Wirtschaft

Der Fluch steigender Preise

Die Inflation erreicht Rekordwerte. Betroffen sind Waren von Holz bis Computerchips, die weltweit knapp sind. Die Teuerung könnte eine gefährliche Spirale lostreten.

13.10.2021

Von DIETER KELLER

Auch beim Tanken spüren die Verbraucher, dass die Preise immer mehr steigen. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Auch beim Tanken spüren die Verbraucher, dass die Preise immer mehr steigen. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Berlin. Preisschock – dieses Stichwort taucht derzeit immer häufiger in den Schlagzeilen auf. Erdgas, Öl und Strom werden rasant teurer. Viele Vorprodukte von Holz bis Chips sind weltweit knapp, was die Preise steigen lässt. Auch für manche Lebensmittel muss deutlich mehr hingeblättert werden. Am Mittwoch dürfte das Statistische Bundesamt seine Schätzung bestätigen, dass die Inflation im September erstmals seit fast drei Jahrzehnten die Vier-Prozent-Marke übersprungen hat; seine erste Prognose lautete 4,1 Prozent. Schon halten Konjunkturexperten im November eine Fünf vor dem Komma für möglich. Das könnte eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale lostreten und die Europäische Zentralbank (EZB) unter Druck setzen, ihre Niedrigzinspolitik zu beenden.

Wer sind die großen Preistreiber? Da gibt es einige. Zum einen den Staat: Jetzt wirkt sich negativ aus, dass die Mehrwertsteuer im zweiten Halbjahr gesenkt wurde, was Waren damals günstiger machte. Bei Energiepreisen kommt die CO2-Abgabe hinzu, die Anfang des Jahres eingeführt wurde. Aber die meisten Preissteigerungen sind auf die internationalen Märkte zurückzuführen. Preise für Rohstoffe und Mikrochips explodieren, weil nach den Corona-bedingten Einbrüchen die Nachfrage weltweit kräftig steigt, die Produzenten aber nicht so viel liefern können. Dazu kommen eher harmlos klingende Dinge wie Hafenschließungen und Containermangel, die den Nachschub aus Fernost bremsen.

Für Erdgas ist der Großhandelspreis seit Januar um mehr als das Vierfache gestiegen. Rohöl ist um mehr als 80 Prozent teurer als vor einem Jahr. Daher kostete Superbenzin schon im August 26 Prozent mehr an den Tankstellen als im Vorjahr. Leichtes Heizöl war sogar 57 Prozent teurer – auch wegen der CO2-Abgabe.

Auch für Lebensmittel muss deutlich mehr ausgegeben werden, im September 4,9 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Schon im August registrierten die Statistiker insbesondere für Gemüse kräftig steigende Preise. Das fällt den Verbrauchern besonders stark ins Auge, weil sie es täglich im Supermarkt erleben. Dabei werden manche Dinge kaum teurer. Bei den Wohnungsmieten registrierten die Statistiker nur einen Anstieg von 1,4 Prozent. Zwar gibt es große Preissprünge bei Neuvermietungen, aber langjährige Mieter zahlen oft nicht mehr.

Wie geht es weiter? Im November könnte die Inflation in Deutschland im Jahresvergleich auf fünf Prozent steigen, halten die Volkswirte der Commerzbank und der Bundesbank für möglich. Im Jahresdurchschnitt dürfte sie allerdings niedriger liegen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet in seiner am Dienstag veröffentlichten neuen Prognose für dieses Jahr mit 2,9 Prozent Inflation und im nächsten mit 1,5 Prozent. Allerdings droht die weltweite Materialknappheit von Baumaterialien über chemische Produkte bis zu Mikrochips bis weit ins Jahr 2022 anzuhalten.

Droht jetzt eine Lohn-Preis-Spirale? Die große Gefahr ist, dass Preise und Löhne einander hochsteigern. Das deutet die Lohnrunde für den öffentlichen Dienst der Bundesländer an, die gerade begonnen hat. Die Gewerkschaften Verdi und Beamtenbund ärgern sich schon, nur fünf Prozent Lohnerhöhung gefordert zu haben. Denn der tatsächliche Abschluss liegt üblicherweise deutlich darunter. Angesichts von aktuell mehr als vier Prozent Inflation droht das Ziel Reallohnsicherung verfehlt zu werden. Ähnliches war zu hören, als sich die Lokführer unlängst mit der Bahn auf eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent ab Dezember einigten. Zum Glück stehen demnächst keine großen Tarifrunden in der Privatwirtschaft an. Dann würden die Unternehmen wohl versuchen, steigende Lohnkosten an die Kunden weiterzugeben. Angesichts des Fachkräftemangels müssen sich die Betriebe ohnehin auf steigende Löhne einstellen.

Wie reagiert die EZB? Eigentlich müsste sie ihre Politik der negativen Zinsen beenden, deren Ziel 2 Prozent Inflation sind. Im September lag sie in der Eurozone im Schnitt bei 3,4 Prozent. Am höchsten war sie in Estland mit 6,4 Prozent, am niedrigsten auf Malta mit 0,7 Prozent.

Im Jahresdurchschnitt rechnet die EZB für den Euroraum mit 2,2 Prozent. Allerdings geht sie davon aus, dass sich die Lage 2022 beruhigt: Da prognostiziert sie 1,7 Prozent Inflation. Das sieht der IWF genauso. Daher gibt sich die EZB-Präsidentin Christine Lagarde demonstrativ gelassen. „Einige Einflussfaktoren dürften bald wieder verschwinden, etwa die preistreibenden Effekte, die sich aus gestörten Lieferketten ergeben oder aus der Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland“, sagte sie dem „Spiegel“. Eine „voreilige Straffung der Geldpolitik“ gefährde die Genesung der Wirtschaft im Euroraum und koste Arbeitsplätze, warnte sie.

Allerdings denken bereits mehrere Notenbankchefs von Euro-Ländern über eine Abkehr von der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank nach. Schon gibt es Spekulationen am europäischen Geldmarkt, die Zinsen könnten Ende des kommenden Jahres steigen.

Das wäre ein Segen für die Sparer – und ein Graus nicht nur für Unternehmen, die Kredite brauchen, sondern auch für die Finanzminister insbesondere der Länder, die besonders viele Staatskredite brauchen, angefangen bei Griechenland und Italien.

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Erstellt:
13.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 24sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2021, 06:00 Uhr

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