. Helfers Roman ist eigentlich ein Memoir, es geht um die eigene, wahre Geschichte, die Tochter setzt sich dem Erinnerungsprozess aus.

Die Klammer dieser Shortlist, sagt die Jury, sei die Tatsache, dass alle nominierten Titel das eigene Schreiben reflektierten. Das trifft auch Mithu Sanyals Debütroman „Identitti“ (ebenfalls Hanser). Die Autorin wurde 1971 als Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters in Deutschland geboren und mit dem Sachbuch „Vulva“, einer frechen Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts, bekannt. In „Identitti“ erzählt sie mit einem großen popkulturellen Background von den Problemen junger People of Color in Deutschland und von den Abgründen einer entgleisenden Debatte: Eine weiße Professorin für Postkolonialismus bastelt sich eine exotische Biografie zurecht, um mehr „of color“ zu sein.

Die Zeiten, die Themen ändern sich, was aber bleibt: sich in der Gesellschaft zurechtfinden, seine Identität suchen müssen – und dafür das eigene Leben recherchieren. Und das alles in traurig wahren oder lustvoll fiktiven Geschichten und fesselnden Romanen zu erzählen. Monika Helfer und Mithu Sanyal gehören zu den Favoritinnen auf den Buchpreis.

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Erstellt:
22.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 26sec
zuletzt aktualisiert: 22.09.2021, 06:00 Uhr

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