Auf Erdogans roter Liste

Der Tübinger Busfahrer Baris Ates bekommt den langen Arm des türkischen Regimes zu spüren

Es sollte ein entspannter Urlaub im Süden bei Freunden werden. Baris Ates, der seit 2012 als anerkannter Flüchtling in Deutschland lebt und in Tübingen als Busfahrer arbeitet, seine Frau Ergül und die beiden Kinder waren am 20. Juni nach Spanien geflogen. Als sie in ihrem Hotel ankamen, war es bereits nach Mitternacht. Vier Stunden später riss lautes Klopfen die Familie aus dem Schlaf.

21.07.2018

Von Uschi Hahn

Baris Ates: Die Türkei verlangt von Spanien die Auslieferung des 43-Jährigen. Privatbild

Baris Ates: Die Türkei verlangt von Spanien die Auslieferung des 43-Jährigen. Privatbild

„Um halb fünf kam die Polizei“, berichtet Ergül Ates. „Alles ging sehr schnell“, sagt sie über die Festnahme ihres Mannes, „wir haben gar nichts verstanden.“

Die Frau und die Kinder, ein und viereinhalb Jahre alt, blieben im Hotel zurück. An der Rezeption fand Ergül Ates jemand, der Deutsch spricht. Sie alarmierte den Freund, den die Familie in Spanien besuchen wollte. Der schaltete einen Anwalt ein. Erst von ihm erfuhr Ergül Ates, was los war. Ihr Mann steht auf der sogenannten roten Liste bei Interpol. Die Türkei verlangt seine Auslieferung.

Bereits einen Tag später erreichte der Anwalt die Freilassung Ates’ aus dem Gefängnis. Doch seither sitzt er in Spanien fest. Der 43-Jährige darf das Land nicht verlassen, das deutsche Reisedokument, das ihn als anerkannten Flüchtling ausweist, hat die spanische Polizei einbehalten. Einmal in der Woche muss sich der 43-Jährige in Spanien bei der Polizei melden.

Die türkischen Behörden werfen dem studierten Philosophielehrer die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vor. Dabei hatte Ates lediglich den Kriegsdienst verweigert und sich im Jahr 2000 an Studierendenprotesten beteiligt. Er saß deshalb bereits über 30 Monate in türkischer Haft. Vor der Überprüfung des Urteils durch das Kassationsgericht war er auf freiem Fuß, konnte sogar als Lehrer arbeiten. Als entschieden wurde, dass er für weitere zweieinhalb Jahre ins Gefängnis muss, flüchtete der an Tuberkulose erkrankte Ates 2012 nach Deutschland.

Der Fall war eindeutig. Bereits im ersten Anlauf wurde der Kurde als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention anerkannt und bekam eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ein Jahr später durfte seine Frau im Zuge der Familienzusammenführung nach Deutschland einreisen. Auch Ergül Ates hatte in der Türkei als Lehrerin gearbeitet.

Die Verhaftung ihres Mannes war ein Schock für die zierliche Frau. Es war schließlich nicht die erste Reise nach der Flucht. Sie waren mit dem blauen Flüchtlings-Pass schon in Frankreich, Italien und auch in der Schweiz. Warum also jetzt die Festnahme in Spanien? Der spanische Anwalt habe ihr erklärt, der Name ihres Mannes stünde erst seit Januar dieses Jahres auf der Dringlichkeitsliste von Interpol, sagt Ergül Ates.

Nach der Freilassung ihres Mannes war sie mit den Kindern zunächst bei ihm in Spanien geblieben. Die beiden wandten sich ans deutsche Konsulat in Malaga. Es sei nicht möglich, inhaltlich auf das Verfahren Einfluss zu nehmen, hieß es im Konsulat – mit Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz, die in den EU-Mitgliedstaaten zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen gehöre. Man werde aber das Auslieferungsverfahren beobachten und Baris Ates im Rahmen des Möglichen unterstützen.

Inzwischen ist Ergül Ates nach Tübingen zurückgekehrt. Sie wirkt gefasst. „Ich beschäftige mich mit den Kindern“, sagt sie lächelnd. Über Handy und Skype hält sie Kontakt zu ihrem Mann. „Er geht täglich in die Bibliothek und lernt Spanisch“, berichtet sie und lächelt erneut.

Auch Baris Ates wirkt am Telefon halbwegs gelassen. „Ich vermisse meine Familie“, sagt er. Hoffnung macht ihm die Auskunft seines spanischen Anwalts, es gebe die Möglichkeit für Ates, nach Deutschland zurückzukehren und sich hier regelmäßig beim spanischen Konsulat zu melden, bis das Auslieferungsverfahren abgeschlossen ist. Doch das müsste ein Richter jetzt schnell entscheiden. „In Spanien sind im August Gerichtsferien“, weiß Ates. „Dann passiert gar nichts.“

Die Lage für die Familie ist nicht gut. Die finanziellen Reserven sind aufgebraucht. Der Anwalt in Spanien will Geld, das Zimmer in Granada kostet. Freunde haben schon 500 Euro gesammelt. Auch die Tübinger Linken-Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel hat ein Spenden-Konto für Baris Ates eingerichtet. Den Kontakt hat Ates’ Tübinger Anwalt Manfred Weidmann hergestellt. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR ist eingeschaltet.

Zumindest eine Sorge muss sich Baris Ates nicht machen: Den Job wird er nicht verlieren. „Wir warten auf ihn“, verspricht Stephan Kocher, Chef des Busunternehmens, für das Ates seit Februar 2016 durch Tübingen fährt. „Wir hoffen, dass er möglichst bald wiederkommt.“

Info Das Spendenkonto für Baris Ates läuft auf den Namen Heike Hänsel, Betreff: Baris Ates, IBAN: DE31 6406 1854 0052 8450 36

Wie beim Schriftsteller Dogan Akhanli

Der Fall Baris Ates erinnert an den des türkischstämmigen Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli. Er war im vergangenen August auf einer Urlaubsreise in Granada festgenommen worden – ebenfalls aufgrund einer sogenannten „Red Notice“ bei der internationalen Polizeiorganisation Interpol. Auch Akhanli kam nach einem Tag wieder frei, durfte Spanien aber nicht verlassen. Zwei Monate später, am 19. Oktober, konnte der Erdogan-Kritiker mit deutschem Pass nach Deutschland zurückkehren. Die spanische Regierung hatte den Auslieferungsantrag der türkischen Behörden abgelehnt. Der Fall war in Deutschland zum Politikum geworden. Nicht nur Außen- und Innenministerium wurden aktiv. Auch die Bundeskanzlerin setzte sich für die Heimkehr des deutschen Staatsbürgers ein.

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Erstellt:
21.07.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 21.07.2018, 01:00 Uhr

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