Filmfestival

Kein klarer Favorit

In Venedig konkurrieren große Regisseure wie die Brüder Coen, Alfonso Cuarón und Mike Leigh um den Goldenen Löwen. Auch ein deutscher Film hat Chancen.

08.09.2018

Von ALIKI NASSOUFIS, DPA

Ein starker Jahrgang macht der Jury bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig das Leben schwer. Dafür sind viele Stars da, wie US-Schauspielerin Natalie Portman, die am Dienstag zur Premiere von „Vox Lux“ über den Roten Teppich schritt. Foto: Kirsty Wigglesworth

Ein starker Jahrgang macht der Jury bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig das Leben schwer. Dafür sind viele Stars da, wie US-Schauspielerin Natalie Portman, die am Dienstag zur Premiere von „Vox Lux“ über den Roten Teppich schritt. Foto: Kirsty Wigglesworth

Venedig. Ein starker Wettbewerb kann bei einem Filmfestival zum Fluch werden. Denn dann gibt es so viele Beiträge, die eine Auszeichnung verdient hätten, dass die Jury unmöglich alle berücksichtigen kann. Die 75. Filmfestspiele von Venedig scheinen solch ein Jahrgang zu sein. Während sich die Festivalbesucher über zahlreiche gute Beiträge freuen, kristallisierte sich bis gestern noch kein klarer Favorit heraus. Wer heute Abend den Goldenen Löwen für den besten Film gewinnt, bleibt bis zuletzt offen.

Mit am wagemutigsten – aber auch umstrittensten – ist der Italiener Luca Guadagnino, der in „Suspiria“ Dakota Johnson und Tilda Swinton in einer Horror-Tour de Force durchs West-Berlin der 70er Jahre schickt. Deutlich einiger scheinen sich Publikum und Kritiker dagegen bei „The Favourite“: Dem Griechen Giorgos Lanthimos gelingt ein bissiger, satirisch-überhöhter Blick auf die Intrigen am Hof der britischen Queen Anne. Das ist so unterhaltsam wie originell und bleibt zudem wegen des herausragenden Frauen-Trios in Erinnerung. Neben Emma Stone und Rachel Weisz brilliert Olivia Colman als tragische und launische Königin.

Deutlich stiller inszeniert Oscargewinner Damien Chazelle („La La Land“) das Leben von Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond. Er ehrt in „First Man“ die technischen und menschlichen Leistungen, ganz ohne patriotischen Kitsch – was in den USA auf Kritik stieß.

Überhaupt schauen in dieser Festivalausgabe viele Filmemacher, darunter etablierte Regisseure, zurück in die Vergangenheit. Die Coen-Brüder Ethan und Joel etwa legen einen Western vor; der Brite Mike Leigh blickt auf die Anfänge moderner Demokratie in England. Aktuelle Fragen und drängende Probleme der Gegenwart hingegen werden kaum thematisiert. Eine der wenigen Ausnahmen: „Jason Bourne“-Regisseur Paul Greengrass, der in „22 July“ die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya mit 77 Toten in den Mittelpunkt rückt. Während er die Folgen für die Opfer und ihre Familien rekonstruiert, thematisiert er auch Populismus und das Erstarken der rechtsextremen Szene.

Bemerkenswert darüber hinaus: wie kunstvoll mehrere Filmemacher ihre Werke inszenieren. Der Mexikaner Alfonso Cuarón („Gravity“) wählt in „Roma“, einer Ode an sein früheres Kindermädchen, wunderschöne Schwarz-Weiß-Bilder. Der Ungar László Nemes lässt die Kamera in „Napszállta (Sunset)“ elegant durch das Budapest kurz vor dem Ersten Weltkrieg gleiten. Um Kunst geht es auch im deutschen Beitrag „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck, der bei der Kritik weniger gut ankam als beim Publikum.

Die einzige Frau im Venedig-Wettbewerb hat am Donnerstag einen der brutalsten Beiträge vorgelegt. Die Australierin Jennifer Kent prangert in „The Nightingale“ den Massenmord an Aborigines und die Gewaltbereitschaft der britischen Kolonialisten an. Die Regisseurin, die früher mit dem Dänen Lars von Trier zusammenarbeitete, zeichnet das Bild einer gesetzlosen Gesellschaft, in der die Macht des Stärkeren regiert. Wirklich nuanciert sind ihre Figuren dabei nicht gezeichnet; letztendlich sind fast alle Sodaten gewalttätig. Über 136 Minuten wiederholt Kent dieses Bild etwas zu oft – und hinterlässt doch Eindruck, auch, aber nicht nur wegen der zahlreichen, blutigen Mordsequenzen.

Jury hat die Qual der Wahl

Bei den Darstellerpreisen hat die Jury um ihren Präsidenten Guillermo del Toro ebenfalls einige Wahlmöglichkeiten: Unter den Frauen drängen sich unter anderem Olivia Colman als Queen Anne und Dakota Johnson aus „Suspiria“ auf. Bei den Männern stechen Willem Dafoe und John C. Reilly heraus. Dafoe verkörpert eindringlich den Maler Vincent van Gogh in „At Eternity?s Gate“, dessen letzte Jahre Regisseur Julian Schnabel in von Sonnenlicht durchströmten Bildern einfängt. John C. Reilly verleiht seinem Charakter im Western „The Sisters Brothers“ von Jacques Audiard so viel Tiefe und Facetten, dass auch er eine venezianische Auszeichnung mehr als verdient hat. Doch bei den Darstellern gilt ebenfalls: Die Konkurrenz ist stark. Aliki Nassoufis, dpa

Chris Pine posiert für ein Selfie beim TIFF. Foto: GEOFF ROBINS/afp

Chris Pine posiert für ein Selfie beim TIFF. Foto: GEOFF ROBINS/afp

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Erstellt:
08.09.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 08.09.2018, 06:00 Uhr

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