Arbeiterbildung

Hilfe für Dauerarbeitslose

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut informiert sich beim Reutlinger Verein über dessen Beratung und Angebote.

15.08.2017

Von Thomas de Marco

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (rechts) bei der Arbeiterbildung in Reutlingen. Links neben ihr Erika Holstein, Geschäftsführerin des Jobcenters, sowie Carola Rau, die Vorsitzende des Trägervereins.Bild: Haas

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (rechts) bei der Arbeiterbildung in Reutlingen. Links neben ihr Erika Holstein, Geschäftsführerin des Jobcenters, sowie Carola Rau, die Vorsitzende des Trägervereins.Bild: Haas

In das Programm „Neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ investiert Baden-Württemberg 19,2 Millionen Euro bis 2020 und unterstützt dabei auch 12 Arbeitslosenzentren. Gestern hat sich Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) umgesehen, was mit diesem Geld gemacht wird – und dabei auch den Arbeiterbildungsverein in Reutlingen besucht.

„Es geht um Arbeitslosigkeit und Existenzsicherung“, sagte Erika Holstein, die Geschäftsführerin des Jobcenters im Landkreis Reutlingen – und es klang wie ein Ordnungsruf. Denn zuvor hatten sich Reutlingens Baubürgermeisterin Ulrike Hotz und die Wirtschaftsministerin erschöpfend über fehlenden Wohnraum und staatliches Gegenlenken ausgetauscht. Ob denn bei der niedrigsten Arbeitslosenquote seit langem ein solcher Arbeiterbildungsverein überhaupt nötig sei, fragte Holstein – rhetorisch, versteht sich: „Wir brauchen das dringend, denn es geht um Menschen, die durch Schicksalsschläge oder falsche Entscheidungen aus der Bahn geworfen wurden.“

Sehr viele Hilfesuchende seien gesundheitlich angeschlagen, vor allem psychisch, erklärte Andreas Hauser, neben Anja Schneck als einziger festangestellt beim Verein. „Diese Leute hängen zwischen allen Stühlen und sind quasi erwerbsunfähig, obwohl sie so nicht in der Statistik auftauchen.“ Ihnen wird in der Lederstraße nicht nur mit Rat bei Formularen oder in Rechtsangelegenheiten geholfen, sondern auch mit Angeboten wie den Kochtreffs (siehe Kasten unten) und Frühstücken eine Struktur für den Tag geboten.

„Sie geben eine Hilfestellung, die wir nicht anbieten können und dürfen“, lobte Holstein die Arbeiterbildung. Denn dem Jobcenter sei es gar nicht erlaubt, Formulare mit den Betroffenen auszufüllen. 20 Prozent ihrer Klientel im Jobcenter seien mittlerweile Flüchtlinge, das sei der zweithöchste Wert in Baden-Württemberg. 49 Prozent der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung seien Ausländer, rechnet Holstein vor.

Das deckt sich mit den Erfahrungen der Arbeiterbildung: 50 Prozent ihrer Klientel habe einen Migrationshintergrund, sagte Hauser. Auch wenn der Verein die Hilfe von Dolmetschern hat, „kostet das trotzdem sehr viel Zeit, die Anträge auszufüllen“.

Das Land habe die Langzeitarbeitslosen sehr wohl im Blick, betonte die Ministerin. Die Quote sei in Baden-Württemberg um 8 Prozent gesunken, im Kreis Reutlingen sogar um 11 Prozent. „Das ist ein toller Erfolg!“, erklärte Holstein vom Jobcenter. Wieso die Zahl der Langzeitarbeitslosen aber in Zeiten boomender Konjunktur nicht noch stärker zurückgehe, versuchte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Donth zu begründen: „Es handelt sich um Menschen, die eine Vielzahl von negativen Faktoren mitbringen und es sehr schwer haben, eine Stelle zu finden. Deshalb sind 11 Prozent Rückgang sehr viel.“

Jeder, den die Arbeiterhilfe in Arbeit bringe, sei ein Erfolg, sagte Horst Mielis, der ehrenamtlich beim Schreiben von Bewerbungen und bei der Arbeitssuche hilft. Er hat auch die Kochtreffs eingeführt, bei denen gezeigt wird, wie Essen günstig selbst zubereitet werden kann. „Sie sind herzlich zum Mittagessen eingeladen“, sagte er zur Ministerin.

„Wir würden uns Kontinuität wünschen“, betonte Carola Rau, die den Verein seit 2014 leitet. „Deshalb wäre es schön, wenn die Landeszuschüsse in eine Dauerfinanzierung übergehen könnten.“ Denn das Ziel, so weiterzuarbeiten wie bisher mit dem Verein, sei nur mit Geld zu erreichen. „Da müssen wir noch Sponsoren suchen“, so Rau.

Hilfe im Behörden-Dschungel und stabilisierende Projekte für den Alltag

Die Arbeiterbildung ist 1981 gegründet worden, der Verein hat heute 50 Mitglieder. Seit 12 Jahren wird er vom Land gefördert, mit 50 000 Euro jährlich werden die Personalkosten für eine 70- und eine 40-Prozent-Stelle abgedeckt. Von der Stadt Reutlingen wird die Arbeiterbildung pro Jahr mit 6000 Euro unterstützt. Schwerpunkte der Arbeit, die auch von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern getragen wird, sind vor allem Beratungen zum Sozialgesetzbuch II (Grundsicherung für Arbeitssuchende). Zudem wird Hilfe bei Bewerbungsschreiben und in Rechtsfragen sowie beim Ausfüllen von Formularen angeboten. Auch Gänge zum Jobcenter werden begleitet. Zudem gibt es lebensstabilisierende Projekte wie Kochtreffs, wo gemeinsam günstige Gerichte zubereitet werden. Die Zutaten kommen teilweise aus eigenem Anbau, dem Urban-Gardening-Projekt, im Park hinterm Finanzamt. Etwa 30 Ratsuchende kommen pro Woche zur Arbeiterbildung in die Lederstraße 86, die an vier Tagen geöffnet hat. Das Angebot ist niederschwellig, Termine müssen nicht vereinbart werden. In der Regel werden ein Drittel Erstkontakte und zwei Drittel Folgekontakte registriert. Im Dezember 2015 ist der Verein aus der alten Häuserzeile in der Oberamteistraße in die Lederstraße umgezogen, wo er nun viel mehr Platz für seine Arbeit hat.

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Erstellt:
15.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 15.08.2017, 01:00 Uhr

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