Rechtsextremismus in Rottenburg

„Wir kriegen Dich!“: Drohungen gegen Flüchtlingshelfer

Mitglieder der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ agitieren seit etwa einem Jahr in Rottenburg. Jetzt sind auch anonyme Drohungen aufgetaucht.

21.02.2017

Von Ulrich Eisele

Propaganda der neonazistischen Kleinstpartei Der III. WegPrivatbild

Propaganda der neonazistischen Kleinstpartei Der III. WegPrivatbild

Wir kriegen dich! Mit diesem Spruch auf einem Zigarettenautomaten haben Unbekannte einen Rottenburger Flüchtlingshelfer namentlich bedroht. Seine Freundin beschimpften sie mit einer weiteren Aufschrift als „Linke Schlampe“. Die beiden ehemaligen Forsthochschulstudenten haben den Vorfall bei der Polizei angezeigt.

Vermutlich stammen die Drohungen von Aktivisten des „III. Wegs“, die im Raum Rottenburg in den vergangenen zwölf Monaten besonders aktiv waren.. Gehäuft tauchten Aufkleber der neonazistischen Kleinstpartei mit fremdenfeindlichen und rassistischen Inhalten an Laternenmasten und Verteilerkästen in der Innenstadt auf. Vor allem rund ums Eugen-Bolz-Gymnasium wurden sie geklebt, aber auch an einem Laternenpfosten vor dem Rathaus hing lange ein Emblem des „III. Wegs“.

Selbst auf einem Abflussrohr an der Polizeiwache klebte lange ein „I love NS“-Aufkleber der Druckerei18 (die Ziffern „1“ und „8“ stehen für die Anfangsbuchstaben „A“ und „H“). „In Intervallen von wenigen Monaten ist die ganze Innenstadt, jeder Laternenpfahl und jedes Abflussrohr mit Nazipropaganda beklebt“, schrieb uns eine Leserin, die regelmäßig alle Aufkleber entfernt, die sie findet. „Wie kann es denn sein, dass sich die Stadt und die Polizei dermaßen auf der Nase herzumtanzen lassen?“, fragt sie. Auch die Gegend um die katholische Schule St. Klara sei immer wieder mit mädchenspezifischer Nazipropaganda beklebt – unter anderem mit dem Sticker „Nationalismus ist Mädchensache/NPD“.

„Die Sachen sind bei uns angezeigt worden“, bestätigt Polizeisprecher Christian Wörner. Man habe die Ermittlungen an die Abteilung „politisch motivierte Kriminalität“ in Tübingen abgegeben. „Die sind schon seit längerem mit der Rottenburger Szene beschäftigt“, sagt Wörner. Einen konkreten Tatverdacht gebe es bislang noch nicht, doch fange die Polizei mit den Ermittlungen „nicht bei Null an“, wie Wörner sagt. „Wir stellen uns die Frage: Wer kommt überhaupt in Betracht?“ Als Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten stufe die Polizei Rottenburg jedoch nicht ein, so der Pressesprecher.

Wenn die Taten überwiegend dem „III. Weg“ zuzuordnen sind – und dafür sprechen sowohl die Aufkleber wie auch die Flugblätter, die immer wieder in Rottenburger Briefkästen gefunden werden –, handelt es sich vermutlich um eine kleine, nicht ortsansässige Gruppe. Nach Angaben des Verfassungsschutzes, der die neonazistische Kleinstpartei seit 2014 beobachtet, gab es in Baden-Württemberg Anfang 2016 „eine untere zweistellige Zahl“ von Parteimitgliedern, die in zwei „Stützpunkten“ organisiert sind. An der Gründung des „Stützpunkts Württemberg“ im Oktober 2015 im Schwarzwald seien rund „50 Mitglieder und Freunde“ beteiligt gewesen.

Erstmals öffentlich in Rottenburg

In Rottenburg traten Aktivisten des „III. Wegs“ erst ein Mal öffentlich in Erscheinung. Im Juli 2016 bauten sechs von ihnen auf dem Marktplatz einen Infostand auf. Angeblich kamen sie aus Rottenburg, Münsingen, Esslingen, Ebersbach/Fils und dem Kreis Freudenstadt. Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher ließ am Rathaus Anti-Rassismus-Plakate aufhängen und diskutierte mit ihnen. Eine Woche später demonstrierten an selber Stelle rund 250 Menschen „gegen Rechts“. Anscheinend könne der „III. Weg“ in Rottenburg unbehelligt agieren, meinte einer der Redner.

Der schon oben erwähnte, namentlich bedrohte Forsthochschulabsolvent meint, dass die Bedrohung aus seinem Umfeld kommen müsse, möglicherweise sogar von einem Mitstudenten. Anders könne er sich nicht erklären, wie die anonymen Schmierer an seine (vormalige) Adresse gekommen seien. Rektor Bastian Kaiser sagte dem TAGBLATT auf Anfrage, Aktivitäten des „III. Wegs“ oder anderer neonazistischer Gruppierungen seien an der Rottenburger Hochschule bisher nicht aufgefallen. „Wir achten da sehr darauf“, sagte Kaiser, der vor Jahren schon einmal einen Studenten hatte, der bei der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ aktiv war. Der sei aber inzwischen weg.

Deutlich offensiver tritt die Vereinigung nach Berichten der „Neckar Chronik“ im Raum Horb/Freudenstadt auf. Aufkleber mit fremdenfeindlichen Sprüchen verunzieren dort seit Monaten Laternenmasten, Geländer und Dachrinnen. Meist werden die Verantwortlichen nicht gefunden, doch vor zwei Wochen wurden vier junge Männer dabei ertappt, wie sie im Umkreis des jüdischen Betsaals in Horb Laternenmasten mit fremdenfeindlichen Aufklebern der Partei „Der III. Weg“ beklebten. Von zwei Männern hat die Polizei Personalien aufgenommen, die anderen beiden flüchteten. Die Stadtverwaltung stellte Strafanzeige wegen Sachbeschädigung.

Ein Auge auf Sympathisanten

Der Staatsschutz habe ein Auge auf die „bekannten Sympathisanten“, schreibt die „Neckar Chronik“, und auch das „Bündnis gegen Rechtsextremismus“ im Kreis Freudenstadt beobachte die Aktivitäten. Nach Angaben der Polizei kamen die festgenommenen zwei Personen „aus Nachbarkreisen“.

Aufsehen erregte auch eine Geld- und Futterspende ans Horber Tierheim, die – wie sich später herausstellte – im Namen der verfassungsfeindlichen Kleinstpartei gemacht wurde. Nach Recherchen der „Neckar Chronik“ war der Spender mit hoher Wahrscheinlichkeit ein in der Region bekannter Neonazi aus einem Eutinger Teilort, der früher als rechtsextremer Liedermacher „Resistentia“ auf NPD-Veranstaltungen in der gesamten Bundesrepublik auftrat. Der ehemalige Rechtsrock-Musiker arbeite seit Anfang vergangenen Jahres regelmäßig mit Mitgliedern des „III. Wegs“ zusammen, berichtet die „Neckar Chronik“. Auch beim Infostand auf dem Rottenburger Marktplatz soll er dabei gewesen sein.

Tarnorganisation des verbotenen Freien Netzes Süd

Laut Verfassungsschutzbericht ist „Der III. Weg eine sehr junge rechtsextremistische Kleinpartei, ihr rechtsextremistischer bis neonazistischer Charakter ist eindeutig nachweisbar“. Bundesweit verfüge sie über verhältnismäßig wenige Mitglieder (2015: zirka 300). Ihre punktuell vorhandenen Parteistrukturen habe sie im Lauf des Jahres ausbauen können. Hatte „Der III. Weg“ 2014 noch neun regionale „Stützpunkte“, so waren es Ende 2015 schon 16, zu Zeit sind es 20. „Der III. Weg“ wurde am 28. September 2013 unter maßgeblicher Beteiligung ehemaliger NPD-Funktionäre und Aktivisten des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS) gegründet und gilt als Versuch, das FNS unter dem Schutz des Parteienprivilegs weiterzuführen.

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Erstellt:
21.02.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 47sec
zuletzt aktualisiert: 21.02.2017, 01:00 Uhr

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