Paradies: Liebe

Paradies: Liebe

Eine Kenia-Urlauberin verwechselt in dem provokanten Drama die sexuelle Dienstleistung eines Einheimischen mit echter Leidenschaft.

02.01.2013

Von Klaus-Peter Eichele

17.09.2015 Jetzt im Kino: Sugar Mama sucht Boy vom Beach - "Paradies: Liebe"
01:56 min
Jetzt im Kino: Sugar Mama sucht Boy vom Beach - "Paradies: Liebe" --

Wenn ein Film von Ulrich Seidl das Paradies im Titel trägt, kann es nur sarkastisch gemeint sein. Denn wie die meisten provokanten Ausgeburten des österreichischen Regisseurs („Hundstage?, „Import/Export?) führt auch diese in die Hölle. Dabei beginnt der Trip für die Protagonistin Teresa (großartig: Margarete Tiesel), eine allein erziehende Mutter aus der Wiener Unterschicht, relativ beglückend. Das Ferienressort in Kenia entspricht mit Sonne, Strand und Äffchen auf dem Balkon anfangs vollkommen ihrer Vorstellung von einem Traumurlaub.

Als ihr eine Cocktail-Genossin jedoch von den sexuell willigen einheimischen Beachboys vorschwärmt, wird ein zusätzliches Begehren geweckt: Als ziemlich füllige 50-Jährige hat man schließlich nicht so oft die Chance auf intimen Körperkontakt. Bei ihren staksigen Gehversuchen auf dem Sex-Parcours macht die „Sugar Mama? allerdings einen entscheidenden Fehler: Sie will Liebe oder wenigstens ein bisschen Zärtlichkeit, wo es ganz offensichtlich um schnöde Prostitution geht, mit der die jungen Afrikaner sich und ihre Familien über Wasser halten. Das Missverständnis empfindet Teresa als persönliche Demütigung ? mit tragischen Folgen.

Man hat Ulrich Seidl oft vorgeworfen, seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Das ist hier definitiv nicht der Fall. Der Regisseur nimmt Teresas Sehnsucht nach Liebe Ernst, lässt aber keinen Zweifel daran, dass sie an diesem Ort und unter diesen Umständen keine Chance auf Erfüllung hat. Ihre Enttäuschung kompensiert die Frau, indem sie, auf dem armseligen Level als weiße Urlauberin, ihre Macht über die noch ärmeren Schlucker schamlos ausspielt. In ihren finalen Versuchen, doch noch ein Stück vom Sex-Kuchen abzukriegen, degradiert sie die einheimischen Liebesdiener in rüder Kolonialmanier zu hündischen Objekten einer nur noch zwanghaften Begierde ? und beraubt sich dabei selbst des letzten Funkens Würde. Wieder einmal bei Seidl werden die Verdammten dieser Erde einander zu Wölfen.

Erkundet drastisch und enervierend genau die Hölle des weiblichen Sexourismus.

Paradies: Liebe

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Erstellt:
02.01.2013, 12:00 Uhr
Aktualisiert:
27.02.2013, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 57sec
zuletzt aktualisiert: 27.02.2013, 12:00 Uhr

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Enn 07.01.201312:00 Uhr

In der Tat ist "Hölle" der falsche Ausdruck, aber dass der Film nur unterhalten wollte, kann ich nicht nachvollziehen. Nicht umsonst ist der letzte Teil komplett ohne Musikuntermalung. Er ist dann weder unterhaltsam noch moralisch, nur noch aufklärerisch konfrontierend: Seht her, so ist es! Dem Abbau sämtlicher illusionärer Anteile, die selbst käuflicher Sex oft noch hat, zuzuschauen ist sehr, sehr ernüchternd. Am Ende des Films wurde hinter mir geseufzt: "Das war der schrecklichste Film, den ich je gesehen habe." Auch das kann als Lob verstanden werden.

Peter Dorn 07.01.201312:00 Uhr

Den Überlegungen zum letzten Teil kann ich nur zustimmen; meine Behauptung der puren Unterhaltung war lediglich der Zuspitzung geschuldet. "...nichts ist schrecklicher als der Mensch" sollte auch für den käuflichen Sex gelten. - Auch wenn zum Schluss die drei Jungs mit ihrem Rad am Strand der Teresa (uns uns?) eine Nase drehen.

Peter Dorn 05.01.201312:00 Uhr

Mir scheinen bei der Besprechung ein paar Missverständnisse oder zumindest Überbegrifflichkeiten vorzuliegen: Der Film erkunde die "Hölle des weiblichen Sextourismus", es ergäben sich "tragische Folgen"! Wohl eher folgt der Film narrativ wie illustrativ dem Schema eines Bänkelliedes und ist auch entsprechend grob im Sujet. Aber vor allem will er unterhalten, der moralische Zeigefinger ist nur Zierrat. Folglich fehlt die Tragödie am Ende, Teresa ist lediglich in der Wirklichkeit angekommen. Dass sich Seidl dabei über und nicht mit seinen Figuren lustig macht, das ist das eigentlich Traurige an diesem Film.

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