Wenn die Wanne spuckt, bin ich fein raus

Versicherungsfall Vulkanausbruch

Langsam bahnt sich die zähe Lava einen Weg den Nordring hinunter. Pauline-Krone-Heim und Sportinstitut sind längst unter flüssigem Gestein begraben.

14.08.2017

Von Lorenzo Zimmer

Wo es nicht orangerot brodelt und blubbert, bedeckt eine zentimeterdicke Ascheschicht das, was von Tübingens Stadtleben übriggeblieben ist. Wo einst der Neckar floss, liegt eine pechschwarze Zunge aus hart gewordenem Gestein.

Klingt gruselig. Und ziemlich unglaubwürdig. „Wo soll die Lava herkommen? Hier gibt es keine Vulkane“, sagen Sie jetzt. Nun – technisch gesehen gibt es überall auf der Erde vulkanische Aktivität, man muss nur tief genug buddeln. Das dachte sich meine Versicherung wohl auch, denn als wir unser Haus versicherten, riet man uns ausdrücklich zum optionalen Elementarbaustein. Jetzt, Jahre nach Abschluss des Vertrags, habe ich den Versicherungsschein studiert. Neben Wasser- und Hagelschäden listet die Firma dort auch: Schäden durch Vulkanausbruch.

Was man nicht alles versichern kann! Pianisten versichern ihre Hände – mich würde es wundern, wenn Paris Saint Germain seinem 222-Millionen-Euro-Neuzugang Neymar nicht auch die Haxen versichert hätte. Amerikanische Erotikmodels versichern ihren Busen – aber Tübinger Häuser gegen Vulkanausbruch ? Is’n Ding!

Man stelle sich vor, Tübingen würde – wie zuvor das seinerzeit ähnlich florierende Pompeji am Fuße des Vesuvs von Asche und Magma überschüttet. Am Golf von Neapel gossen Archäologen Jahrhunderte später die hinterlassenen Hohlräume mit Gips aus. Fliehende Aristokraten und an Straßenecken kauernde Sklavenfamilien hatten sie ausgefüllt, ihre Körper waren dann verwest. Die Abdrücke wurden für Forscher zu Anhaltspunkten für die damalige Lebensweise. Sogar der Faltenwurf ihrer Tuniken ließ sich rekonstruieren und kann an den Grabungsstätten von Pompeji und Herculaneum bewundert werden.

Im verschütteten Tübingen gäbe es hingegen viele Hohlräume, in denen ein Fahrradfahrer samt Gefährt feststeckt. Würde Tübingen wirklich so überrascht wie Pompeji, würden die Abdrücke sicher Tübinger Flair vermitteln.

Im Saal des Rathauses würden die Stadträte sitzen, bei der Debatte vom einstürzenden Dach gestört, anschließend von erhärtender Asche konserviert. Einen ganzen Stocherkahn könnte man aus dem Bett des Neckars heben, die Fahrgäste noch das Vierteleglas in der Hand. Wenn der Vulkan montags ausgebrochen ist, könnte man auch die Hohlräume von einigen Demonstranten samt Schildern auf dem ehemaligen Holzmarkt freilegen – die Trillerpfeife zwischen den Lippen, den Protest ins Gesicht geschrieben.

Im dann uralten Botanischen Garten ließe sich ein Dealer ausgießen, den Arm in ein Erdloch versenkt, ein Plastiktütchen staubgewordenes Purple Haze in der Hand. Ein paar Meter weiter fänden sich die Überreste zweier Studierender, mit Stofftaschen voller zerfallener Lehrbücher.

Zugegeben, das Ganze ist eine eher makabre Szenerie. Und reine Fiktion. In dem Fall ist es eben gut, dass Versicherungen ihr Geld damit verdienen, dass die versicherten Schadensfälle am besten nie eintreten. Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass Tübingen von einem Vulkanausbruch verschont bleibt. Obwohl… ich wäre ja gut versichert!

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Erstellt:
14.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 23sec
zuletzt aktualisiert: 14.08.2017, 01:00 Uhr

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