Oscars

Vielfalt, Toleranz, Liebe – und Chaos

Die Gala geht durch eine peinliche Panne in die Geschichte ein. Am Ende eines Abend mit vielen politischen Botschaften wird „Moonlight“ zum besten Film gekürt.

28.02.2017

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Emma Stone („La La Land“). Foto: afp

Emma Stone („La La Land“). Foto: afp

Los Angeles. Bewundernswert souverän und würdevoll war es, wie Filmproduzent Jordan Horowitz in diesem entsetzlichen, für ihn schockierenden Moment reagierte. „Sorry, Leute“, sagte er, als er und die anderen Macher von „La La Land“ sich bereits für den Oscar in der Königskategorie bedankt hatten. „Es liegt ein Fehler vor. Das ist kein Witz. ,Moonlight' hat als bester Film gewonnen. Kein Witz, kommt hoch.“ Sprach's und übergab die goldene Statue, den größten Preis der Filmwelt, einfach so an das „Moonlight“-Team.

Das Finale der Gala am Sonntagabend war die größte Panne in der Historie der Oscar-Verleihungen. Die peinliche Verwechslung zweier Umschläge und die einhergehende Konfusion ließ in den Hintergrund treten, dass die Filmschaffenden im Dolby Theatre von Los Angeles und Millionen an den TV-Geräten weltweit gerade Zeugen einer Sensation wurden. Nicht das famose, für 14 Oscars nominierte Musical „La La Land“ hatte die Auszeichnung als bester Film gewonnen, sondern das bewegende, für gerade mal fünf Millionen Dollar gedrehte Drama „Moonlight“.

Offenbar hatte sich die Mehrheit der Oscar-Juroren noch auf den letzten Metern einen Ruck gegeben: Wo in den USA derzeit politisch gravierende, ängstigende Umwälzungen vonstatten gehen, sollte man vielleicht kein Musical als gewichtigstes Werk auszeichnen, sondern einen sozialkritischen Film, der von Rassismus und Gewalt, von harter gesellschaftlicher Realität erzählt.

„Moonlight“ ist die Geschichte des schwarzen Jungen Chiron, der mit seiner drogensüchtigen Mutter unter prekären Verhältnissen in Miami lebt. Er ist ein eher schüchterner Einzelgänger, der in Juan, dem Drogendealer des Viertels, eine Art Vaterersatz findet. Der Film begleitet Chirons Heranwachsen episodisch und zeigt, wie er später selbst als Drogenhändler sein Geld verdient. Zudem schildert Regisseur Barry Jenkins, wie Chiron merkt, dass er schwul ist und wie er schließlich für seinen Schulfreund Kevin Gefühle entwickelt.

Sechs Oscars für „La La Land“

„Moonlight“ erhielt zwei weitere Oscars: für das beste adaptierte Drehbuch und für Mahershala Ali als besten Nebendarsteller, der Juan verkörpert. Eine große Stunde für einen großen, kleinen Film.

Dennoch gewann „La La Land“ an dem Abend reichlich Oscars, insgesamt sechs Stück. Der 32-jährige Damien Chazelle wurde als jüngster Regisseur überhaupt ausgezeichnet, außerdem gab es Oscars für Emma Stone als Hauptdarstellerin, für Kamera, Musik, Song und Ausstattung.

Doch wollte die Academy „La La Land“ eben nicht komplett abräumen lassen, sondern auch durch die Oscar-Vergabe ausdrücken, was als Motto über der Show zu stehen schien: ein Zeichen setzen für Vielfalt. So gab es zum Beispiel zwei Oscars für das Drama „Manchester by the Sea“ (darunter für Hauptdarsteller Casey Affleck), zwei für Mel Gibsons religiöses Kriegsepos „Hacksaw Ridge“, jeweils einen für die hochgelobten Filme „Arrival“ und „Fences“.

Viele Preisträger sprachen in ihren Dankesworten denn auch von Vielfalt, von Mitgefühl, Achtung, Liebe. Selbst die Macher von „Zootopia“, als bester Animationsfilm geehrt, wiesen auf ihre Botschaft hin: Toleranz ist wichtiger als Angst. Und die ausgezeichnete Nebendarstellerin Viola Davis betonte mit tränenerstickter Stimme, wie wichtig es sei, die Geschichten normaler Menschen zu erzählen.

Eine Oscar-Nacht voller politischer Fingerzeige? Das hatte auch Konsequenzen für die ursprünglich favorisierte deutsche Hoffnung „Toni Erdmann“ von Maren Ade. Sie ging leer aus. Als bester nicht-englischsprachiger Film wurde „The Salesman“ aus dem Iran ausgezeichnet. Regisseur Asghar Farhadi war aufgrund des Muslim-Banns von US-Präsident Trump aus Protest nicht nach Hollywood gereist.

An seiner Stelle verlas die US-iranische Unternehmerin Anousheh Ansari eine Erklärung Farhadis. Abwesend sei er „aus Respekt vor den Einwohnern meines Landes und den sechs anderen Ländern, denen durch den unmenschlichen Einreisestopp in die USA Verachtung entgegengebracht wird“. Wer die Welt in Kategorien von „Wir“ und „unsere Feinde“ einteile, schüre Angst, ließ der jetzt zweifache Oscar- Preisträger Farhadi wissen.

Muslimische Sieger, afroamerikanische Preisträger – Rassismusvorwürfe an die Oscar-Academy dürfe es in diesem Jahr der Vielfalt kaum geben. „Ich will auch Präsident Trump danken“, witzelte Moderator Jimmy Kimmel, „denn erinnert ihr euch noch an letztes Jahr, als alle meinten, die Oscars seien rassistisch?“ In Anspielung auf die Streifen „Hidden Figures“ und „La La Land“ meinte er: „Was für ein großartiges Jahr für Filme: Schwarze Menschen retteten die Nasa, und weiße Menschen retteten den Jazz. Das nennt man wohl Fortschritt.“

Deftige Seitenhiebe gegen Trump hatte Kimmel reichlich auf Lager, schließlich werde „diese Übertragung von Millionen Amerikanern geschaut und in mehr als 225 Ländern – die uns nun alle hassen“. Kimmel zog über Trumps Angriffe auf kritische Medien her, indem er die „New York Times“ und andere Medienvertreter ironisch aufforderte, den Saal zu verlassen: „Wir tolerieren keine Fake News. Wir lieben falsche Sonnenbräune, aber keine falschen Nachrichten.“

Dass der Abend fast mit einer falschen Nachricht und einer richtig peinlichen Panne enden würde, wusste er da zum Glück noch nicht.

Casey Affleck („Manchester by the Sea“). Foto: afp

Casey Affleck („Manchester by the Sea“). Foto: afp

Viola Davis („Fences“). Foto: afp

Viola Davis („Fences“). Foto: afp

Mahershala Ali („Moonlight“). Foto: afp

Mahershala Ali („Moonlight“). Foto: afp

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Erstellt:
28.02.2017, 07:42 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 28.02.2017, 07:42 Uhr

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