Tübingen · Interview zum 70. Geburtstag

Fußball-Anekdoten von der Tübinger Ikone Helmut Roth

Helmut Roth war einer der besten Kicker aus dem Kreis. Der seit Sonntag 70-Jährige erzählt von Klaus Fischer, harten Trainern und illegalen Länderspielen.

08.01.2020

Von Tobias Zug

Helmut Roth dieser Tage beim Besuch in der TAGBLATT-Redaktion. Bild: Moritz Hagemann

Helmut Roth dieser Tage beim Besuch in der TAGBLATT-Redaktion. Bild: Moritz Hagemann

Geplant hatte er keine große Feier. Dann überraschten ihn seine Ehefrau und Freunde, indem sie Helmut Roth nach Bühl in den Schlosssaal „entführten“. So feierte Roth am Sonntag dort seinen 70. Geburtstag. Im TAGBLATT erinnert sich der Tübinger an ein Schüler-Länderspiel, das er nie hätte bestreiten dürfen, wie ihn die Bundeswehr aus Spanien holte und an seinen Zimmerkollegen und Ex-Nationalspieler Klaus Fischer, der dauernd Besuche von Günter Siebert und dessen Geldkoffer hatte.

TAGBLATT: Herr Roth, anderthalb Wochen vor Ihrem 70. Geburtstag wurde Klaus Fischer ebenso alt.
Haben Sie noch Kontakt mit ihm?

Helmut Roth: Er hatte ja am 27. Dezember seinen 70. Geburtstag, das habe ich bei euch in der Zeitung gelesen. An dem Tag war ich auch bei einem Geburtstag. Um 10 Uhr abends hatte ich ihn dann angerufen. Wir hatten uns 30, 40 Jahre ja nicht mehr gesehen. Ich sagte dann: ‚Helmut Roth hier – kennst mich noch?‘. Er war dann ganz baff, sagte, ‚das gibt’s ja nicht!‘ Er hat sich richtig gefreut.

Sie hatten seine Nummer noch?

Das war ganz witzig: Ich war in Mallorca, da lag neben mir eine jüngere Frau mit ihrem Vater. Und die hatten miteinander über Fußball geredet. Die kannten sich brutal gut aus. Wir kamen miteinander ins Gespräch. Da stellte sich heraus, dass der Vater den Klaus Fischer gut kannte. Er hatte mir dann die Telefonnummer gegeben.

Klaus Fischer kam wie Sie als 18-Jähriger zu 1860 München, Sie spielten und wohnten zwei Jahre zusammen.

Dann trennten sich die Wege. Ich hatte mir im November das Schienbein gebrochen, trug viereinhalb Monate Gips. Mein Vertrag lief aus, in dem Jahr stieg Sechzig dann auch ab. Er ging nach Gelsenkirchen. Da war alle zwei Wochen der Günter Siebert bei uns in der Wohnung, der Präsident von Schalke. Mit dem Geldkoffer.

Sie hatten recht autoritäre und harte Trainer damals: Albert Sing, Fritz Langner, „der eiserne Fritz“…

… Fritz Langner, Junge, Junge! Da bist ja nur mit den Medizinbällen rumgerannt. Wer richtig angenehm war, war Rudi Faßnacht beim MSV Duisburg.

Der galt doch aber auch als ein Schleifer vor dem Herrn!

Ich empfand ihn als sehr angenehm.

Roth 1968 im Löwen-Trikot. Die Münchener wurden damals 10. der 1. Fußball-Bundesliga. Bild: Ulmer/Werek

Roth 1968 im Löwen-Trikot. Die Münchener wurden damals 10. der 1. Fußball-Bundesliga. Bild: Ulmer/Werek

Sie spielten in der deutschen Schüler-Nationalmannschaft, da wurde 1860 auf Sie erstmals aufmerksam. Aber gebürtig sind Sie Österreicher.

Als Zehnjähriger bin ich nach Tübingen gekommen. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, meine Mutter ist nach Tübingen gekommen zum Arbeiten und hat hier einen Schwaben geheiratet. Ich war aber immer noch Österreicher. Als ich 15 war, hatten wir unter Karl-Heinz Heddergott ein Trainingslager mit der Nationalmannschaft in Hannover, dann ein Länderspiel gegen England in Berlin. Ich war Kapitän. Sind wir über die Grenze gefahren, dann hieß es: Passkontrolle – hier für Ausländer, da für Deutsche. Ich laufe also zu den Ausländern. Dann schreit der Trainer: ‚Hey Helmut, wo läufst denn du hin, du bist doch kein Ausländer, du musst hier zu den Deutschen rein!‘ Ich sagte: ‚Nein, ich bin Österreicher.‘ ‚Das gibt’s doch nicht!’, sagte der Trainer, ‚was machen wir jetzt?‘

Sie haben also als Nicht-Deutscher für Deutschland gekickt – diese Länderspiele müssen wohl nachträglich annulliert werden…

Gegen England haben wir ja eh 0:4 verloren… Als ich nach Tübingen zurückkam, hatte ich gleich einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Dann bin ich innerhalb von sechs Wochen Deutscher geworden.

Wie kam der Wechsel in die Schweiz zustande, zum FC Lugano?

Damals hatte es schon Spielervermittler gegeben, einer war der Dr. Ratz (Georg Ratz, d. Red.) aus Basel. Der hat mich angerufen und gefragt: ‚Herr Roth, wie sieht es aus? Ich hätte einen Verein für Sie.’ Das war im Juli, da war es mit dem Fuß wieder einigermaßen okay. In der Schweiz durfte damals nur ein Ausländer spielen. Und der Ausländer von Lugano hatte sich damals in der Vorbereitung das Kreuzband gerissen. Ich hatte dort an und für sich auch ein sehr gutes Jahr, wir standen im Pokalfinale.

1971 gegen Servette Genf, Sie sind beim 0:2 eingewechselt worden.

Ja, schade. Das hat mich sehr getroffen. Im Halbfinale hatte ich sehr gut gespielt.

So kann sich Helmut Roth freuen, wenn sein SV 03 heute ein Tor in der Landesliga schießt. Bild: Ulmer

So kann sich Helmut Roth freuen, wenn sein SV 03 heute ein Tor in der Landesliga schießt. Bild: Ulmer

Trainer war da Albert Sing, den Sie schon bei 1860 hatten.

Ja, es hat nicht so gepasst mit ihm. Jedenfalls ist der erste Ausländer, Henning Hansen, wieder fit geworden. Daraufhin hatte mir der Spielervermittler wieder angerufen, der MSV Duisburg hätte Interesse. ‚Schaffen Sie das?‘ Ich sagte, ich weiß auch nicht, die Schweizer Liga ist ja nicht so stark wie die Bundesliga. Dann bin ich zum MSV, aber da bin ich wieder auf der Bank gesessen. Im Nachhinein muss man sagen: Zweite Liga wäre okay für mich gewesen.

Es folgte eine weitere Station in der Schweiz, Chiasso, und danach wechselten Sie nach Spanien, in die zweite Liga, zu UE Sant Andreu.

Nach dem Jahr in Chiasso bin ich wieder zum Herrn Ratz. Der sagte: ‚Ich hab’ da was in Spanien in der Nähe von Barcelona.‘ Ich sagte, ‚ja, fliegen wir mal da runter‘. Dann bin ich da runtergeflogen, die hatten ein Spiel organisiert, das haben wir 7:3 gewonnen, ich hatte zwei Tore geschossen. Und dann habe ich den Vertrag unterschrieben.

Hatten Sie dort mehr verdient als in Deutschland?

Ich hätte schon etwas mehr verdient, habe aber ein paar Monate nicht bezahlt bekommen. Da bist schon beschissen worden, dass es knallt!

Sie seien aus Spanien abkommandiert worden.

Ja, ich hatte einen Drei-Jahres-Vertrag unterschrieben, aber keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Ich war in München bei der Bundeswehr, bin da wegen meinem Schienbeinbruch entlassen worden. In Duisburg wurde ich nachgemustert und galt als volltauglich. Da stand ich dann unter Wehraufsicht. Das heißt: Wenn ich ins Ausland wollte, musste ich anfragen. Und das habe ich natürlich nicht gemacht. Da haben sie mich aus Spanien rausgeholt. Ich hatte dann noch ein Zivilverfahren an den Hals bekommen wegen unerlaubten Fernbleibens der Truppe.

Wie ging es dann weiter?

Am 18. August kam ich in die Sportkompanie nach Böblingen. Da hatte ich Glück: Wir hatten da Super-Kicker; Herbert Neumann vom 1. FC Köln, Hermann Ohlicher und Rainer Adrion vom VfB Stuttgart. Wir sind Deutscher Meister geworden mit der Bundeswehr-Auswahl. In der Zeit hatte ich keinen Verein. Ende Dezember kam der Hauptfeldwebel Ott, der auch Spielervermittler in Amateurligen war. Der fragte: ‚Helmut, hast du 850 Mark?‘ Ich sag‘: ‚Ja. Wieso?‘ ‚Du fliegst am 7. Januar nach Barbados!‘ Ich lachte und sagte, ich wisse doch gar nicht, wo das ist. Jetzt war das so: Bietigheim, das damals dritte Liga spielte, hatte zwei Spiele ausgemacht gegen die Nationalmannschaft von Barbados. Die hatten aber zu wenig Spieler. Ott sagte: ‚Du hast eh keinen Pass, da gehst mit, die kontrollieren das eh’ nicht!‘

2003 trainierte Roth auch mal den SSC Tübingen – und stand im Trikot von Lazio Rom an der Seitenlinie. Bild: Ulmer

2003 trainierte Roth auch mal den SSC Tübingen – und stand im Trikot von Lazio Rom an der Seitenlinie. Bild: Ulmer

Und Sie sind mit nach Barbados?

Ja, drei Wochen waren wir dort. Ich kickte mit, da haben die Bietigheimer mich gefragt, wo ich eigentlich spiele. Mein Pass war in Spanien, ich war ablösefrei. Und dann haben die mich geholt. Dritte Liga war finanziell auch okay. Wir hatten ein brutal gutes Jahr, waren Zweiter, haben um die Deutsche Amateurmeisterschaft gespielt. Aber dann ist der Sponsor weg, daraufhin bin ich wieder zurück zum SV 03 Tübingen in die Verbandsliga. Danach bin ich nochmal in die dritte Liga nach Biberach.

Wo Sie den schweren Autounfall hatten.

1981 im November. In Ulm. Da ist einer mit 2,4 Promille in uns reingefahren, das Auto hat Feuer gefangen. Ich saß hinten, zwei Mitspieler vorne. Hinten rechts war der Tank, da ist der draufgefahren. Die Mitspieler hatten mich rausgezogen. Ich weiß von dem Unfall gar nichts, habe nichts gemerkt.

Sie hatten Glück, dass Sie überlebt haben.

Ich hatte Verbrennungen dritten Grades. In Ulm bin ich noch schlecht behandelt worden, in Tübingen hatte ich dann einen guten Chirurgen, der damals die ersten Hautverpflanzungen gemacht hat. Danach hatte ich große Probleme, war monatelang in der Klinik, psychisch angeschlagen, habe auch viel getrunken in der Zeit. Aber da hat mir der Fußball wieder geholfen, dass ich wieder auf die Beine kam.

Und wie sind Sie mit Klaus Fischer verblieben?

Ich habe gesagt, ich werde mich melden, wenn ich mal da hoch komme nach Schalke. Dann schauen wir vielleicht ein Spiel an.

Beim SV 03 Tübingen ist der 70-Jährige eine Legende mit eigenem Stüble. Bild: Ulmer

Beim SV 03 Tübingen ist der 70-Jährige eine Legende mit eigenem Stüble. Bild: Ulmer

Als Helmut Roth mal nicht mehr zum SV 03 ging

Der SV 03 Tübingen ist Heimat- und Herzensverein von Helmut Roth, noch heute schaut er regelmäßig Spiele der Tübinger an, das kleine Vereinsheim der Kicker ist nach ihm benannt (Helmut-Roth-Stüble). Und doch gab es eine Zeit, in der Roth nicht gut auf den Klub zu sprechen war: Als er 1991 als Trainer trotz Aufstiegs in die Landesliga entlassen wurde. „Das hat mir brutal weh getan, das hat mir das Herz gebrochen“, sagt Roth. Ein paar Jahre später wurde er wieder engagiert – und wieder entlassen. „Da bin ich dann nicht mehr hingegangen“, sagt Roth, „aber weil mein ganzer Bekanntenkreis vom SV ist, hat sich das wieder eingerenkt.“

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Erstellt:
08.01.2020, 17:55 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 38sec
zuletzt aktualisiert: 08.01.2020, 17:55 Uhr

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