Komponist

Die „Stimme des Widerstands“ ist verstummt

Der Sirtaki aus „Alexis Sorbas“ machte ihn berühmt, seine Biografie gleicht einem Roman: Griechenland trauert um Mikis Theodorakis.

03.09.2021

Von Gerd Höhler

Der griechische Komponist Mikis Theodorakis im Jahr 2018: In Athen schwenkt er nach seiner Rede bei einer Kundgebung eine griechische Fahne. Jetzt ist er im Alter von 96 Jahren in der griechischen Hauptstadt gestorben. Foto: Petros Giannakouris

Der griechische Komponist Mikis Theodorakis im Jahr 2018: In Athen schwenkt er nach seiner Rede bei einer Kundgebung eine griechische Fahne. Jetzt ist er im Alter von 96 Jahren in der griechischen Hauptstadt gestorben. Foto: Petros Giannakouris

Als sich am Donnerstagmorgen um kurz vor zehn Uhr in Griechenland die Nachricht vom Tod des Komponisten Mikis Theodorakis verbreitete, unterbrachen die Rundfunksender ihre laufenden Programme. Und dann spielten viele Stationen jenes Lied, mit dem „Mikis“, wie ihn die meisten Menschen in Griechenland liebevoll nannten, weltberühmt wurde: den Sirtaki aus dem Film „Alexis Sorbas“.

Komponist und Dirigent, Musiker und Schriftsteller, Widerstandskämpfer und Rebell, Kommunist und Konservativer: All das und viel mehr war Mikis Theodorakis. Unbändig und empfindsam, aufbrausend und verletzlich, so haben ihn seine Freunde in Erinnerung. Ein Rastloser: immer unterwegs, nie am Ziel. Griechenlands Kulturministerin Lina Mendoni brachte es auf den Punkt: „Heute haben wir ein Stück der griechischen Seele verloren.“

Erst am 29. Juli hatte Mikis Theodorakis seinen 96. Geburtstag gefeiert. Seine Biografie ist ein Stück erlebter und erlittener griechischer Geschichte: Widerstand gegen die Nazi-Besatzer im Zweiten Weltkrieg, Haft und Folter. Danach erneut Verfolgung, Deportation und Verbannung im griechischen Bürgerkrieg. Sich raus- oder auch nur den Mund zu halten, war seine Sache nicht, auch nicht nach dem Putsch der Obristen im April 1967. Wieder ging Theodorakis in den Widerstand, wieder wurde er eingekerkert und gefoltert. Erst 1970 kam er auf internationalen Druck frei und ging ins Exil nach Frankreich. Dort schrieb er einige seiner größten Kompositionen, darunter „Axion Esti“ und den „Canto General“.

Eine Stimme des Widerstandes war Theodorakis in jenen Jahren nicht nur für viele Griechen in der Heimat, sondern auch für jene, die im Ausland gegen die griechische Obristenjunta kämpften. Zu Zehntausenden strömten die Menschen in seine Konzerte. Theodorakis wurde zum Symbol der Freiheit, seine Musik gab den unterdrückten Griechen Mut und Identität. Auf allen Kontinenten hat er mit wild rudernden Armen die Orchester angetrieben und ist mit seiner Stakkato-Stimme den Sängern dazwischengefahren.

„Aetos“, den Adler, nannten die Griechen den fast zwei Meter großen Hünen. Sein Sirtaki aus dem „Alexis Sorbas“ wird auf der ganzen Welt gespielt, aber den Griechen gehen vor allem seine großen Liederzyklen unter die Haut, die Oratorien und die Kampflieder aus der Zeit der Obristendiktatur.

Als Theodorakis 1974 nach dem Sturz der Junta in seine Heimat zurückkehrte, feierten die Menschen ihn als Volkshelden. Sein erstes Konzert im Karaiskaki-Stadion wurde zu einem Volksfest der Freiheit. Die politischen Parteien umwarben Theodorakis. Aber er blieb ein rastloser, rebellischer Geist. Mal sympathisierte er mit der stalinistischen griechischen KP, mal mit den Eurokommunisten, dann wieder mit den Konservativen, die ihn 1990 zum Minister ohne Geschäftsbereich beriefen.

Er selbst sagte: „Ich war immer echt und wahr. Ich habe mich nie dazu bringen lassen zu lügen, eine fremde Maske aufzusetzen, zu schmeicheln oder zu bitten.“ Er war ein Kämpfer, aber nie hat er gespalten. Immer versuchte er, die Griechen zu einen.

Theodorakis wirkte seit einigen Jahren gebrechlich. Das sah man auch, als er im Juni 2019 im Rollstuhl bei einem Konzert zu seinen Ehren im berühmten Kalimarmaro erschien, dem alten Athener Olympiastadion. Aber sein ruheloser Geist war bis zuletzt hellwach.

In einem Interview blickte der „Adler“ vor einigen Jahren auf sein Leben zurück: „Besonders genossen habe ich die großen Schwierigkeiten, die Ausweglosigkeit, die Gefahr. Wenn ich ganz auf mich allein gestellt war. Dann kam es mir immer vor, als hätte ich Schwingen und flöge gegen den Wind und die Stürme an. Mit einem Wort: Ich habe so gelebt, wie ich mir das in meiner Jugend ausgemalt habe: frei!“

Der Sirtaki – eine Tradition, die keine ist

Für die meisten Menschen gehört der Sirtaki genauso zu Griechenland wie Feta-Käse und Ouzo. Die Melodie, zu der die Hauptfiguren in dem Film „Alexis Sorbas“ aus dem Jahr 1964 tanzen, stammt aus der Feder von Mikis Theodorakis. Was die wenigsten Menschen wissen: Der Sirtaki-Tanz wurde eigens für den Film entworfen. Er verbindet langsame und schnelle Rhythmen mit zwei Stilen des griechischen Volkstanzes, dem Chasapiko und dem Seibekiko. Die Tänzer stellen sich dazu in eine Reihe und legen ihre Hände auf die Schulter des Nebenmanns.

Für das bekannte Musikstück am Ende des Films habe sich Regisseur Michael Cacoyannis ein immer schneller werdendes Tempo gewünscht, sagte Theodorakis einmal über das Werk. Mit der Musik und der dazugehörigen Choreographie trafen Cacoyannis und Theodorakis offenbar den Nerv der Zeit: Das Stück wurde zum weltweiten Erfolg. - afp

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Erstellt:
03.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 03.09.2021, 06:00 Uhr

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