Landesregierung

Klima und Sonstiges

Wird nun alles anders? Auf dem Weg zur nächsten gemeinsamen Koalition vereinbaren Grüne und CDU vor allem in einem Politikbereich bereits weitgehende Weichenstellungen.

06.04.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Miteinander, aber nicht gleichberechtigt nebeneinander: der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Miteinander, aber nicht gleichberechtigt nebeneinander: der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Stuttgart. Als die Sondierungsteams von Grünen und CDU am Samstagnachmittag in den weitläufigen Garten des Stuttgarter Hauses der Architekten kommen, laufen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und CDU-Landeschef Thomas Strobl im Gleichschritt nebeneinander her. In wenigen Augenblicken werden sie vor die Presse treten, um bekanntzugeben, dass man ab Donnerstag in die konkreten Verhandlungen für eine neue grün-schwarze Koalition einsteigen wird. Die Fernsehkameras halten drauf, es sind die Bilder zur Botschaft, die beide gleich bei schönstem Wetter verkünden werden: Künftig werde man stärker kooperieren, das Konfrontative der letzten Monate abhaken und abstellen. Oder, in den Worten von Kretschmann: „Ein Weiter so gibt es nicht!“

Grüner Führungsanspruch

Ein bisschen allerdings korrigiert der 72-Jährige das Bild auch gleich wieder, das er eben noch mit Strobl abgegeben hat: Ein neues Miteinander soll es geben, das schon, aber kein gleichberechtigtes Nebeneinander. Aus dem klaren Wahlsieg würden die Grünen „einen klaren Führungsanspruch“ in der neuen Koalition ableiten, macht Kretschmann klar. Strobl, der als Zweiter das Wort hat, will nicht widersprechen, aber auch keinen Eindruck stehen lassen, der an der Basis für Ärger sorgen könnte. „Wir gehen in aufrechtem Gang in diese Koalition“, sagt er, und dass die Vereinbarung, „Baden-Württemberg als Klimaschutzland zum internationalen Maßstab zu machen“, von der CDU in die Sondierungen eingespeist worden sei. „Klimaschutzland, das ist unser Text, das ist ein gemeinsamer Text.“

Es ist viel vom Klima die Rede an diesem Nachmittag, vom Klima zwischen den neuen, alten Partnern, aber auch innerhalb der grünen Partei, und vom Kampf gegen die Erderwärmung, der eine zentrale Klammer der künftigen Regierung sein soll. Schließlich führen die Grünen die Klimapolitik auch als zentrales Argument dafür an, dass sie sich gegen eine Ampel und für die CDU entschieden haben.

„Der Mut zum politischen Gestalten braucht auch Mut für politische Regulierung“, sagt Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand. Der Parteilinke galt lange als Befürworter einer Ampel, sagt nun aber, dass er in den Gesprächen gemerkt habe, dass die „tiefe Abneigung der FDP“ gegen staatliche Regulierungen zum Problem geworden wäre. „Klimaschutz geht nicht nur mit Anreizen“, grenzt sich auch Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz von den Liberalen ab.

Grün-Schwarz bleibe aber „begründungspflichtig“, sagt Ko-Landeschefin Sandra Detzer, schließlich sei es in den vergangenen fünf Jahren nicht so selbstverständlich gewesen, „dass man an einem Strang gezogen hat“. Man werde mit der CDU noch viel verhandeln müssen, etwa über CO2-Budgets, hält sie den Druck aufrecht. Die Kritiker in den eigenen Reihen bittet Detzer: „Schaut auf die Inhalte, die wir vereinbart haben.“ CDU-Generalsekretär Manuel Hagel verspricht, seine Partei wolle auch eine Partei sein, „die sich verändert, die sich verbessert, die dazulernt“. CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart preist Grün-Schwarz als „bürgerlich-ökologische Brückenkoalition“ an.

Bei der CDU haben alle das schlechte Wahlergebnis und die verstörende Gefahr, in die Oppositionsrolle gedrängt zu werden, im Hinterkopf. Bei den Grünen ist es der Gründonnerstag, als der Widerstand im Parteirat gegen Grün-Schwarz viel größer war als von Kretschmann vermutet und eine – letztlich mit Dreiviertel-Mehrheit erzielte – Zustimmung erst nach bangen Stunden sicher war. „Wir sind einfach kein bloßer Abnickverein“, versucht Kretschmann die Turbulenzen in seiner Partei im Nachgang positiv zu deuten.

Nun also wollen alle nach vorne blicken. Am Donnerstag sollen die Koalitionsverhandlungen beginnen und bis Anfang Mai abgeschlossen sein. Für den 8. Mai haben sowohl Grüne als auch die CDU jeweils einen digitalen Parteitag geplant, dort sollen die Delegierten einem Koalitionsvertrag zustimmen. Dann wäre der Weg endgültig frei für die Wiederwahl von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die für den 12. Mai vorgesehen ist, und die Vereidigung seines neuen grün-schwarzen Kabinetts. Bis dahin gilt es allerdings noch einige inhaltliche Hürden zu überwinden, die nach Ansicht von Strobl indes überschaubar sind. „Gefühlt würde ich sagen, dass wir drei Viertel an Gemeinsamkeiten haben.“ Dann gebe es ein Achtel, wo die CDU noch Anliegen habe, und ein Achtel, wo die Grünen noch Wünsche hätten. „Es geht jedes Mal um ein Achtele, und der Schwabe weiß, was ein Achtele ist.“

In ihren Sondierungen haben sich Kretschmann, Strobl und Co. schon auf einige, zum Teil sehr weitgehende Inhalte einer neuen grün-schwarzen Regierung verständigt. Der Fokus sei bewusst „auf die Themen Klimaschutz, Innovation und gesellschaftlichen Zusammenhalt als die zentralen Fragen unser Zeit“ gelegt worden, heißt es in dem siebenseitigen Papier, in dem die Ergebnisse der bisherigen Gespräche zusammengefasst sind. Danach soll „direkt nach der Regierungsbildung“ ein „Sofortprogramm“ für Klimaschutz und eine neue Energie- und Mobilitätspolitik auf den Weg gebracht werden.

1000 neue Windkraftanlagen

Konkret sollen etwa im Staatswald und auf sonstigen Landesflächen in den kommenden fünf Jahren bis zu 1000 neue Windkraftanlagen entstehen, die Finanzpolitik des Landes soll auf das 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet, der Kohleausstieg bis 2030 angestrebt und die Fotovoltaikpflicht auch auf neue Wohngebäude ausgedehnt werden. Angekündigt sind auch ein „Gesamtpaket für humanitäre Flüchtlingspolitik“ inklusive eines neuen Sonderkontingents für Jesidinnen aus dem Nordirak, ein Antidiskriminierungsgesetz und die Einführung einer anonymisierten Kennzeichnungspflicht für geschlossene Einheiten der Polizei in Großlagen. Aber auch die personelle und technische Stärkung der Polizei ist Teil des Papiers.

2016 hatte Strobl gesagt, Grüne und CDU hätten sich nicht gesucht, aber gefunden. „Dieses Mal“, sagt er nun, „mussten wir uns nicht suchen, weil wir uns bereits kannten. Aber schön, dass wir uns wiedergefunden haben.“

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Erstellt:
06.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 46sec
zuletzt aktualisiert: 06.04.2021, 06:00 Uhr

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