Mehr als a bissel was

Die unvollendeten Memoiren des Helmut Dietl

Helmut Dietl starb viel zu früh – auch zu früh, um seine Memoiren zu vollenden. Doch seine Erinnerungen an die Jugendzeit lesen sich wunderbar.

08.09.2016

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Auf nach Frankreich und ins Erwachsenenleben: Helmut Dietl als 16-Jähriger. Foto: Fotos: Privat/Kiepenheuer & Witsch

Auf nach Frankreich und ins Erwachsenenleben: Helmut Dietl als 16-Jähriger. Foto: Fotos: Privat/Kiepenheuer & Witsch

München. An der so genannten Wirklichkeit war er nie besonders interessiert. Und die Gegenwart erschien ihm nur „als eine sich täglich neu zusammensetzende Mischung aus viel Vergangenheit und wenig Zukunft – und nur als solche des Nachdenkens und der künstlerischen Gestaltung wert“. Helmut Dietls beste Serien und Filme spiegeln diese Sichtweise wider, und seine unvollendeten Memoiren „A bissel was geht immer“ tun es nun ebenso. Auch zeigen sie seine Haltung, dass ihm „alles Künstlerische privat und alles Private künstlerisch“ war. Daher stimmt es gewiss, wenn Tamara Dietl, seine vierte Ehefrau, im Vorwort schreibt, dieses Buch sei „sein letzter Film“.

Helmut Dietl war nach der 2012 übel gefloppten, böse verrissenen Berlin-Satire „Zettl“ in eine schwere Depression gefallen. Er würde nie wieder einen Film machen können, sagte er – und begann mit seinen Memoiren, überwand so seine Schreibblockade. Bis zum 8. Oktober 2013, als er seine Krebsdiagnose bekam. 250 Seiten hatte er da geschafft, war aber – im Manuskript – noch nicht das erste Mal verheiratet.

Er schrieb dann nach der Chemo noch ein paar Seiten darüber, wie er sich mit Patrick Süskind „Kir Royal“ ausdachte. „Über die Zeit dazwischen werde ich später schreiben“, sagte er. Dazu kam es nicht mehr, er starb am 30. März 2015 im Alter von 70 Jahren. Und so fehlt mit dem „dazwischen“ all das, was die meisten mit seinem Namen verbinden.

Ja, was hätte er noch alles zu erzählen gehabt! Wie er 1974 mit den „Münchner Geschichten“ im Vorabendprogramm des BR anfing, wie er 1979 mit „Der ganz normale Wahnsinn“ den Durchbruch feierte, dann vier Jahre in Los Angeles sein Glück versuchte. Wie er mit „Monaco Franze“ (1983) und „Kir Royal“ (1986) einsame Höhepunkte der deutschen TV-Geschichte lieferte. Wie er 1992 mit „Schtonk!“ grandios den Sprung ins Kino vollzog und mit „Rossini“ (1997) nachlegte. Wie er schließlich mit weiteren Filmen nicht mehr ganz anknüpfen konnte an die Hits, und wie er endlich für „Zettl“ von der Kritik geradezu hingerichtet wurde. Auch sein Privatleben hätte reichlich Stoff für süffige Erinnerungen hergegeben: seine vier Ehen, darunter mit Barbara Valentin, und andere Liebschaften, etwa mit Veronica Ferres.

Aber es sollte nicht sein. Doch das Weinglas ist trotzdem halb voll. Oder das Champagnerglas? Auf jeden Fall bieten diese „unvollendeten Memoiren“ viel mehr als nur „a bissel was“: die lebendige Schilderung einer Kindheit und Jugend im München der Nachkriegszeit und eine traurige Familiengeschichte; feine Milieuzeichnungen und Charakterbilder; und vor allem eine Liebeserklärung an die Frauen. Der Leser meint da auch schon zu erkennen, wie sich in einem suchenden jungen Mann dieser schillernde Charakter Helmut Dietl formte, der später kreativ, genialisch, auch narzisstisch, neurotisch zur vollen Entfaltung kommen sollte.

Der Leser erlebt mit, wie Helmut Dietl, 1944 geboren, „am Ende der Welt“, meist „auf der Gassn“ im Münchner Umland und dabei oft bei seinen äußerst unterschiedlichen Großmüttern aufwuchs, den trinksüchtigen Vater verachtend, die Mutter abgöttisch liebend – die Eltern ließen sich scheiden, als Helmut in die Oberschule ging.

Das Buch ist voller hübscher Anekdoten, etwa wie Dietl als Siebenjähriger zum Filmpartner O.W. Fischers wird. Wie er sich schon früh als brotloser Lyriker versucht, um Mädchen zu gewinnen, wie er sich bald ins Schwabinger Nachtleben wirft, wie er die Bundeswehr und eine Liebesreise an die Cote d’Azur voller Dramen und Eifersucht übersteht.

Promis wie Prinz Johannes von Thurn und Taxis oder Walter Sedlmayr kreuzen seinen Weg, und die bayerische TV-Berühmtheit Elfie Pertramer besorgt ihm einen ersten Job beim Fernsehen. Eher nicht aus Nettigkeit, sondern weil sie eine Affäre haben – nachdem er was mit ihrer Tochter hatte. Köstlich, liebevoll und doch auch ironisch schildert er seine frühen Amouren: mit Elke und Louise, mit Eier-Lili, Dorle und Elfie.

Zeitlebens ging es Helmut Dietl darum, die Wahrheit hinter der Wirklichkeit zu erzählen. So auch hier. „Mit seinen Komödien und Satiren die Wahrheiten der menschlichen Seele zu entlarven, ihre Schwächen, ihre Stärken, ihre Sehnsüchte, Ängste und auch ihren Selbstbetrug – diese Kunst war sein Leben, und darin war er genial“, schreibt Tamara Dietl. Oft meint man auf diesen Seiten, seine Filmfiguren sprechen zu hören – ja, abgelauscht hat er sich vieles, genau hingeschaut hat er auch.

Unvermittelt bricht die Erzählung ab, 1967, Dietl ist erst Anfang 20. Und was ist mit all dem, was fehlt? Mit Dietls Erinnerungen an „Monaco Franze“, „Kir Royal“ und „Schtonk!“? „Für das, was ich nicht mehr geschafft habe, können die Leute ja meine Serien und Filme schauen“, sagte er melancholisch lächelnd Wochen vor seinem Tod. „In meinem Werk steckt die ganze Wahrheit über mich. Das bin ja sowieso alles ich.“

Helmut Dietl hat die Memoiren nicht vollenden können. Foto: Privat/Kiepenheuer & Witsch

Helmut Dietl hat die Memoiren nicht vollenden können. Foto: Privat/Kiepenheuer & Witsch

Zum Artikel

Erstellt:
08.09.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 28sec
zuletzt aktualisiert: 08.09.2016, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.
Aus diesem Ressort

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!