Regierung

Das Kultusressort als heiße Kartoffel

In keinem Politikfeld hat das Land größere Gestaltungsmacht. Warum sich Grüne und CDU trotzdem nicht um das zentrale Ministerium reißen.

10.04.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Willst Du, muss ich? Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl demonstrieren Einigkeit. Dass Klimapolitik die Klammer der Koalition sein soll, is klar. Wer das zentrale Kultusressort verantworten soll, ist offen. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Willst Du, muss ich? Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl demonstrieren Einigkeit. Dass Klimapolitik die Klammer der Koalition sein soll, is klar. Wer das zentrale Kultusressort verantworten soll, ist offen. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Stuttgart. In den Sondierungsgesprächen mit der SPD soll Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) laut Teilnehmern gleich zwei Mal bedeutet haben, dass im Falle einer grün-gelb-roten Ampelkoalition SPD-Landeschef Andreas Stoch ja wohl das Kultusministerium übernehmen werde: „Das machst dann Du, Andi.“ Stoch war zu Zeiten der grün-roten Koalition im Land drei Jahre lang, von 2013 bis 2016, sein Kultusminister und hat die Wogen, die seine Vorgängerin Gabriele Warminski-Leitheußer durch im Eiltempo umgesetzte Reformen ausgelöst hatte, geglättet. Er kennt das große, verästelte Ressort, das vor und nach, aber nicht so sehr zu seiner Zeit, als schwer zu führen gegolten hat, und er kennt die Lehrerverbände mit ihren unterschiedlichen Agenden. Der 72-jährige Regierungschef war mit der Arbeit des SPD-Politikers sehr zufrieden, ein Anhänger personeller Veränderungen ist er ohnehin nicht.

Zumindest diese Baustelle wäre bei einer Entscheidung für eine Ampel also abgeräumt gewesen. So aber stehen die grünen Wahlsieger vor der Frage, ob sie ihre neue Stärke nutzen sollen, um sich den Zugriff auf das mit Abstand wichtigste Ministerium im Land zu sichern. Als deutlich stärkerer Koalitionspartner hätten sie das Vorrecht.

In keinem anderen Bereich hat das Land so starke Kompetenzen, in keinen anderen Bereich fließt so viel Geld. Mit über zwölf Milliarden Euro pro Jahr ist der Etat des Kultusministeriums der mit Abstand größte Einzeletat im Landeshaushalt. Danach kommt lange nichts. Etwa jeden vierten Euro, den das Land ausgibt, gibt es für den Schulbereich aus.

In ihrem Landtagswahlprogramm haben die Grünen versprochen, sich für „beste Bildung von Anfang an“ einzusetzen. In der grün-rot dominierten Szene der Bildungsverbände im Südwesten ist die Erwartungshaltung groß. „Die Grünen stehen in der Verantwortung, dass die Bildungspolitik in der neuen Regierung eine deutlich grünere Handschrift trägt“, fordert etwa Matthias Schneider, der Landesgeschäftsführer der mit rund 50 000 Mitgliedern größten Bildungsgewerkschaft im Land, der GEW.

Kretschmann, früher selbst Lehrer, soll im kleinen Kreis die Frage ventiliert haben, ob diesmal nicht auf grünem Ticket eine Fachfrau oder ein Fachmann das Kultusressort übernehmen solle. Beispiele dafür gibt es: CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel berief 1995 überraschend die damalige Geschäftsführerin der bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk, Annette Schavan, zur Kultusministerin; 2010 gelang CDU-Regierungschef Stefan Mappus mit der Berufung des damaligen Vorstandsmitglieds der Fraunhofer Gesellschaft und vormaligen Präsidentin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München, Marion Schick, ein ähnlicher Coup.

2011 und 2016 indes hat Kretschmann, dem Eindruck des jeweiligen Koalitionspartners zufolge, das Ministerium mit leichter Hand der SPD respektive CDU überlassen. Er weiß auch um die Fährnisse. Dazu kommt, dass die Partei diesmal bei Personalentscheidungen mitreden will, wie der Parteirat nach dem Ärger um das Aus für die Ampel in der internen Aussprache deutlich gemacht hat. Besetzungen von außen erleichtert das nicht.

Die CDU wiederum wäre heilfroh, wenn die Grünen das Kultusressort übernehmen würden. In der Bildungspolitik könne man allenfalls unentschieden spielen, hatte es in der Partei schon geheißen, als sie noch die Regierungschefs stellte. Schüler, Eltern, Lehrer, Großeltern: Jede und jeder habe eine Meinung zu Schulthemen, da könne man nie alle zufriedenstellen. Nach der Wahlpleite hat diese Lesart erst recht Konjunktur. Das Amt der Kultusministerin, so die Analyse, habe der CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann nicht geholfen, sondern geschadet. Grüne Strategen sehen das ähnlich, weshalb sie intern raten, die neue Stärke lieber dazu zu nutzen, das Portfolio an grün-geführten Ressorts um das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu erweitern. Man strebe schließlich einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Landwirten, Handelsketten und Verbrauchern an.

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Erstellt:
10.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 10.04.2021, 06:00 Uhr

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