Katastrophe

Erdbeben in Syrien und in der Türkei: Unter Trümmern begraben

Am frühen Montagmorgen erschüttern mehrere Erdbeben die Türkei und die Grenzregion Syriens. Tausende Gebäude stürzen ein. Die Zahl der Toten steigt immer weiter, und die Sorge vor weiteren schweren Erdstößen wächst.

07.02.2023

Von Gerd Höhler

Zivilisten und Notfallteams suchen nach Menschen in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes in der türkischen Stadt Adana.  Foto: Khalil Hamra/AP/dpa

Zivilisten und Notfallteams suchen nach Menschen in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes in der türkischen Stadt Adana. Foto: Khalil Hamra/AP/dpa

Die meisten Menschen schliefen, als am Montagmorgen um 4.17 Uhr in der Südosttürkei die Erde bebte. Zeugen berichten von einem dumpfen, unheimlichen Grollen aus der Tiefe, mit dem sich die Katastrophe ankündigte. Sekundenbruchteile später setzte das Beben ein und rüttelte eineinhalb Minuten lang an Fundamenten und Wänden. Viele Menschen schafften es, aus ihren knirschenden und schwankenden Gebäuden nach draußen zu fliehen, in die kalte Winternacht. Andere wurden unter einstürzenden Decken und Mauern begraben.

Der Erdstoß war nur der Anfang einer beispiellosen Bebenserie, die sich in den folgenden Stunden mit immer neuen Erschütterungen fortsetzte. Im Morgengrauen begann das Ausmaß der Katastrophe sichtbar zu werden. In der Türkei, wo zehn Provinzen betroffen sind, stürzten nach offiziellen Angaben mehr als 5600 Gebäude ein, darunter ein Krankenhaus in der Mittelmeer-Hafenstadt Iskenderun. Auch im benachbarten Syrien richteten die Beben schwerste Schäden an.

Wie viele Menschen ums Leben kamen, war am Montag noch unklar. Die Zahl der Opfer geht wahrscheinlich in die Tausende. In der Türkei wurden bis zum Abend nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde AFAD 1700 Tote geborgen, Syrien meldete rund 1300 Todesopfer.

Quelle: dpa

Quelle: dpa

Mit den fortschreitenden Bergungsarbeiten werden die Opferzahlen weiter steigen, fürchten Fachleute. Von dem Erdbeben waren in der Türkei zehn dicht besiedelte Städte betroffen. Nur 30 Kilometer vom Epizentrum des Bebens liegt die Stadt Gaziantep mit 2,1 Millionen Einwohnern. Allein hier stürzten rund 560 Gebäude ein.

Die US-Erdbebenwarte USGS errechnete die Stärke des ersten Bebens mit 7,8 auf der Richterskala. Das Helmholtz-Zentrum in Potsdam und türkische Behörden nannten eine Stärke von 7,7. Ein ähnlich heftiges Beben ereignete sich 1668 in Nordanatolien. Wissenschaftler schätzen seine Stärke rückblickend auf 8,1 Grad auf der Richterskala.

Auch die Menschen im Westen der Türkei leben in ständiger Sorge vor Erdbeben. Der 16-Millionen-Metropole Istanbul droht nach Überzeugung der meisten Experten in den nächsten Jahren ein schweres Beben der Stärke 7,1 bis 7,7. Es könnte verheerende Folgen haben. Nach einer Studie der Stiftung für urbane Transformation (Kentsev) sind bei einem schweren Beben in Istanbul 13 000 Gebäude einsturzgefährdet.

Auf das Beben von 4.17 Uhr folgten zehn Minuten später vier weitere heftige Erdstöße mit Stärken von 5,5 bis 6,6. Sie ließen zahlreiche Gebäude einstürzen, die bereits bei dem ersten Beben Schäden in ihrer Struktur erlitten hatten. In den Stunden danach ereigneten sich Dutzende mittelschwere Nachbeben. Am Montagmittag um 13.24 Uhr wurde bei Kahramanmaras ein weiteres schweres Beben der Stärke 7,5 registriert. Die Epizentren der Bebenserie liegen entlang einer Bruchzone, die von der Provinz Hatay an der Mittelmeerküste in nordöstlicher Richtung über die Städte Adana und Gaziantep bis nach Malatya verläuft.

Die Katastrophe überlebt: Ein verletztes Kind wird im syrischen Dschindires weggetragen.  Foto: Rami al Sayed/afp

Die Katastrophe überlebt: Ein verletztes Kind wird im syrischen Dschindires weggetragen. Foto: Rami al Sayed/afp

Die Katastrophenschutzbehörde Afad entsandte am Montagmorgen 1898 Helfer mit 150 Fahrzeugen in das betroffene Gebiet. Auch die paramilitärische Gendarmerie beteiligte sich an den Rettungsarbeiten. Die Helfer begannen mit dem Aufbau von ­Zeltstädten für Zehntausende Obdachlose. In weiten Teilen der ­Katastrophenregion sind die Strom- und Wasserversorgung ausgefallen. In sechs Provinzen brach auch das Mobilfunknetz zusammen.

Die griechische Regierung bot der Türkei sofort Hilfe an, trotz der großen politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Wie die Türkei wird auch Griechenland häufig von Erdbeben heimgesucht. Das Land verfügt daher über große Erfahrungen beim Katastrophenmanagement und gut ausgebildete Rettungsmannschaften.

Viele Länder helfen

Auch andere EU-Länder entsandten Hilfskräfte, darunter die Niederlande, Rumänien, Polen, Italien und Ungarn. Russland bereitete ebenfalls eine Hilfsmission vor. Zwei Transportmaschinen sollten Such- und Rettungskräfte ins Katastrophengebiet bringen. 45 Länder haben Hilfe angeboten, sagte Staatschef Recep Tayyip Erdogan im Fernsehen.

Mindestens zwei Flughäfen der betroffenen Region sind außer Betrieb: In Hatay zerstörte das Beben die einzige Landebahn. Auch der Airport von Adana musste wegen großer Schäden geschlossen werden.

In Malatya stürzte ein 14 Stockwerke hohes Wohnhaus in sich zusammen. Wieder zeigte sich, wie schon bei früheren Erdbebenkatastrophen, die oftmals schlechte Qualität der Bauten in der Türkei. Selbst moderne Gebäude, die einem Beben dieser Stärke eigentlich standhalten müssten, wenn die Bauvorschriften beachtet würden, fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen und begruben ihre Bewohner.

Zum Artikel

Erstellt:
07.02.2023, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 07.02.2023, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.
Aus diesem Ressort

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!