Globales Wartezimmer

Leitartikel zum Coronavirus

Seit langer Zeit schon ist vom globalen Dorf die Rede. Die immer intensiveren Handelsverbindungen, der Ausbau der Flugrouten und der digitalen Kommunikation haben auch die entferntesten Länder zu Nachbarn werden lassen.

26.02.2020

Von Guido Bohsem

Berlin. Die enge Verbundenheit spüren die Deutschen seit Jahrzehnten. Sie konkurrieren um Jobs mit Ländern, die einen halben Erdball entfernt sind, und sie liefern den gleichen Ländern aus der deutschen Provinz Maschinen, Autos und Dienstleistungen. Das alles nennt sich Globalisierung. Doch erst das Coronavirus dürfte es vielen unter uns begreiflich machen, was damit wirklich gemeint ist.

Denn mit dem unkontrollierten Ausbruch des neuen Erregers in Norditalien tritt die offenbar in China entstandene Krankheit nicht mehr nur im globalen Dorf auf, sondern nebenan. Noch besteht die Hoffnung, dass die italienischen Behörden die Kontrolle gewinnen, besonders groß ist sie jedoch nicht. Solange keiner weiß, wie das Virus in die Lombardei eingeschleppt wurde, kämpfen die Gesundheitsbehörden mit verbundenen Augen dagegen an. Corona wird auch in Deutschland vermehrt auftauchen, das ist nur eine Frage der Zeit.

Mit einem Schlag sind die Bilder der leeren Straßen chinesischer Städte kein Einblick mehr in eine ferne Welt. Nein, die provisorischen Klinikbauten in Peking und Wuhan, die mit Atemmasken uniformierten Menschen, der Stillstand der Produktion, des Konsums, des gesamten öffentlichen Leben, all das rückt uns auf einmal unerträglich nahe. Die Welt ist derzeit ein globales Wartezimmer.

Die Behörden versuchen, den Begriff Pandemie möglichst noch zu vermeiden. Vermutlich steckt dahinter die Absicht, keine Panik entstehen zu lassen. Das ist ehrenhaft. Doch dass es sich seit Italien um einen nicht mehr zu kontrollierenden flächendeckenden Ausbruch einer Krankheit handelt, für die es kein Gegenmittel gibt, daran sollte keiner zweifeln.

Dennoch gibt es keinen Grund, sich in dieses Schicksal zu fügen. Auch die Frage, ob Corona nun gefährlicher oder weniger gefährlich ist als die jährliche Grippe, spielt keine Rolle. So oder so, es werden Tausende sterben, breitet sich das neue Virus aus. Vielleicht nicht unbedingt in Europa, aber in den Ländern Afrikas, wo die Gesundheitssysteme dem Druck einer Pandemie nicht standhalten werden. Gerade die reichen europäischen Nationen müssen nun vorbildlich vorangehen – dazu gehören auch so unbequeme Maßnahmen wie in China.

Entscheidend ist, dass die Staaten dabei anders vorgehen als China. Anders als die Machthaber in Peking müssen sie offen und ehrlich kommunizieren, ihre Pläne nachvollziehbar erläutern und die Menschen ausreichend vorbereiten So lässt sich das Virus nicht nur besiegen, vielleicht führt die Krankheit dann sogar einen echten Wandel herbei: Es gibt bereits Kommentatoren, die den Coronaausbruch als „Tschernobyl Chinas“ bezeichnen. So wie die Atomkatastrophe 1986 den Untergang des kommunistischen Systems in der UdSSR herbeiführte, könne es auch der KP Chinas mit Wuhan ergehen. Alles hängt davon ab, wie es nun weitergeht.

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Erstellt:
26.02.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 26.02.2020, 06:00 Uhr

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