Tübingen

Busstreik: Viele warten ahnungslos in der Kälte

Hunderte Fahrgäste warten in den Morgenstunden am Montag am Tübinger Busbahnhof. Die Fahrtausfälle treffen sie unvorbereitet, die wenigen Ersatzbusse sind überfüllt.

15.11.2021

Von Anna Maria Jaumann

Überfüllt sind die Busse, die noch fahren - hier die Linie 18. Bild: Anna Maria Jaumann

Überfüllt sind die Busse, die noch fahren - hier die Linie 18. Bild: Anna Maria Jaumann

Im Morgengrauen tummeln sich etliche Schülerinnen und Schüler am Tübinger Busbahnhof. Viele von ihnen werden zum Unterrichtsbeginn jedoch nicht in der Schule sein. Denn: Es fahren nur wenige Busse, der Großteil wird bestreikt. „Wir wissen nicht mal, wie wir zur Schule kommen sollen. Ich muss zur GSS, da laufe ich eine Stunde hoch“, sagt ein Schüler, der in der Kälte wartet. „Und nicht alle Lehrerinnen und Lehrer haben Verständnis dafür, dass man dann zu spät kommt“, ergänzt sein Mitschüler. Von dem Streik haben die Schüler nichts gewusst. Sie hätten schon mit ihren Eltern telefoniert: „Aber das ist jetzt eh schon zu spät – die sind schon bei der Arbeit.“

Warum gestreikt wird, wissen viele Wartende nicht genau. „Es geht bestimmt wieder ums Geld, ist doch immer so“, sagt eine Schülerin der Geschwister-Scholl-Schule. Eine andere Schülergruppe beklagt die mangelhaften Informationen vor Ort: „Man wird hier auch gar nicht informiert, welche Ersatzlinien fahren. Als Fünftklässler wär’ ich hier echt verzweifelt“, sagt eine ältere Jugendliche.

In der Tat: Die Information, dass der Tübus-Verkehr bestreikt wird, steht in einer nicht gerade prominent platzierten Unterzeile auf den Anzeigetafeln an den Bussteigen. Kein Wunder, dass einige Fahrgäste völlig überrascht sind. Etwas später am Vormittag sagt eine Frau am Bussteig vor dem Marktladen: „Ach, die streiken heute wieder? Ich hab’s gar nicht gesehen.“

Andere sind ähnlich ahnungslos: „Für mich ist das gerade heute wirklich schlecht. Ich muss die Linie 3 nehmen, die fährt nun gar nicht und um 9 Uhr habe ich einen Kundentermin im Geschäft“, klagt ein Berufspendler am Busbahnhof. Eine Frau findet: „Es ist schon verständlich, dass sie streiken, aber man hätte es wenigstens ankündigen können. Über die DB-App oder so.“ Es ist der vierte Streik der Busfahrer während der zähen Verhandlungen in diesem Jahr. Zwar hat die Gewerkschaft Verdi die Streiks angedeutet, jedoch erst am Montagmorgen um 5.25 Uhr ist klar, dass auch der Tübinger und Reutlinger Busverkehr bestreikt werden – also erst unmittelbar vor Betriebsbeginn. Nur die Linien 5, 18, 19 und 23 fahren im Tübinger Stadtverkehr – größtenteils aber seltener als sonst.

Einige Fahrgäste sind sich unsicher, ob sie überhaupt in die überfüllten Ersatzbusse einsteigen möchten. „Gerade jetzt, wo die Corona-Zahlen so explodieren, ist das völlig unverantwortlich“, sagt eine Frau. „Die fahren ja auch noch zu den Kliniken hoch – das geht gar nicht.“ Ulrich Schermaul, Pressesprecher der Stadtwerke Tübingen, sagt dazu: „Jeder Gast muss für sich selbst entscheiden, ob er oder sie mit dem Bus fahren möchte.“ Er bedauere jedoch die Unannehmlichkeiten: „Uns sind da die Hände gebunden.“

Warten am Busbahnhof am Montagmorgen. Bild: Anna Maria Jaumann

Warten am Busbahnhof am Montagmorgen. Bild: Anna Maria Jaumann

Der Ersatzverkehr sei dieses Mal auch nicht so umfangreich wie bei den vergangenen Streiks. Dadurch seien vor allem Schüler an diesem Montag stärker von den Fahrtausfällen betroffen. Es sei jedoch nicht möglich, mehr Busse fahren zu lassen: „Wir sind abhängig von den Verhandlungen mit Verdi. Mehr Fahrpersonal steht uns nicht zur Verfügung“, sagt Schermaul. Am wichtigsten sei es den Stadtwerken, die Linie vom Hauptbahnhof zu den Kliniken bedienen zu können.

Die Linie 5 hinauf auf den Schnarrenberg fährt auch, weil sich nicht alle Busfahrer am Streik beteiligen: „Ich bin nicht bei Verdi. War ich mal, aber es war mir irgendwann zu teuer“, sagt ein Fahrer dem TAGBLATT. „Wenn ich heute nicht fahren würde, machen mir die Vorgesetzten einen Strich ins Fahrtenbuch und ich bekomme kein Geld.“

Die Streiks in Tübingen und Reutlingen finden einen Tag vor der elften Verhandlungsrunde zwischen Verdi und dem Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO) statt. Etwa 9000 Fahrerinnen und Fahrer in Land sind von den Tarifverhandlungen betroffen. Auch nach zehn Verhandlungsrunden gibt es noch keine Einigung bezüglich der Bezahlung der Standzeiten.

In einer Pressemitteilung wird Verdi-Verhandlungsführerin Hanna Binder zitiert: „Acht Monate zähe Verhandlungen für eine Selbstverständlichkeit, die angemessene Bezahlung von Standzeiten, müssen jetzt ein Ende finden.“ Der Montag solle der letzte Streiktag sein. „Dafür müssen sich die Arbeitgeber endlich den entscheidenden Ruck geben“, so Binder.

Der WBO sieht die Möglichkeit zur Kompromissfindung derweil „nur am Verhandlungstisch – nicht auf der Straße“, heißt es in einer Pressemitteilung vom Montag. „Die aktuellen Forderungen der Gewerkschaft nach vollständiger Bezahlung von geteilten und weitestgehender Bezahlung von ungeteilten Diensten sind unerfüllbar, da helfen auch keine Demonstrationen“, wird WBO-Verhandlungsführer Horst Windeisen zitiert. Streiks würden genau die Falschen am meisten treffen: Jugendliche, Studierende und Pendelnde. Und die hätten es angesichts der Corona-Pandemie schon schwierig genug.

Verdi zieht Bilanz

Über 800 Busfahrerinnen und Busfahrer aus 20 Unternehmen haben am Montag ihre Arbeit ganztägig niedergelegt. 500 nahmen an der zentralen Demonstration in Stuttgart teil, bei der auch Appelle an die Landesregierung gerichtet worden sind. Am Dienstag werden die Verhandlungen in Sindelfingen dann in elfter Runde ab 9 Uhr fortgesetzt. „Die Arbeitgeber sollten das heutige Signal ernst nehmen: Die Busfahrerinnen und Busfahrer sind bereit, weiter für eine Bezahlung ihrer Schichtzeiten zu kämpfen“, wird Verdi-Verhandlungsführerin Hanna Binder in einer Mitteilung zitiert. Aber auch zu einem „Abschluss zu anständigen Bedingungen“ seien die Streikenden bereit. „Dafür müssen die Arbeitgeber aber morgen endlich liefern.“

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Erstellt:
15.11.2021, 12:08 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 39sec
zuletzt aktualisiert: 15.11.2021, 12:08 Uhr

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