Tübingen · 14. Weltethos-Rede
Bundespräsident fordert geduldiges Knotenlösen
Klimapolitik, Solidarität und Dialog: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte in Tübingen davor, die Demokratie abzuwerten.
„Natürlich haben wir auch dort das Gespräch gesucht“, sagte Steinmeier auf dem Podium vor 900 geladenen Gästen im Universitäts-Festsaal der Neuen Aula und formulierte dann an diesem Beispiel die Quintessenz seiner Weltethos-Rede, die er zuvor gehalten hatte: „Wir müssen über die Grundlagen von Demokratie sprechen. Es wird soviel gequasselt ohne Grundlagen.
Etwa darüber, ob wir die Blumen an der richtigen Stelle niedergelegt haben“, sagte der gebürtige Ostwestfale. „An einer solchen Diskussion beteiligen sich tausende Menschen, die von nichts eine Ahnung haben. Sie füllen Spalten mit Gequassel, die nichts zu tun haben mit den Grundlagen unseres Zusammenlebens.“
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Seit dem Jahr 2000 organisieren die Uni Tübingen und die Stiftung Weltethos jährliche Reden von herausragenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Steinmeiers Reden seien wohltuend, klug und weise, kündigte Stiftungs-Präsident Eberhard Stilz die 14. Weltethos-Rede an: „Bei Ihnen, Herr Bundespräsident, haben wir die innere Nähe zu dem Gründer und zum Stiftungszweck gespürt.“
Küngs These gilt
Das „Projekt Weltethos“ geht auf Hans Küng zurück. Der Theologe hatte in seiner gleichnamigen Programmschrift von 1990 die These aufgestellt, dass friedliches Zusammenleben nur mit interkulturellen und interreligiösen Werten möglich sei. Eine These, die auch aus der Politik nicht wegzudenken sei, sagte Steinmeier: „Zusammenarbeit der Religionen in weltethischer Absicht, das ist etwas, dessen Notwendigkeit ja auch Diplomatie und auswärtige Politik erkannt haben.“
Wer sich heute über gemeinsame ethische Grundlagen, über das „Ethos des Zusammenlebens“ verständigen wolle, müsse sich auch mit Religionen beschäftigen, so Steinmeier. Im vergangenen Jahr hatte der Bundespräsident Hans Küng zu dessen 90. Geburtstag mit den Worten gratuliert, dass sein Name wie kaum ein anderer symbolisch dafür stehe, wie Philosophie und Politik zueinander finden, wie Denker die Politik befruchten könnten.
Dieser Gedanke zog sich wie ein roter Faden durch Steinmeiers fast schon philosophische Rede, in der er anhand des Philosophens Jürgen Habermas die These entwickelte: Begegnung, Dialog und „Hören voneinader“ seien Grundlage für ein gemeinsames Ethos. „Gespräch hat immer mit Geduld zu tun. Das gilt innerstaatlich und das gilt erst recht im außenpolitischen Bereich, in der Diplomatie.“ Steinmeier, 2009 Kanzlerkandidat der SPD, war im Kabinett Merkel I und III rund zehn Jahre als deutscher Außenminister tätig.
Demokratie als einzige Staatsform
Das Ethos verantwortlich handelnder Politiker bestehe, so Steinmeier, „im bescheidenen, unbeirrbaren, geduldigen Knotenlösen“. Einen solchen Raum zum gemeinsamen Knotenlösen biete einzig die Demokratie als Staatsform. Sie dürfe man auch nicht im Kampf gegen den Klimawandel verteufeln, sagte er. „Gerade jetzt, im Angesicht der drängenden ökologischen Fragen, sollten wir uns davor hüten, die Möglichkeiten der Demokratie gegen die bedrohliche, ja geradezu apokalyptische Größe der Herausforderung kleinzureden.“
Denn, so führte Steinmeier in der anschließenden Podiumsdiskussion mit Stilz und Weltethos-Mitarbeiterin Anna Tomfeah aus: Die Leidenschaft der vielen jungen Menschen, die für den Klimaschutz auf die Straße gehen, dürfe nicht zu einer Verteufelung der Politik führen, nur weil es einigen nicht schnell genug gehe. „Wir müssen den Schwung der jungen Leute mitnehmen. Lösungen sollten aber in der Demokratie, nicht in Alternativen gefunden werden.“
Mit Steinmeier kam bereits (nach Horst Köhler im Jahr 2004) der zweite Bundespräsident zu einer Weltethos-Rede nach Tübingen. Gerne hätte auch Küng den Bundespräsidenten persönlich begrüßt, sagte Universitäts-Rektor Bernd Engler. Das war aber aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Doch nicht nur in der Rede Steinmeiers war Küng präsent. „Er hat gesagt, dass er uns im Live-Stream verfolgt“, so Stilz.
Begleitet von einem guten Dutzend Polizeimotorrädern und einigen Streifenwagen wurde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kurz vor 18 Uhr auf den Geschwister-Scholl-Platz in der Tübinger Wilhelmstraße vorgefahren. Fast auf die Sekunde pünktlich kam Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hinzu. Zehn Minuten zuvor war der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) bereits angekommen – allerdings ohne ersichtliche Polizeibegleitung. Schon Stunden vorher hatten sich Beamte vor und in dem Gebäude postiert, in dem die geladenen Gäste durch Kontrollen mussten. Im vollen Festsaal merkte man von den Sicherheitsvorkehrungen aber nichts. Die Bodyguards des Bundespräsidenten hielten sich auch im Hintergrund, als Steinmeier beim anschließenden Empfang bürgernah und geduldig auf einige Gespräche einging.