Einzelhandel
Nach 40 Runden kein Ergebnis
Der Organisationsgrad in der Branche ist niedrig. Streiks bleiben daher meist ohne Wirkung.
Berlin. Fast 40 Verhandlungsrunden und immer noch kein Ergebnis: Die Tarifverhandlungen im Einzelhandel erweisen sich als Hängepartie. Schon vor fast einem halben Jahr hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die Tarifverträge gekündigt. Doch in den regionalen Gesprächen – es gibt keine Verhandlungen für ganz Deutschland – konnte sie sich immer noch nicht mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) einigen. Zuletzt gab es die Hoffnung auf einen Durchbruch mit einem Pilotabschluss in Nordrhein-Westfalen. Doch sie erfüllten sich nicht.
Die Branche ist schwierig: Sie hat zwar 3,1 Millionen Beschäftigte. Aber nur 29 Prozent arbeiten in Unternehmen, die tarifgebunden sind. Es gibt viele Teilzeitbeschäftigte und Minijobber. Daher hat Verdi Probleme, Mitglieder anzuwerben. Entsprechend schwierig ist es, die Arbeitgeber mit Streiks unter Druck zu setzen: Die Kunden stehen in der Regel nicht vor verschlossenen Ladentüren. Zuletzt brachte Verdi in Stuttgart ganze 250 Warnstreikende auf die Straße. Da können die Verkäuferinnen nur die Lokführer beneiden: Wenn die streiken, läuft bei der Bahn kaum noch was.
Zudem stehen die Unternehmen in der Pandemie unterschiedlich gut da: Bei den Lebensmittelhändlern läuft das Geschäft prächtig, während gerade Bekleidungsläden immer noch zu kämpfen haben. Daher lautete das letzte Angebot der Arbeitgeber zwar: 2 Prozent mehr Lohn rückwirkend ab 1. Juli. Aber das sollen die Unternehmen um acht Monate verschieben können, wenn sie zum Ausgleich nächstes Jahr vier Tage Extra-Urlaub gewähren. Ab 1. Juli 2022 sollen dann die Löhne um weitere 1,8 Prozent steigen – viel zu wenig angesichts von fast 4 Prozent Inflation, lehnt das Verdi ab. Die Gewerkschaft will im nächsten Jahr mindestens eine Drei vor dem Komma.
Die Verhandlungen erschwert, dass große Arbeitgeber wie Ikea, Edeka und Rewe auf Empfehlung des HDE schon seit Juli freiwillig 2 Prozent mehr zahlen. Verdi betrachtet das als Provokation: Die Beschäftigten sollten billig abgespeist werden. Der HDE habe kein Interesse an einem zügigen Abschluss mit Reallohnerhöhungen.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Allgemeinverbindlichkeit. Auf sie dringt Verdi, damit auch nicht tarifgebundene Händler die Lohnregeln anwenden müssen. Der HDE lehnt das strikt ab: Arbeitgeber müssten die Möglichkeit behalten, sich gegen die Tarifbindung zu entscheiden.
Alles deutet darauf hin, dass die Hängepartie noch einige Zeit andauert. In Baden-Württemberg wird erst wieder am 20. Oktober verhandelt, für Nordrhein-Westfalen gibt es noch gar keinen neuen Termin. Dieter Keller