Handwerkskammer

Ärger wegen Beitragsrabatten

Mitgliedsfirmen hatten in den 1990er-Jahren auf intransparente Weise Vergünstigungen erhalten.

20.07.2017

Von Jürgen Herdin

Die Zahlen waren schnell verlesen: Den Handwerkern im Bezirk geht es besser denn je, die Auftragsbücher sind voll, die Betriebe zu zwei Dritteln mehr als zufrieden. Und es gab mit 2100 Ausbildungsverträgen eine Steigerung um 2 Prozent. Allerdings wird die heutige Führung der Handwerkskammer Reutlingen von der Vergangenheit eingeholt.

Als „überaus kritisch berechnet“ bezeichnet Präsident Harald Herrmann Beitragsbescheide für rund 360 Betriebe in der Zeit zwischen 1990 und 2001. Die rund 13 600 Mitglieds-Unternehmen im Kammerbezirk müssen allesamt Pflichtbeiträge für ihre Mitgliedschaft bezahlen. „Zwangsmitgliedschaft“ nennen das die Kritiker dieser gesetzlichen Regelung. Berechnet werden diese jährlichen Zahlungen zum Beispiel anhand der Betriebsgröße.

Doch es gab Unternehmen, die von der Handwerkskammer in besagtem Zeitraum recht ordentliche Rabatte bekamen. Und das alles wurde ganz offensichtlich „individuell“ mit der damaligen Spitze und den zuständigen Mitarbeitern besprochen – und verhandelt.

Das wurde ruchbar, „jetzt gibt es natürlich Rabatz“, fasst Herrmann diese Praxis zusammen. Zumal diese reduzierten Beiträge, in einem Fall waren es statt rund 1000 Euro nur 170 Euro, dann bis zum Jahr 2099 festgeschrieben wurden. „Ein Unding“, findet auch Hauptgeschäftsführer Joachim Eisert. Beide waren damals noch nicht im Amt, müssen nun aber ausputzen.

„Ihr müsst die Firmen alle gleichbehandeln“, habe ihnen das zuständige Wirtschaftsministerium des Landes ins Stammbuch geschrieben. Zumal viele der großzügigen „Rabatte“ in Form einer „Beitragsprivilegierung“ offensichtlich recht intransparent zustande gekommen waren. Was die betroffenen Betriebe freilich nicht störte.

Zwar kann es Beitragsvergünstigungen für Mitgliedsbetriebe sehr wohl geben, nur quasi frei verhandelbar nach Lust und Laune sind die nicht. „Nach Gesprächen mit dem Ministerium mussten wir das Geld rückwirkend wieder hereinholen“, so Herrmann. „Nachtragsveranschlagung“ nennt sich dieser Vorgang, der für böses Blut sorgt. Rund 200 Fälle sind noch anhängig. „Wir werden jetzt in engem Schulterschluss dafür sorgen, dass bald alles finanziell wieder in Ordnung gebracht wird“, versprach Joachim Eisert gestern im Pressegespräch.

„Auch mir ist da eine umfassende Transparenz wichtig“, beteuert Kammer-Präsident Herrmann. „Wir werden checken, welche Privilegien korrekt waren – und welche nicht.“ Damit gingen beide in die Hauptversammlung am Nachmittag, auf der sich ein Firmenchef bitterböse und schriftlich im Plenum beklagte. Er will keinen Cent nachzahlen.

Gute Perspektiven

Sechs von siebenHandwerksgruppen im Kammerbezirk äußern sich noch positiver als im Vorjahr. 80 Prozent der Firmen im Bauhauptgewerbe sprechen von „guten Perspektiven“. Vermittelt wurden 2100 Azubi-Verträge, 340 wurden in der Lehrstellenbörse speziell für Flüchtlinge ausgeschrieben. Weiterhin jedoch herrsche Fachkräftemangel und in vielen Bereichen fehlen geeignete Lehrstellen-Bewerber. 1776 freie Lehrstellen sind derzeit noch zu haben, allein für dieses Jahr ab September sind es noch 820.

Zum Artikel

Erstellt:
20.07.2017, 20:29 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 20sec
zuletzt aktualisiert: 20.07.2017, 20:29 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!