Reutlingen · Luftreinhalteplan

Gericht urteilt: Diesel dürfen weiterfahren

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat zwar die Revision von Stadt und Land abgewiesen, hält Fahrverbote aber für unverhältnismäßig.

27.02.2020

Von Uschi Kurz

An der chaotischen Situation in der Lederstraße wird sich vorläufig wohl nichts ändern. Auch wenn manche neben der Spur fahren. Bild: Horst Haas

An der chaotischen Situation in der Lederstraße wird sich vorläufig wohl nichts ändern. Auch wenn manche neben der Spur fahren. Bild: Horst Haas

Die Würfel sind gefallen: Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hat gestern das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Tübingen, verurteilt, den Luftreinhalteplan fortzuschreiben. Die Revision von Land und Stadt Reutlingen wurde zwar abgewiesen. Allerdings müssten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keine Fahrverbote verhängt werden. Erleichterung bei der nach Leipzig geeilten Delegation mit Oberbürgermeister Thomas Keck und Erste Bürgermeisterin Ulrike Hotz an der Spitze.

Der Vorsitzende Andreas Korbmacher verkündete gestern um 16.42 Uhr nach mehrstündiger Beratung dieses Urteil. Verfahrensfehler beim Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim, der im vergangenen März der Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben hatte, wonach Fahrverbot in die Fortschreibung des Luftreinhalteplan aufgenommen werden müssten, mochten die fünf Leipziger Richter des 7. Senats keine erkennen. Das hatte sich bereits bei der zweistündigen Verhandlung am Vormittag abgezeichnet.

Deshalb stützte sich die Hoffnung der Reutlinger Delegation, doch noch um Fahrverbote herumzukommen, ganz darauf, dass das Gericht die Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes anwenden würde. Diese Gesetzesnovelle besagt, dass Fahrverbote in der Regel nur dann verhältnismäßig wären, wenn der Wert von 50 Mikrogramm überschritten wird. Diese Hoffnung wurde nun erfüllt: „Wenn nach einer Prognose auf hinreichend sicherer Grundlage der Grenzwert für Stickstoffdioxid in Kürze eingehalten wird, kann ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge unverhältnismäßig sein“, begründet der 7. Senat seine Entscheidung.

Zur Erinnerung: Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte das beklagte Land verurteilt, den Luftreinhalteplan unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwerts für Stickstoffdioxid enthält. Der Plan, so die Kritik, „verzichte zu Unrecht auf Dieselfahrverbote. Auch seien die bei der Planung zugrunde gelegten Prognosen teilweise nicht hinreichend belegt.“

Der Luftreinhalteplan leide zwar an den festgestellten „Prognosefehlern“. Allerdings, heißt es in einer ersten Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts, sei, „– anders als der Verwaltungsgerichtshof meint – ein Dieselfahrverbot nicht zwingend vorzusehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei sowohl bei der Anordnung von Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte als auch bei deren Ausgestaltung zu beachten. Ein Dieselfahrverbot könne insbesondere dann unverhältnismäßig sein, wenn die baldige Einhaltung des Grenzwertes absehbar sei.

Genau so hatte die Stadtverwaltung Reutlingen argumentiert. Ob Keck zeigte sich direkt nach der Urteilsverkündung erleichtert und bestätigt: „Ich denke, wir können zufrieden nach Hause fahren.“ Das Gericht habe die Bemühungen der Stadt um eine Verbesserung der Werte „sehr, sehr deutlich gewürdigt“. Natürlich dürfe man nun nicht nachlassen in den Bemühungen. Er zeigte sich aber überzeugt, dass es – wie prognostiziert – gelingen werde, den Grenzwert im Jahresmittel einzuhalten. Man werde deshalb weitere Anstrengungen im ÖPNV und im Radverkehr unternehmen.

Die aktuell gültige vierte Fortschreibung des Luftreinhalteplans basiert auf Messwerten aus dem Jahr 2017. Darauf bezieht sich auch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom März 2019. Seither habe man bei der Luftreinhaltung gewaltige Fortschritte gemacht, so Keck: „Wir konnten den Stickstoffdioxid-Jahresgrenzwert von 60 Mikrogramm im Jahr 2017 auf 46 Mikrogramm im Jahr 2019 senken. Prognostiziert ist, dass der Jahresmittelwert für das Jahr 2020 unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm liegen wird.“

Bevor sich die fünf Richter zur Beratung zurückzogen, hatte der Oberbürgermeister an die Kammer appelliert, die besondere Situation der Stadt bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Man sei mit der Luftreinhaltung nachweislich auf einem sehr guten Weg: „Um so weit zu kommen, haben wir als Stadtverwaltung große Anstrengungen auf uns genommen, die bei unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht immer auf Verständnis stießen.“

Die Reaktion der Deutschen Umwelthilfe auf das Urteil

Auch die Deutsche Umwelthilfe hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts begrüßt, zieht aber andere Schlüsse als Stadt und Land. Diesel-Fahrverbote seien grundsätzlich unvermeidbar, wenn der Grenzwert mit sonstigen Maßnahmen nicht schnellstmöglich eingehalten werde. Das Gericht erlaube das Absehen von Fahrverboten nur, „wenn die Grenzwerteinhaltung in kurzer Zeit sicher zu erwarten“ sei. Dies wird von Jürgen Resch, dem Bundesgeschäftsführer der DUH freilich bezweifelt. Gleichwohl spricht er in einer Pressemitteilung von einem „guten Tag für die saubere Luft und die Menschen in Reutlingen“. Und es sei ein Weckruf für die grün-schwarze Landesregierung, sich endlich aus dem Würgegriff der Dieselkonzerne zu befreien und die Einhaltung des Grenzwerts für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid auch in Stuttgart, Ludwigsburg, Heilbronn und weiteren Problemstädten noch in diesem Jahr sicherzustellen“.

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Erstellt:
27.02.2020, 19:24 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 27.02.2020, 19:24 Uhr

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