Polizeieinsatz · Minderjährige nach Festnahme traumatisiert

14-Jährige sollte bei der AfD-Gegendemo verhaftet werden · Jetzt wird gegen die Mutter ermittelt

Die 14-jährige Anna S. (Name wurde von der Redaktion geändert) hatte sich in der Schule mit dem Nationalsozialismus beschäftigt und wollte deshalb anlässlich des AfD-Neujahrsempfangs am vergangenen Freitag an der Kundgebung gegen rechts teilnehmen.

24.01.2018

Von Uschi Kurz

Reutlingen, Demo gegen AFD

Reutlingen, Demo gegen AFD

Da es ihre erste Teilnahme an einer Demonstration war, erzählt die Mutter im Gespräch mit dem TAGBLATT, sei es für sie klar gewesen: „Da gehen wir zusammen hin.“

Doch was als harmloser Protest begann, lief total aus dem Ruder. Mutter und Tochter wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Beide sind auch Tage nach dem Vorfall noch aufgebracht. Kurz vor der Festnahme habe sie noch zu ihrer Tochter gesagt, wenn es ein Gerangel geben sollte, dann gehen wir, aber alles sei völlig friedlich gewesen. „Wir haben Parolen gerufen. Meine Tochter hatte eine Trillerpfeife.“ Alle Proteste, beteuern die beiden, hätten sich aber keineswegs gegen die Polizei gerichtet, sondern gegen die AfD und ihre Unterstützer.

Und dann sei die Situation „wie aus heiterem Himmel“ plötzlich eskaliert. Drei martialisch wirkende Polizisten in Kampfmontur seien auf sie zugenommen. Sie habe noch gedacht, die wollen vorbei und wollte Platz machen, doch dann hätten sie auch schon ihre Tochter gepackt, die sich bei ihr untergehakt hatte. Ihre erste Reaktion sei gewesen, da kann es sich nur um eine Verwechslung handeln. Ihre Tochter hätte sich krampfhaft an ihr festgeklammert. Sie selbst habe diese instinktiv festgehalten, weil sie verhindern wollte, dass sie getrennt werden. „Das ist meine Tochter, die ist noch minderjährig“, habe sie gerufen. Daraufhin habe einer gesagt, „dann nehmen wir die Mutter auch noch mit“. Daraufhin seien weitere Beamte gekommen und hätten sie in den Spitalhof geführt.

Dort seien sie getrennt voneinander in einer dunklen Ecke durchsucht worden. Die empörte Mutter beschreibt die Vorgehensweise der sehr jungen Polizisten als völlig unverhältnismäßig und unwürdig. Man habe ihr gewaltsam die Hände auf den Rücken gedreht und mit Kabelbinder gefesselt, dann die Hose und die Schuhe geöffnet und sie durchsucht.

„Bei mir haben die das auch gemacht“, erzählt die 14-Jährige, die auch drei Tage danach noch traumatisiert wirkt und eigentlich gar nicht mehr über den Vorfall reden möchte. Man habe ihr den Arm nach hinten gebogen und den Mund zugehalten. „Ich habe keine Luft mehr bekommen und meine Mutter nicht mehr gesehen.“ Auch sie sei von einer Beamtin durchsucht worden, die ihr vor den jungen Polizeibeamten in den BH gegriffen habe. „Sie wussten, dass ich erst 14 bin. Ich hatte meinen Schülerausweis dabei“, beteuert sie.

Als man der Mutter erklärte, die Tochter werde zur Vernehmung auf die Wache gebracht, verlangte sie abermals, bei dem minderjährigen Kind bleiben zu dürfen. Daraufhin brachte man sie zu einem Kleinbus, in dem das heulende Mädchen saß. Weil die Hände ihrer Mutter immer noch auf dem Rücken gefesselt waren, konnte sie sich nicht anschnallen. Als Anna die Beamten von der Göppinger Eingreiftruppe darauf hinwies, habe man ihr erklärt: „Wir machen schon keinen Unfall.“

Auf dem Revier wurden sie dann mit dem Vorwurf konfrontierte. Ihre Tochter, die auf der Demo eine Mütze und einen Schal trug, habe gegen das Vermummungsverbot verstoßen und die Polizisten beleidigt, sie selbst habe sich der Verhaftung widersetzt. Straftatbestand: „Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte Gefangenenbefreiung.“ Auch auf dem Revier, so die Mutter, habe man immer wieder versucht, die Tochter alleine zu vernehmen und dies erst auf ihren Protest hin unterlassen.

„Der einzige, der uns nett behandelt hat, war der Kriminalbeamte, der mich erkennungsdienstlich behandelte.“ Zwei Stunden dauerte es, bis die beiden endlich wieder gehen konnten. Zuhause sei es ihnen vor gekommen wie ein Horrorfilm. Das Mädchen war völlig geschockt: „Alles hat mir weh getan, ich konnte nicht schlafen.“ Am nächsten Tag gingen die beiden in das Reutlinger Kreiskrankenhaus, wo sie sich eine leichte Verletzung an der Hand der Tochter, vor allem aber die Traumatisierung attestieren ließen.

Während die Mutter nun mit einer Anzeige rechnet, überlegt sie, ob sie ihrerseits Anzeige gegen die Polizeibeamten stellen soll. Sie hat die Angelegenheit ihrem Anwalt übergeben.

Polizei beleidigt und Widerstand geleistet?

Eine etwas andereSicht der Dinge schilderte Polizeipressesprecher Michael Schaal auf Nachfrage unserer Zeitung. Er bestätigte, dass die 14-Jährige Einsatzbeamte beleidigt haben soll. Wie, dazu wollte er sich aufgrund des nun laufenden Verfahrens nicht äußern. Es gebe aber Filmaufnahmen, die nun ausgewertet werden müssten: „Da wird alles gefilmt.“ Gegen die Mutter werde wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ und wegen „versuchter Gefangenenbefreiung“ ermittelt, weil sie sich der Festsetzung ihrer Tochter widersetzt habe. Es sei eine übliche Vorgehensweise, die „Störer“ in so einem Fall zu trennen. Unter Umständen müsse man „unmittelbaren Zwang anwenden“, um sie aus der Menge herauszubekommen. Er selbst war am Freitag vor Ort, habe vom Vorfall aber nichts mitbekommen, so Schaal.

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Erstellt:
24.01.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 23sec
zuletzt aktualisiert: 24.01.2018, 01:00 Uhr

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mark1963 03.03.201820:42 Uhr

Hallo, habe diesen Artikel eben erst gelesen und muss einfach auch etwas dazu beitragen. Meiner Ansicht nach ist es nicht gerechtfertigt, jemanden in dieser Situation, sollte es überhaupt zu einer Beleidigung gekommen sein, wegen sowas zu verhaften. Und auch noch auf diese Art. Mit Kabelbinder fesseln und dann vor Männlichen Kollegen durchsuchen- das geht gar nicht. Was soll die junge Dame dort versteckt haben? Waffen? Ziemlich unglaubwürdig! Das sieht eher nach einer gezielten Einschüchterungstaktik aus. Die junge Dame wird, vermutlich, so schnell zu keiner Demo mehr gehen. Sozusagen den Nachwuchs an Demonstranten im Kein erstickt. Das hat ja wohl geklappt.

manne12 28.01.201817:08 Uhr

Lieber Reststadt,

ich wollte eigendlich keine Diskussion über die AFD anfangen, sondern es ging mir vornehmlich um die kurzzeitige Festsetzung der Mutter und ihrer 14 jährigen Tochter. Dennoch möchte ich hiermit erwähnen, dass auch die CSU und CDU diverse Altnazis lange Zeit in ihren Reihen hatten, bei den Grünen einige Pädophile Mitglieder waren und sind sowie bei den Linken ehemalige Stasi Offiziere stolz ihren Parteiausweis mit sich führen. Soweit zu dieser Angelegenheit. Zu der Mutter und ihrer Tochter: Wie würden Sie sich als Polizeibeamter verhalten?. In der Stresssituation einer aufgeheitzten Demonstration?. Blumen verteilen? Leise um Ruhe bitten? Alle Anwesende zum gemeinsamen Gebet für den Weltfrieden auffordern? Und noch einmal: Polizeibeamte sind nicht die Prügelknaben der Nation!!! Und in jedem anderen (demokratischen) Land hätten Beleidigungen sowie Handgreiflichkeiten gegen Polizeibeamte ganz andere Folgen als eine kurzzeitige Festnahme - z.B. in der USA, Spanien etc.

Reststadt 27.01.201818:44 Uhr

Ach, lieber Manne,

wenn die AfD wirklich so demokratisch ist, weshalb duldet sie nicht nur Holocaustleugner und Antisemiten wie Wolfgang Gedeon, sondern auch Rassisten (Jens Maier) und der NPD nahe Stehende (Björn/Bernd Höcke alias Landolf Ladig) in ihren Reihen und heult dann vor Selbstmitleid, wenn sie an Ihren eigenen 'Werten' gemessen wird?

Und selbst wenn das Mädchen einen Polizisten beleidigte, erinnern mich mit Kabelbindern gefesselte 14-Jährige eher an Erdogan, als an unser Deutschland mit Freiheitlich Demokratischer Grundordnung - und Christlich-Grüner Regierung. Auch wenn AfD und Polizei Gewalt gegen Kinder (wie bei S21) völlig OK finden, diese Entwicklung macht mir mehr Sorge als ein paar Flüchtlinge.

manne12 26.01.201814:59 Uhr

Sehr geehrter Herr Nefrisum,

zum ersten ist meine Auffassung von Demokratie vollkommen in Ordnung, keine Sorge.
zum zweiten: Hier ging es nicht um schimpfen, sondern um Beleidigungen gegenüber Polizeibeamten. Und die Beamten sind Respektspersonen, welche es nicht nötig haben sich beleidigen zu lassen. Dazu war das Mädchen noch mit Mütze und Schal vermummt, also ihr Alter (14 Jahre) nicht sofort ersichtlich.
Die Mutter gab noch ihren "Senf" dazu, in dem sie die Tochter befreien wollte. Im Angesicht der Lage und den bestimmt chaotischen Zuständen vor Ort haben die Beamten vollkommen richtig gehandelt. Und ich wiederhole mich: Polizeibeamte halten jeden Tag ihren Kopf für uns Normalbürger hin, sie haben es nicht nötig (und auch nicht verdient) sich beleidigen und anspucken zu lassen.
PS: Nein, ich bin nicht bei der Polizei beschäftigt!.

Nefrisum 26.01.201801:16 Uhr

Ich nicht was Manne12 für eine Auffassung von Demokratie hat, aber wenn man für Schimpfen verhaftet wird, hat das nach meiner Ansicht nach reichlich wenig damit zu tun.

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