Russland

Nawalnys Rückkehr führt direkt in die U-Haft

Die Kritik am Umgang des Kremls mit dem Regimegegner wird lauter. Doch noch fehlt ihm der Rückhalt in der Bevölkerung, um etwas zu bewegen.

19.01.2021

Von STEFAN SCHOLL

Das Videostandbild zeigt Kremlkritiker Alexej Nawalny, wie er in einer Polizeistation in Moskau auf eine Gerichtsverhandlung wartet. Foto: Kira Yarmysh/@Kira_Yarmysh/AP/dpa

Das Videostandbild zeigt Kremlkritiker Alexej Nawalny, wie er in einer Polizeistation in Moskau auf eine Gerichtsverhandlung wartet. Foto: Kira Yarmysh/@Kira_Yarmysh/AP/dpa

Moskau. Am Sonntagabend wurde in Moskau nicht nur Alexej Nawalny festgenommen. Laut dem Portal OWD-Info führte die Polizei auch 62 seiner Anhänger am Flughafen Wnukowo ab. Dort hatten sich mehr als tausend Menschen versammelt, um den in Russland vergifteten und in Deutschland kurierten Oppositionellen bei seiner Heimkehr zu begrüßen. Vergeblich. Zwar ließ die Staatsmacht in Wnukowo martialische Hundertschaften von Nationalgardisten in Straßenkampfanzügen aufmarschieren, leitete aber Nawalnys Maschine aus Berlin auf den Flughafen Moskau-Scheremetjewo um.

Dort führte man ihn bei der Passkontrolle ab. Die Zufahrtsstraßen zu beiden Flughäfen wurden gesperrt, auch andere Flüge umgeleitet. Regimekritiker bezeichneten das Vorgehen als absurd und panisch, so wie die Tatsache, dass Nawalny in keinem Gericht, sondern direkt auf einer Polizeiwache in der Vorstadt Chimki dem Haftrichter vorgeführt wurde. Der folgte dem Antrag der Anklage und schickte Nawalny für 30 Tage in U-Haft.

„Da hat jemand im Bunker so viel Angst, dass sie das Prozessrecht zerrissen und in den Müll geworfen haben“, kommentierte der wütende Nawalny auf einem Video. Er ist der Held des Tages, zumindest für die digitale Öffentlichkeit und die demokratische Minderheit Russlands. „Alexejs Tapferkeit ist offensichtlich“, sagt der Menschenrechtler Sergei Dawidis. „Und mit seiner Rückkehr hat er der Staatsmacht erneut seine Tagesordnung aufgedrückt, sie genötigt, die schwachsinnigsten und rechtswidrigsten Entscheidungen zu fällen.“

Schon feiern liberale Kommentatoren Nawalnys Rückkehr als historisches Ereignis, reden von ihm als zukünftigem Präsidenten. „Die Geschichte nimmt zunehmend romantische Züge an“, schreibt der Politologe Sergei Trawin auf Facebook. „Ist das Volk einmal von dieser Romantik durchdrungen, kann es seinen Helden bis in den Himmel heben.“ Aber noch ist Nawalny kein Volksheld. Er habe das Zeug zum Spitzenpolitiker, auch wegen seines Populismus, sagt der Soziologe Lew Gudkow. „Aber noch fehlt ihm die machtvolle Unterstützung aus der Bevölkerung.“

Laut einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrums war Nawalny im September 31 Prozent der Russen gleichgültig, 32 Prozent missfällt oder nervt er, nur 18 Prozent hegen Achtung oder Mitgefühl für ihn. Menschenrechtler Dawidis verweist aber darauf, dass die Zahlen im Fluss sind, langfristig arbeite der Trend für Nawalny und gegen Putin: „Die Erklärungen des Staatsfernsehens stellen immer weniger Menschen zufrieden, nicht nur im Fall Nawalny, sondern übrigens auch, was ihr Leben angeht.“

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Erstellt:
19.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 10sec
zuletzt aktualisiert: 19.01.2021, 06:00 Uhr

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