Bahn

GDL-Chef Weselsky: Ein knallharter Eisenbahner

Die Streiks könnten lange dauern, sagt Gewerkschaftschef Claus Weselsky. Der Sachse gibt selbst zu, dass ihm der Hang zur Harmonie fehle.

12.08.2021

Von DIETER KELLER UND DOROTHEE TOREBKO

GDL-Chef Weselsky:  15 Jahre lenkte er als Lokomotivführer erst Güter- und dann Personenzüge.  Foto: Annette Riedl/dpa

GDL-Chef Weselsky: 15 Jahre lenkte er als Lokomotivführer erst Güter- und dann Personenzüge. Foto: Annette Riedl/dpa

Mit diesem ersten Signal muss dem Management klarwerden, dass mit uns nicht gut Kirschen essen ist.“ Seit Mittwoch legt die Lokführergewerkschaft GDL große Teile des Bahnverkehrs für zwei Tage lahm, und ihr Chef Claus Weselsky machte gleich zu Beginn klar: Das ist nicht nur ein Warnschuss. Er und seine Mitstreiter haben einen langen Atem – auch wenn das bei Pendlern genauso unpopulär sein mag wie bei Fernreisenden.

Auf Popularität war Weselsky noch nie aus, höchstens unter den Mitgliedern seiner Gewerkschaft. Die wächst: Aktuell sind 37?000 dabei, und in den letzten zwölf Monaten habe sie 3000 neue gewonnen, erzählt er stolz – in der Fahrdienstleitung oder in Reparaturwerkstätten. Die Fixierung nur auf Lokführer ist längst aufgegeben. Trotzdem ist die GDL deutlich kleiner als die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), mit 184?000 Mitgliedern die kleinste der DGB-Gewerkschaften, Tendenz rückläufig.

Wer kennt schon Klaus-Dieter Hommel? Der EVG-Chef, seit Dezember 2020 im Amt, ist ein unbeschriebenes Blatt – ganz im Gegensatz zu Weselsky. Der wirft der Konkurrenz regelmäßig einen Kuschelkurs mit dem Bahn-Management vor. Streiks sind bei der EVG die große Ausnahme.

Das Markanteste an Weselsky ist neben seinem Schnauzer wohl sein Dialekt. Er sächselt – und wie. Er sagt nicht Arbeitskampf, sondern Orbeidsgompf. Er sagt nicht Tarifvertrag, sondern Doriefverdrach. Sächsisch ist der unbeliebteste Dialekt in Deutschland. Das weiß Weselsky, doch es ist ihm herzlich egal. Der gebürtige Dresdner redet, wie es ihm passt, und er hebt sich damit von allen anderen Gewerkschaftsbossen ab. Weselsky verrät mit seinem Dialekt viel über sein Selbstverständnis und das Ansehen seiner Gewerkschaft. Er möchte anders sein, egal um welchen Preis.

„Er ist knallhart, lässt sich von nichts beeindrucken“, sagt ein Bundestagsabgeordneter, der den Gewerkschaftsboss lange kennt. Beim letzten GDL-Streik vor sechs Jahren überschlugen sich die Medien mit Schlagzeilen über den „harten Hund“, den „Hardliner“, den „Einheizer“. Vier Tage lange bestreikte Weselskys Gewerkschaft das Land, legte den Bahnbetrieb lahm und schaffte sich viele Feinde.

Wer mit dem 62-Jährigen spricht, und sei es im Hintergrund, der merkt: Die Bahn ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Wenn er das System Schiene erklärt, kommt er innerhalb von Sekunden von 0 auf 100. Er genießt seine Rolle als Robin Hood der kleinen Eisenbahner.

Die GDL hat eine stark ostdeutsche Prägung. Ihre Wurzeln reichen bis ins Jahr 1867 zurück. Nach dem Krieg war die Entwicklung in den beiden Teilen Deutschlands ganz unterschiedlich: Im Westen waren die meisten Lokführer bis zur Bahnreform 1994 Beamte, sie durften also nicht streiken. Anders im Osten, wo die GDL Anfang 1990 als erste freie Gewerkschaft in der DDR wiedergegründet wurde. Binnen weniger Monate waren bei ihr rund 15?000 Ost-Lokführer organisiert. Entsprechend dominant trat sie nach der Vereinigung mit den West-Kollegen Anfang 1991 auf.

Auch Weselsky, seit 2008 GDL-Chef, ist stark von der DDR geprägt – und von der Einsamkeit des Lokführers im Führerstand. Nach einer Lehre als Schienenfahrzeugschlosser lenkte er 15 Jahre lang selbst als Lokomotivführer erst Güter- und dann Personenzüge, ehe er 1992 hauptberuflicher Gewerkschaftsfunktionär wurde. Er sei keiner, der immer im Team spielen müsse, bekannte er einmal von sich. Ihm fehle der Hang zur Harmonie.

Das erklärt wohl ein gutes Stück seine Gnadenlosigkeit. Die im Westen über Jahrzehnte eingespielte Tarifpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern und die Suche nach Kompromissen am Verhandlungstisch sind ihm fremd. Ihn schert nicht, wie ein Streik mitten in der Corona-Pandemie und den großen Hochwasserschäden in der Öffentlichkeit ankommt. „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für einen Streik bei der Eisenbahn“, weist er solche Einwände ab. „Bitte wenden Sie sich an das DB-Management.“

Das ist bei ihm zutiefst verhasst. Es fülle sich nur selbst die Taschen, während es die normalen Bahner mit Brotkrumen abspeise, haut er offen auf die Pauke. Worte wie „Lügenbande“ oder „gierige Bahnmanager“ kommen ihm locker über die Lippen. Dabei fällt auf, dass er weder Bahn-Chef Richard Lutz noch Personalvorstand Martin Seiler persönlich angreift. Letztgenannter verzweifelt, weil Weselsky jede Verhandlung verweigert und die bedingungslose Kapitulation seines Gegenübers verlangt.

Was Weselsky letztlich auch nicht recht wäre, weil es ihm weniger um Zehntelprozente geht als um Macht. Er will bessere Abschlüsse als die EVG und so neue Mitglieder werben. Und er will verhindern, dass die GDL Opfer eines „Vernichtungsfeldzugs“ wird, den er dem Vorstand vorwirft. Nach den Regeln des neuen Tarifeinheitsgesetzes hat im einzelnen Betrieb die Gewerkschaft allein das Sagen, die am meisten Mitglieder hat. Das ist bei der GDL nach Ansicht der Bahn nur in 16 von rund 300 Betrieben der Fall. Doch auch darüber dürfte in den nächsten Wochen erbittert gestritten werden – Ausgang offen.

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Erstellt:
12.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 12.08.2021, 06:00 Uhr

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