Bundestagswahlkampf der Grünen

Brantner: „Wahlkampf kommt von Kämpfen“

Ist der Kampf ums Kanzleramt für die Grünen schon verloren? Die baden-württembergische Spitzenkandidatin Franziska Brantner hat klare Vorstellungen, wie die Trendumkehr gelingen kann.

17.07.2021

Von Roland Müller

Einiges ändern und vieles besser machen, um Wohlstand zu erhalten: Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Brantner. Foto: Volkmar Könneke

Einiges ändern und vieles besser machen, um Wohlstand zu erhalten: Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Brantner. Foto: Volkmar Könneke

Ulm. Wenn Franziska Brantner (Grüne) so richtig schlecht schläft, ist in ihren Albträumen die Bundestagswahl schon vorbei, und an der Macht ist die Große Koalition, zusammen mit der FDP. „Das wäre Stillstand“, sagt Brantner zu diesem Schreckensszenario. „Dann ändert sich in diesem Land gar nichts.“

Dafür, dass es anders kommt nach der Wahl im September, gilt derzeit der volle Einsatz der baden-württembergischen Spitzenkandidatin. Wie gut die Chancen stehen, ist schwer zu sagen in einem Wahljahr, in dem Umfragewerte ebenso wild schwanken wie Stimmungen rund um Personen und Themen. Schien vor wenigen Wochen das Kanzleramt für die Grünen zum Greifen nah, kam nach Negativ-Schlagzeilen um Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock der demoskopische Einbruch.

Lässt sich dieser Trend nochmal drehen? Ja, glaubt Brantner. Um die wirklich wichtigen Themen sei es in diesem Wahlkampf ja noch gar nicht gegangen, sagt sie beim Besuch der Zentralredaktion der SÜDWEST PRESSE in Ulm: „Wir müssen es schaffen, zu den Sachthemen zu kommen: Wie stoppen wir den Klimawandel, wie stärken wir sozialen Zusammenhalt? Wie machen wir die Wirtschaft fit für die Zukunft? Darum geht es im Herbst, darüber sollten wir diskutieren!“

Es sind Themen, die nicht nur wegen immer stärkerer Wetter-Extreme in den Fokus rücken. Auch das neue Klimapaket der EU-Kommission sei ein enorm wichtiger Schritt: „Das Gute ist, dass es jetzt endlich ums Machen geht“, sagt Brantner, die sich als ehemalige Europaabgeordnete sehr gut auskennt auf dem europäischen Parkett. Statt abstrakter Zielvorgaben lägen nun konkrete Schritte auf dem Tisch. „Jetzt müssen alle Farbe bekennen und erklären, welche davon sie mitgehen.“ Allein, dass die Kommission nach langem Ringen das Ende der Steuerbefreiung für Flugbenzin (Kerosin) ins Paket geschnürt habe, habe sie und viele Grüne jubeln lassen: „Endlich – wir Grünen fordern das seit Jahrzehnten, und nun beginnt endlich der Einstieg in diesen Wandel.“

Das laute Trommeln des Daimler-Chefs Ola Källenius für E-Mobilität und erneuerbare Energien vor wenigen Tagen beim „Forum“ dieser Zeitung hat die Spitzenkandidatin ebenfalls registriert. „Viele Unternehmen, Wissenschaftler und die Zivilgesellschaft sind längst viel weiter als die aktuelle Politik“, ist sie überzeugt.

Dennoch müssten die Grünen mit ihrem Etikett der „Verbotspartei“ genau darauf achten, wie sie Pläne für den Wandel kommunizieren: „Wenn wir rüberkommen, als machten wir Dinge aus Prinzip und Rechthaberei, kann es nach hinten losgehen.“ Stattdessen müsse klar sein, dass es nicht darum gehe, die Menschen zu ändern. „Wir können unseren Wohlstand und unsere Freiheit nur erhalten, wenn wir heute einiges ändern und vieles besser machen. Sonst überholt uns die internationale Konkurrenz, und die Klimakrise nimmt uns alles.“

Ordnungspolitik oder eben „Verbote“ seien sinnvoll, wenn es darum gehe, neuen klimafreundlichen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen. So wie das weltweit verbotene FCKW im Haarspray keiner vermisse, sei es auch, wenn statt Einweg-Plastik ökologische Verpackungen auf den Markt kommen – oder das Auto eben künftig elektrisch fährt. Der bessere Mensch sei nicht das Ziel – bessere Politik dürfe es aber schon geben.

Dass im Wahlkampf immer stärker personalisiert wird, haben die Grünen schmerzvoll erfahren müssen mit den Debatten um den Lebenslauf von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock oder abgekupferte Passagen in ihrem Buch. Von einem besonders unfairen oder gar „schmutzigen“ Wahlkampf möchte Franziska Brantner aber nicht sprechen, zumal auch Fehler passiert seien. „Klar sind die Angriffe hart, aber Wahlkampf kommt von Kämpfen, und es ist unsere Aufgabe, die Unterschiede klar zu machen, wer echten Klimaschutz will und kann und wer nicht.“ Außerdem zeige es, wie ernst man vom politischen Gegner genommen werde. Im Endspurt ist Brantner auch vor sich zuspitzender Personalisierung nicht bang: In TV-Debatten mit CDU-Kandidat Armin Laschet zeige sich klar, wer die bessere Figur macht – und auch sonst würden die großen Stärken Baerbocks in der heißen Phase wieder stärker zum Tragen kommen.

Brantner selbst hat sich eine Wahlkampf-Tour mit Schwerpunkt im ländlichen Raum vorgenommen – ganz bewusst. „Wir gehen auch dorthin, wo wir als Grüne nicht sofort mit Applaus empfangen werden“, dazu gehörten Besuche bei gebeutelten Branchen wie Hotellerie und Gastronomie. Für einen Wahl-Erfolg „brauchen wir ein gutes Ergebnis aus Baden-Württemberg“ – auch, damit ihr Albtraum von Groko plus FDP nicht in Erfüllung geht.

Profilierte Europapolitikerin

Franziska Branter (41) ist in Neuenburg (Breisgau-Hochschwarzwald) aufgewachsen. Die promovierte Politikwissenschaftlerin schlug zunächst eine akademische Laufbahn ein und war für diverse UN-Gremien tätig. 2009 zog sie für die Grünen ins EU-Parlament ein, 2013 in den Bundestag (WK Heidelberg). Politisch hat sich Brantner, die zum Realo-Flügel gezählt wird, als Außen- und Europapolitikerin einen Namen gemacht. Sie ist ledig und hat eine Tochter.

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Erstellt:
17.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 24sec
zuletzt aktualisiert: 17.07.2021, 06:00 Uhr

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