Sag nicht, wer du bist!
Sag nicht, wer du bist!
Subtiler Psychothriller über einen jungen Schwulen, der zur Familie seines verstorbenen Lovers in die Provinz reist.
Wie in Deutschland gibt es auch in Kanada ein Stadt-Land-Gefälle bei der Akzeptanz von Homosexualität. Der schwule Tom hat also gute Gründe für Vorsicht, als er zur Beerdigung seines verunglückten Liebhabers aus dem liberalen Montreal auf einen Bauernhof in die tiefste Maisfeld-Provinz reist. So gaukelt er der ahnungslosen Mutter des Verstorbenen vor, ein Arbeitskollege zu sein. Das genügt deren älterem Sohn Francis, der über die schwule Beziehung bestens im Bilde ist, aber nicht. Mit Drohungen und Gewalt nötigt der grobschlächtige Hinterwäldler den Gast zu immer neuen Lügen über das Vorleben seines Bruders ? und empfindet nebenbei offenbar große Lust an der Demütigung des schmächtigen Kerls mit dem szenigen Haarschnitt und der Intellektuellen-Brille.
Der Film des 26-jährigen Regisseurs Xavier Dolan (der auch die Hauptrolle spielt) macht zunächst den Eindruck eines traditionellen Opfer-Dramas. Doch der Schein trügt, denn im Verlauf der Handlung wird das zwischenmenschliche Gefüge auf dem abgelegenen Hof immer unübersichtlicher. So sucht Francis immer unverhohlener die körperliche Nähe Toms, was dieser nach anfänglichem Widerwillen durchaus genießt. Es verdichten sich die Hinweise, dass die Mutter nicht die sanftmütige alte Dame ist, als die sie zunächst erscheint. Und nach und nach stellt sich heraus, dass Francis selbst ein von allen geschnittener Außenseiter ist ? aber warum?
So gedeiht das Drama schleichend zum Psychothriller, dessen Intensität vor allem darauf beruht, dass Gefahr und Grauen fast durchgängig in Lauerstellung bleiben. Etliche Hitchcock-Zitate, vom Schock unter der Dusche über die Verfolgungsjagd im Maisfeld bis zum Vertigo-ähnlichen Soundtrack, gibt es als Sahnehäubchen obendrauf. Seinem Ruf als Wunderkind des internationalen Kinos wird Dolan („I Killed My Mother?, „Lawrence Anyways?) auch mit diesem stilistischen Bravourstück gerecht. Seinen neuesten Film „Mommy?, in Cannes mit dem Großen Preis ausgezeichnet, gibt es demnächst bei den Französischen Filmtagen.
Szene-Schwuler in der Provinz-Hölle: Subtiler Psychothriller von Kanadas Wunderkind.