Tübingen · Rottenburg

Vorerst sind alle Kunstrasen-Pläne gestoppt

Wie die Städte Tübingen und Rottenburg mit der anhaltenden Diskussion um die Probleme mit dem Mikroplastik auf den Spielfeldern umgehen.

08.08.2019

Von Vincent Meissner

So wie hier in Ergenzingen soll’s nicht sein: Wenn im Winter die Kunstrasenplätze vom Schnee geräumt werden, sammelt sich auch das Granulat am Spielfeldrand und kann von dort in die Umwelt gelangen. Archivbild: Ulmer

So wie hier in Ergenzingen soll’s nicht sein: Wenn im Winter die Kunstrasenplätze vom Schnee geräumt werden, sammelt sich auch das Granulat am Spielfeldrand und kann von dort in die Umwelt gelangen. Archivbild: Ulmer

Seit Monaten beschäftigt das Thema Kunstrasen-Plätze die Sportler und Kommunen. Nicht nur Fußballer, auch Hockey-, American Football-, Rugby-, Ultimate Frisbee- und Lacrosse-Spieler sind betroffen. Das TAGBLATT beantwortet einige zentrale Fragen.

Worum geht’s?

Das Fraunhofer-Institut hat im vergangenen Jahr mit einer Studie Aufsehen erregt, wonach Gummigranulat, das häufig zur Dämpfung auf Kunstrasenplätzen ausgebracht ist, einen wesentlichen Teil zur Verschmutzung der Umwelt mit Mikroplastik beiträgt. Auch die Politik hat sich unter anderem auf EU- und Landesebene in die Diskussion eingeschaltet.

Wie ist der aktuelle Stand?

Momentan herrscht vor allem eine große Unsicherheit. Die Tübinger Stadtverwaltung mit der zuständigen Bürgermeisterin Daniela Harsch hatte kürzlich ein Expertengespräch mit dem Württembergischen Landessportbund (WLSB). Für die Kommunen als Sportstätten-Bauer ist die Situation im Moment schwer einzuschätzen: Tübingens Sport-Bürgermeisterin Harsch räumt ein, „dass alle im Moment ein bisschen ratlos sind“.

Wie schädlich ist das Gummigranulat tatsächlich?

Es gibt unterschiedliche Arten. Besonders umweltschädlich ist das meist aus recycelten Autoreifen hergestellte Granulat (SBR). In Tübingen sind die Plätze in der Jahnallee und in Hirschau betroffen. Der alte Platz beim SSC Tübingen oder der in Unterjesingen beispielsweise sind mit Quarzsand verfüllt und entsprechend unbedenklich. Die anderen Plätze mit Granulat in Tübingen sind mit dem Typ TPE verfüllt. „Das wird im Moment noch als okay angesehen“, berichtet Harsch.

Wie viel Gummigranulat geht in die Umwelt?

Das Fraunhofer-Institut hat nach massiver Kritik an seiner Studie jüngst eingeräumt, dass es Anhaltspunkte gebe, dass die veröffentlichten Zahlen zu hoch seien. Ursprünglich schrieben die Wissenschaftler, dass in Deutschland bis zu 11 000 Tonnen Mikroplastik pro Jahr von Kunstrasenplätzen in die Umwelt gelangten. Doch, anders als etwa in Südeuropa, wo die Kunstrasenplätze oft direkt auf Beton liegen, gibt es in Deutschland meist Kunststoffmatten darunter. „Bei uns wird das nach unten verdichtet“, sagt Tübingens Bürgermeisterin Harsch.

Der Präsident des Württembergischen Fußballverbands (WFV) Matthias Schöck wird in einer Pressemitteilung folgendermaßen zitiert: „Die Belastung durch Mikroplastik wird im Zusammenhang mit dem Sport völlig überproportional dargestellt.“ Kunstrasen-Marktführer Polytan aus Bayern geht davon aus, dass es sich bei der Menge des ausgetragenen Granulats nur um ein Zehntel der in der Fraunhofer-Studie erwähnten Zahlen handelt. Und vom Sportamt der Stadt Stuttgart gibt es Erfahrungswerte, wonach die Granulat-Nachfüllmenge pro Jahr etwa 30 bis 40 Kilogramm pro Platz beträgt – und nicht, wie die Studie impliziert, zehn Mal so viel.

In Rottenburg gibt es keine Zahlen. Auf den beiden großen Spielfeldern in Rottenburg und Ergenzingen hat die Stadt jedoch in den vergangenen Jahren nur ein Mal nachgefüllt, berichtet Pressesprecherin Birgit Reinke von der Stadtverwaltung. „Dadurch, dass das Granulat schwerer ist als Wasser, bleibt es eigentlich liegen und es geht gar nicht so viel verloren“, sagt sie.

Auch in Tübingen gibt es keine konkreten Zahlen. „Aber wir prüfen, wie viel Granulat ausgebracht wurde“, sagt Harsch. Anhand dieser Zahlen will die Stadt dann schätzen, wie viel Granulat tatsächlich in die Umwelt gelangt ist. „Klar ist“, sagt Harsch, „wir füllen nicht nach.“

Wie geht es weiter?

Vorerst sind alle Kunstrasen-Pläne gestoppt. Der Platz in der Tübinger Jahnallee sollte eigentlich dieses Jahr saniert werden. Vom Land gibt es die Zusage für einen Zuschuss. Die Stadt beantragt nun, das Geld erst im nächsten Jahr abrufen zu können. „Es ergibt keinen Sinn, das jetzt in der derzeit aufgeheizten Debatte zu machen“, sagt Bürgermeisterin Harsch. Damit gewinnt die Stadt Zeit. 2020 sollte dann mehr Klarheit herrschen. In Hirschau gibt es noch eine andere Überlegung: „Man kann ja auch prüfen, ob man ohne Granulat spielen könnte“, sagt Harsch. Das Granulat müsste dann abgesaugt und entsorgt werden.

In Ergenzingen steht die Sanierung in den kommenden zwei, drei Jahren an. „Da könnte es passieren, dass man auf ein anderes Produkt setzte“, sagt Sprecherin Reinke. Bis es soweit ist, herrscht möglicherweise mehr Klarheit über die Materialien.

Die drei neuen Plätze in Weiler (soll noch dieses Jahr eröffnet werden), Wendelsheim und Baisingen (Baubeginn soll spätestens Anfang nächsten Jahres sein) bekommen kein Gummigranulat, sondern ein Kork-Quarzsand-Gemisch. Sollte in Zukunft vermehrt Kork zum Einsatz kommen, befürchten die Verbände steigende Preise bei diesem Material.

Die Stadt informiert nun nach und nach die betroffenen Vereine und will in Kontakt mit dem WLSB bleiben. Wann welches Granulat verboten wird, ist offen. Zur Sanierung sind in Tübingen als nächstes der Platz in der Jahnallee und der ältere Platz auf dem Holderfeld beim SSC (beide ursprünglich 2019 geplant) sowie anschließend der Platz in Derendingen (2021) und der in Unterjesingen (2022) vorgesehen.

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Erstellt:
08.08.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 20sec
zuletzt aktualisiert: 08.08.2019, 01:00 Uhr

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