Politik

SWP-Leitartikel: Größer als Laschet

Wann immer es in der Union während der vergangenen Jahre schepperte, die CDU wusste sich am Ende einigermaßen leicht zu beruhigen: mit Angela Merkel, dem Kanzleramt und einem Seitenblick auf die SPD. Denn dort ging es meist noch turbulenter zu.

02.10.2021

Von ELLEN HASENKAMP

Doch alte Gewissheiten wie diese haben sich nach dem denkwürdigen Wahlsonntag auch für die Union in Luft aufgelöst – und diese bittere Realität kommt nach einigen Tagen der Schockstarre allmählich an im Bewusstsein der Partei.

Angela Merkel ist weg, das Kanzleramt womöglich auch und die Sozialdemokraten, deren Selbstzerfleischungsübungen man stets mit einer Mischung aus Grusel und Verwunderung betrachten konnte, haben sich zuletzt als verdammt disziplinierte Mannschaft erwiesen. Statt Chaostruppe plötzlich Machtmaschine – SPD und Union scheinen spätestens mit dem Wahlausgang auch diese Rollen zu tauschen. Die Union kann plötzlich bei den anderen die bekannte Wechselwirkung beobachten; wie nämlich Zusammenhalt die Aussicht auf die Macht steigert und zugleich die Aussicht auf die Macht zusätzlich zusammenschweißt.

Weil beides in der Union gerade schwindet, stehen der Partei schwere Zeiten bevor. Und das umso mehr, da die CDU in einer Hinsicht nun wirklich rein gar nichts mit der SPD gemeinsam hat: Während nämlich die Sozialdemokraten 2017 die Aussicht auf die Opposition geradezu bejubelten (ehe sie sich dann doch in die GroKo zwängen ließen), löst der Abschied von der Regierungsverantwortung bei den Christdemokraten Entsetzen aus. Aufarbeitung, inhaltliche Neubestimmung, Programmarbeit sind nämlich in Wahrheit nichts, was die überwältigende Mehrheit der christdemokratischen Herzen erwärmt, auch wenn sie – wie auch jetzt wieder – verlässlich nach jedem enttäuschenden Wahlergebnis gefordert werden. Die Kombination aus Oppositionsbank und Debattenstuhlkreis aber dürfte zu viel sein für die machtverwöhnte Macherpartei.

Kein Wunder also, dass man in der Union nun dazu neigt, den Wahlschlamassel einer einzigen Person vor die Füße zu werfen: Armin Laschet. Dabei wird einiges übersehen. Der Kanzlerkandidat wurde ja in jener legendären Aprilnacht nicht aus dem Nichts von der CDU-Spitze herbeigezaubert. Laschet war erst wenige Wochen zuvor von einer, wenngleich knappen, Mehrheit der Delegierten zum Parteichef gewählt worden. Und jedem einzelnen von ihnen war klar, dass es dabei auch um die Vorentscheidung zur Kanzlerkandidatur geht.

Auch die Rolle Merkels wird in der CDU aufgearbeitet werden müssen: Sie hat erst am entscheidenden Teil ihrer Macht festgehalten und dann darauf verzichtet, diese Macht zum Wohle ihres möglichen Nachfolgers einzusetzen. Und dann war da noch CSU-Chef Markus Söder. Der aber muss aufpassen, dass er mit seinem rücksichtslosen Agieren jetzt nicht wieder denselben unfreiwilligen Solidarisierungseffekt in der CDU auslöst wie im Kandidatenrennen vor fünf Monaten: Dann doch lieber Laschet.

leitartikel@swp.de

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Erstellt:
02.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 14sec
zuletzt aktualisiert: 02.10.2021, 06:00 Uhr

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