Tübingen
Busstreik: Viele warten ahnungslos in der Kälte
Hunderte Fahrgäste warten in den Morgenstunden am Montag am Tübinger Busbahnhof. Die Fahrtausfälle treffen sie unvorbereitet, die wenigen Ersatzbusse sind überfüllt.
Warum gestreikt wird, wissen viele Wartende nicht genau. „Es geht bestimmt wieder ums Geld, ist doch immer so“, sagt eine Schülerin der Geschwister-Scholl-Schule. Eine andere Schülergruppe beklagt die mangelhaften Informationen vor Ort: „Man wird hier auch gar nicht informiert, welche Ersatzlinien fahren. Als Fünftklässler wär’ ich hier echt verzweifelt“, sagt eine ältere Jugendliche.
In der Tat: Die Information, dass der Tübus-Verkehr bestreikt wird, steht in einer nicht gerade prominent platzierten Unterzeile auf den Anzeigetafeln an den Bussteigen. Kein Wunder, dass einige Fahrgäste völlig überrascht sind. Etwas später am Vormittag sagt eine Frau am Bussteig vor dem Marktladen: „Ach, die streiken heute wieder? Ich hab’s gar nicht gesehen.“
Andere sind ähnlich ahnungslos: „Für mich ist das gerade heute wirklich schlecht. Ich muss die Linie 3 nehmen, die fährt nun gar nicht und um 9 Uhr habe ich einen Kundentermin im Geschäft“, klagt ein Berufspendler am Busbahnhof. Eine Frau findet: „Es ist schon verständlich, dass sie streiken, aber man hätte es wenigstens ankündigen können. Über die DB-App oder so.“ Es ist der vierte Streik der Busfahrer während der zähen Verhandlungen in diesem Jahr. Zwar hat die Gewerkschaft Verdi die Streiks angedeutet, jedoch erst am Montagmorgen um 5.25 Uhr ist klar, dass auch der Tübinger und Reutlinger Busverkehr bestreikt werden – also erst unmittelbar vor Betriebsbeginn. Nur die Linien 5, 18, 19 und 23 fahren im Tübinger Stadtverkehr – größtenteils aber seltener als sonst.
Einige Fahrgäste sind sich unsicher, ob sie überhaupt in die überfüllten Ersatzbusse einsteigen möchten. „Gerade jetzt, wo die Corona-Zahlen so explodieren, ist das völlig unverantwortlich“, sagt eine Frau. „Die fahren ja auch noch zu den Kliniken hoch – das geht gar nicht.“ Ulrich Schermaul, Pressesprecher der Stadtwerke Tübingen, sagt dazu: „Jeder Gast muss für sich selbst entscheiden, ob er oder sie mit dem Bus fahren möchte.“ Er bedauere jedoch die Unannehmlichkeiten: „Uns sind da die Hände gebunden.“
Die Linie 5 hinauf auf den Schnarrenberg fährt auch, weil sich nicht alle Busfahrer am Streik beteiligen: „Ich bin nicht bei Verdi. War ich mal, aber es war mir irgendwann zu teuer“, sagt ein Fahrer dem TAGBLATT. „Wenn ich heute nicht fahren würde, machen mir die Vorgesetzten einen Strich ins Fahrtenbuch und ich bekomme kein Geld.“
Die Streiks in Tübingen und Reutlingen finden einen Tag vor der elften Verhandlungsrunde zwischen Verdi und dem Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO) statt. Etwa 9000 Fahrerinnen und Fahrer in Land sind von den Tarifverhandlungen betroffen. Auch nach zehn Verhandlungsrunden gibt es noch keine Einigung bezüglich der Bezahlung der Standzeiten.
In einer Pressemitteilung wird Verdi-Verhandlungsführerin Hanna Binder zitiert: „Acht Monate zähe Verhandlungen für eine Selbstverständlichkeit, die angemessene Bezahlung von Standzeiten, müssen jetzt ein Ende finden.“ Der Montag solle der letzte Streiktag sein. „Dafür müssen sich die Arbeitgeber endlich den entscheidenden Ruck geben“, so Binder.
Der WBO sieht die Möglichkeit zur Kompromissfindung derweil „nur am Verhandlungstisch – nicht auf der Straße“, heißt es in einer Pressemitteilung vom Montag. „Die aktuellen Forderungen der Gewerkschaft nach vollständiger Bezahlung von geteilten und weitestgehender Bezahlung von ungeteilten Diensten sind unerfüllbar, da helfen auch keine Demonstrationen“, wird WBO-Verhandlungsführer Horst Windeisen zitiert. Streiks würden genau die Falschen am meisten treffen: Jugendliche, Studierende und Pendelnde. Und die hätten es angesichts der Corona-Pandemie schon schwierig genug.
Verdi zieht Bilanz
Über 800 Busfahrerinnen und Busfahrer aus 20 Unternehmen haben am Montag ihre Arbeit ganztägig niedergelegt. 500 nahmen an der zentralen Demonstration in Stuttgart teil, bei der auch Appelle an die Landesregierung gerichtet worden sind. Am Dienstag werden die Verhandlungen in Sindelfingen dann in elfter Runde ab 9 Uhr fortgesetzt. „Die Arbeitgeber sollten das heutige Signal ernst nehmen: Die Busfahrerinnen und Busfahrer sind bereit, weiter für eine Bezahlung ihrer Schichtzeiten zu kämpfen“, wird Verdi-Verhandlungsführerin Hanna Binder in einer Mitteilung zitiert. Aber auch zu einem „Abschluss zu anständigen Bedingungen“ seien die Streikenden bereit. „Dafür müssen die Arbeitgeber aber morgen endlich liefern.“