Pandemie

Corona und das Geheimnis der Zahlen

Wie viele Impfdurchbrüche gibt es Warum nennen RKI und Divi unterschiedliche Werte? Und wie schneidet der Impfstoff von Moderna im Vergleich zu Biontech ab?

22.11.2021

Von Dominik Guggemos & Hajo Zenker

In einem abgetrennten Bereich einer Intensivstation wird ein Covid-Patient künstlich beatmet. Foto: Marijan Murat/dpa

In einem abgetrennten Bereich einer Intensivstation wird ein Covid-Patient künstlich beatmet. Foto: Marijan Murat/dpa

In den kommenden Monaten wird deutlich weniger Impfstoff von Biontech ausgeliefert, dafür kommt vermehrt Moderna zum Einsatz. Warum das so ist und welche Auswirkungen das hat, wie viele Impfdurchbrüche es derzeit gibt und was es mit unterschiedlichen Angaben zur Sterbewahrscheinlichkeit von Infizierten auf sich hat.

Warum wird jetzt weniger Biontech verimpft? Das Bundesgesundheitsministerium hat für das Vakzin von Biontech/Pfizer eine „Höchstbestellmenge“ von 30 Dosen pro Woche für niedergelassene Ärzte und 1020 Dosen für Impfzentren und mobile Impfteams angekündigt, die Regelung gilt ab Montag. Begründet wird der Schritt damit, dass Biontech derzeit 90 Prozent der Bestellungen ausmacht, Deutschland aber noch 16 Millionen Dosen des Impfstoffes von Moderna auf Lager hat, die Mitte des ersten Quartals 2022 verfallen würden.

Ist Moderna so wirksam wie Biontech? Laut aktueller Studienlage schützt das Vakzin gegen die Delta-Variante sogar noch besser als Biontech. Eine Studie aus den USA rechnet mit einer Wirksamkeit von 76 Prozent gegen eine Infektion mit der Delta-Variante – bei Biontech sind es 42 Prozent. Zwar muss dieses Ergebnis noch bestätigt werden, aber auch eine weitere Studie aus Katar kommt zu dem Schluss: Der Schutz vor Infektion wie Hospitalisierung sei bei Moderna höher als bei Biontech. Erste Studiendaten deuten an, dass auch die Dauer des Schutzes länger sein könnte. Jüngere Menschen unter 30 Jahren sollten sich aber laut einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) mit Biontech impfen lassen. Moderna kann in dieser Altersgruppe Nebenwirkungen wie Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen verursachen.

Wie viele Impfdurchbrüche gibt es? Das RKI hat 214 815 Impfdurchbrüche registriert. Angesichts von 56,4 Millionen vollständig Immunisierten entspricht das 0,38 Prozent. Lange Zeit hatte die Quote noch unter 0,1 Prozent gelegen. Auffällig ist die vergleichsweise hohe Zahl der Durchbrüche bei der Einmalinjektion von Johnson & Johnson. In Deutschland beträgt der Anteil dieses Vakzins an den vollständig Geimpften knapp sechs Prozent, an den Durchbrüchen aber fast zwölf Prozent. Die Stiko empfiehlt deshalb allen mit Johnson & Johnson Geimpften bereits nach vier Wochen eine Auffrischung mit Biontech oder Moderna vornehmen zu lassen. Die meisten trotz Impfung Infizierten haben keine oder nur milde Symptome, die Ansteckung wird häufig durch Zufall entdeckt, etwa durch einen Test am Arbeitsplatz. Ältere und Vorerkrankte können jedoch auch nach zwei Impfungen im Krankenhaus landen – gerade, wenn die zweite Dosis einige Monate her ist.


Erfahrungen aus Israel

So verweist das Stiko-Mitglied Fred Zepp auf Studien aus Israel, England und Schweden, nach denen die verwendeten Impfstoffe „etwa fünf bis acht Monate nach der zweiten Dosis an Wirksamkeit verlieren“. Und das ist zum Teil deutlich der Fall. Gleichzeitig zeigen aber auch Zahlen aus Israel, dass die dritte Injektion für einen 20-fach höheren Impfschutz sorgt als eine Zweifachimpfung.

Für die Vorsitzende der Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, ist der Booster denn auch die Komplettierung eines vollständigen Schutzes. Trotzdem ist der Effekt auch von zwei Impfdosen deutlich: So weist das bayerische Gesundheitsministerium für Ungeimpfte eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1469 Ansteckungen auf 100 000 Einwohner aus – für Geimpfte sind es 110.

Wie viel Prozent der Infizierten werden sterben? Eine fundamental wichtige Kennziffer für die Bewertung und den weiteren Verlauf der Pandemie. Umso erstaunlicher ist es, dass die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und das Robert-Koch-Institut (RKI) hier unterschiedliche Angaben machen. Vordergründig zumindest. Die Divi rechnet damit, dass 0,8 Prozent aller Menschen in Deutschland, die sich mit dem Coronavirus infizieren, später auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Dort sterben zwischen 40 und 45 Prozent der beatmeten Patienten. 0,8 Prozent ist die Zahl, die zuletzt von RKI-Präsident Lothar Wieler verwendet wurde, allerdings in einem anderen, noch schwerwiegenderen Kontext: „Zuletzt sind 0,8 Prozent der Erkrankten gestorben. Das bedeutet, dass von den mehr als 50 000 Infizierten pro Tag in den nächsten Wochen 400 sterben werden.“

Wenn aber 0,8 Prozent der Infizierten auf der Intensivstation müssen und dort zwischen 55 und 60 Prozent überleben, wie kommt Wieler dann zu dieser Zahl? Wer liegt falsch? Diese Zeitung hat beim RKI und der Divi nachgefragt. Die Antwort lautet: beide Angaben stimmen, obwohl sie sich auf den ersten Blick widersprechen. Wieler rechnet Menschen mit, die sterben, auch ohne vorher auf der Intensivstation behandelt zu werden. Eine Divi-Sprecherin: „Gerade nach der ersten Welle haben viele ältere Menschen über 80 verfügt, nicht beatmet werden zu wollen, zuhause zu sterben oder begleitet auf einer Palliativstation, Hospiz oder dann auf einer Geriatrie.“

Vor allem ein Logistikproblem

Der Hartmannbund, also der Berufsverband der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, geht hart mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ins Gericht. „Es wäre ein fataler Kollateralschaden der einsamen und unsachgemäßen Rationierungsentscheidung des scheidenden Gesundheitsministers, wenn jetzt der ungerechtfertigte Eindruck entstünde, Moderna sei im Vergleich zu Biontech ein weniger guter Impfstoff“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Hartmannbundes, Anke Lesinski-Schiedat. Es gehe vielmehr um Logistikprobleme und fehlende Planungssicherheit für die niedergelassenen Ärzte, die in den Praxen wichtige Motoren der Impfkampagne seien. dgu

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Erstellt:
22.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 36sec
zuletzt aktualisiert: 22.11.2021, 06:00 Uhr

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