Corona

Bundesweiter Lockdown nicht möglich

Die Infektionszahlen steigen dramatisch – und die möglichen Ampel-Partner stellen die Pandemie-Bekämpfung auf eine neue Grundlage. 

19.11.2021

Von Michael Gabel und Dieter Keller

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag im Bundestag. Foto: John MacDougall/afp

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag im Bundestag. Foto: John MacDougall/afp

Das geänderte Infektionsschutzgesetz hat den Bundestag passiert, muss aber noch durch den Bundesrat. Zudem hat der Bundestag die sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht verlängert. Was all das bedeutet – Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was genau ändert sich nun? Vor allem können Einschränkungen wie Einkaufsverbote, Ausgangssperren und Schulschließungen nicht mehr flächendeckend verfügt werden – wenn der Bundesrat zustimmt. Künftig bleibt es im Grundsatz den Bundesländern beziehungsweise den Kommunen überlassen, wenn sie beispielsweise eine einzelne Schule schließen wollen, weil es dort zu einem Corona-­Ausbruch gekommen ist. Die Union kritisiert, dass den Ländern damit „Instrumente aus der Hand geschlagen“ werden. Nach Angaben von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wurde eine Evaluierung Anfang Dezember vereinbart mit der Möglichkeit zu „kurzfristigen Änderungen“. Festgelegt wurde auch, dass in Betrieben nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete (3G) arbeiten dürfen.

Wie soll 3G im Betrieb funktionieren? Künftig dürfen Arbeitgeber nur noch Mitarbeiter in den Betrieb lassen, die die 3G-Regeln erfüllen. Dazu müssen sie zunächst bei jedem Arbeitnehmer abfragen, ob sie geimpft oder genesen sind. Diese müssen das nicht beantworten. Die Status-Dokumentation darf der Arbeitgeber nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums bis zu sechs Monate lang speichern. Er muss also nicht täglich alle neu befragen, sondern nur diejenigen, für die er keinen Nachweis der Impfung oder Genesung hat. Diese müssen in jedem Fall vor Betreten des Betriebsgeländes einen (Schnell-)Test vorweisen, der maximal 24 Stunden alt ist. Ein Selbsttest zu Hause reicht nicht. Wer sich weigert, darf nicht aufs Betriebsgelände. Wer es trotzdem betritt, dem droht ein Bußgeld. Verweigerer haben keinen Anspruch auf Lohn. Im schlimmsten Fall droht die Kündigung.

Wie ist die Infektionslage? Probleme bereitet vor allem, dass viele Intensivstationen am Anschlag sind. Bundesweit sind nur noch elf Prozent aller Intensivbetten frei, wie die Intensivmedizinervereinigung Divi mitteilte. Besonders dramatisch ist die Situation in Bayern und Baden-Württemberg. Der Präsident des Robert-­Koch-Instituts, Lothar Wieler, schlug Alarm. „Wir waren noch nie so beunruhigt wie jetzt“, sagte er. Für Menschen mit Schlaganfall und andere Schwerkranke müsse mancherorts bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbett gesucht werden.

Sind Geimpfte ähnlich gefährdet wie Ungeimpfte? Die Zahlen von Intensivstationen klingen dramatisch: Immerhin drei von zehn Patienten dort sind vollständig geimpft, wie aus Klinik-Umfragen hervorgeht. Aber das bedeutet nicht, dass Geimpfte ein vergleichbares Covid-Risiko tragen wie Ungeimpfte. Denn da es in Deutschland weit mehr Geimpfte als Ungeimpfte gibt, entstammt das Drittel Intensivpatienten einer viel größeren Bevölkerungsschar. Die Gefahr für Geimpfte, schwer zu erkranken, also um ein Vielfaches geringer als für Ungeimpfte.

Wie sieht es in den Corona-Hotspots aus? Im Hotspot Sachsen wird besonders deutlich, dass die Infektionszahlen bei Geimpften und Ungeimpften gravierend auseinandergehen. So haben sich laut aktuellen Angaben der dortigen Behörden unter den Geimpften 64 von 100 000 Einwohnern in den vorhergehenden sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt. Bei den Ungeimpften waren es im Vergleichszeitraum dagegen 1823. Zwar sind auch diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. So müssen sich Ungeimpfte deutlich häufiger testen lassen als Geimpfte, auch nicht geimpfte Schülerinnen und Schüler werden regelmäßig auf Infektionen untersucht, was die Statistik verzerrt. Diese Faktoren seien aber nicht so bedeutend, dass sie die gravierenden Unterschiede bei den Infiziertenzahlen erklärten, sagt Carsten Watzl von der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Wie bewältigt die Arbeitslosenversicherung Corona? Mit rund 52 Milliarden Euro zusätzlichen Ausgaben 2020 und 2021 rechnet die Bundesagentur für Arbeit (BA). 42 Milliarden Euro entfallen auf Kurzarbeitergeld, zehn Milliarden Euro auf zusätzliches Arbeitslosengeld. Knapp die Hälfte stammt aus der Rücklage, den Rest schießt der Bund zu. Im Haushalt 2022 hat BA-Finanzchefin Christiane Schönefeld nur noch 1,7 Milliarden Euro für Kurzarbeit eingeplant. Im Jahresdurchschnitt geht sie von 300 000 Kurzarbeitern aus. Trotz der vierten Welle könnte das reichen, wenn sie weitgehend mit Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte in den Griff zu bekommen ist. In jedem Fall klafft im BA-Haushalt 2022 noch ein Loch von 900 Millionen Euro, das der Bund stopfen muss. Eine Erhöhung des Beitragssatzes von 2,4 Prozent ist zumindest bis Ende 2022 ausgeschlossen.

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Erstellt:
19.11.2021, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 19.11.2021, 06:00 Uhr

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