Warten auf die Großfamilie aus Syrien
Vater bemühte sich vergeblich um den Nachzug von Frau und zehn Kindern
Die Flugtickets waren schon zurückgelegt, das Baby noch nicht geboren, alle Papiere besorgt. Doch die indonesische Botschaft in Damaskus verweigerte die Ausreise der Familie Allouch. Vater Moklf Allouch und sein Sohn Wassim aus Syrien warten seit dem 27. April in Tübingen darauf, dass Mutter Ramin und ihre zehn Kinder nachkommen.
Tübingen. Auf dem Handy zeigt der stolze Vater den jüngsten Spross: Ali kam vor genau zehn Tagen in Damaskus mit Kaiserschnitt zur Welt. Der 46-Jährige und sein zwölfjähriger Sohn Wassim können sich nur aus der Ferne mitfreuen. Ihre Freude wird schnell überschattet von den Sorgen: Moklf Allouch hat Sorge, dass seine halbwüchsigen Kinder in Damaskus der Willkür an den militärischen Checkpoints ausgesetzt sind. Dass seine Frau Ramin nicht alleine zurecht kommt mit der Kinderschar. Und dass die Familie in Bombardements gerät – so wie kürzlich ihre ehemaligen Nachbarn.
Als syrischer Kriegsflüchtling mit Aufenthaltsstatus hat Moklf Allouch einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug. Doch die Praxis sieht anders aus. Familie Allouch kommt aus dem Nordosten Syriens – dort , wo der sogenannte Islamische Staat viele Dörfer erobert und auch das Haus der Allouchs beschlagnahmt hat. So zog die Großfamilie im vergangenen Juni in den Libanon. Die schulpflichtigen Kinder mussten mit Vater Moklf auf der Baustelle arbeiten, um das Geld für die Miete zu verdienen. Im Libanon, berichtet der gelernte Zimmermanns-Meister, „muss man für alles bezahlen“. Für den Aufenthalt dort, für die Schule der Kinder.
Von Bekannten lieh sich der Familienvater 4000 Euro und entschied sich zum Aufbruch mit seinem Sohn Wassim nach Deutschland. Für die ganze Familie, sagt er, hätte er niemals das Geld zusammengebracht. Im Libanon erzählte man sich, dass man in Deutschland besonders willkommen und auch die Schulbildung sehr gut sei. So machte sich Allouch auf den Weg. Innerhalb von neun Tagen passierte er sieben Länder. „Wir hatten Glück“, sagt er, „alles war gut vorbereitet, der Schleuser schnell“. Am 11. November kamen die Allouchs in der Erstaufnahme Ellwangen an, seit 10. Dezember wohnen sie Tübingen und teilen sich ein Zimmer. Am 15. Januar bekamen sie bereits ihre Aufenthaltserlaubnis. Damit waren die Voraussetzungen für den Antrag auf Familiennachzug gegeben.
Doch in den deutschen Botschaften in der Türkei, im Libanon oder dem Irak warten Ausreisewillige bis zu 17 Monate, bevor sie überhaupt einen Termin in der Botschaft erhalten. Ein Ausreise-Visum wird nämlich nur dann ausgestellt, wenn die Antragsteller persönlich bei der Botschaft vorstellig werden. Um einen Termin zu ergattern, „ist Korruption an der Tagesordnung. Das Visum für Frauen ist besonders teuer auf dem Schwarzmarkt“, berichtet Allouchs Tübinger Pate Markus Zelinka.
Waldorfschul-Eltern
sammelten 14 000 Euro
Zelinka – sein Sohn geht mit Wassim in die Klasse – hatte gemeinsam mit anderen Eltern der Waldorfschule, die Wassim besucht, innerhalb weniger Tage ein zinsloses Darlehen von 14 000 Euro zusammenbekommen – für die Kosten des Familiennachzugs. Doch da Ramin Allouch hochschwanger war, hatten Familie wie Behörden ein enges Zeitfenster. Und: Allouchs wollten über Indonesien nach Deutschland kommen. Dort, so Zelinka, „kommt man schnell und einfach an ein Visum“, und bei der deutschen Botschaft in Jakarta bekomme man innerhalb eines Monats einen Termin. Moklf Allouch buchte ihn online.
Aber seine Familie musste die Ausreise für Indonesien in Damaskus beantragen. Die Botschaft dort wollte gegen Cash immer wieder neue Papiere, zuletzt eine Bescheinigung vom Frauenarzt, dass Ramin Allouch trotz fortgeschrittener Schwangerschaft fliegen darf. Als alle Papiere vorlagen, verweigerte die indonesische Botschaft in Damaskus die Ausreise nach Jakarta – „ohne Begründung“, berichtet Zelinka.
Er hat „nächtelang“ versucht, das Auswärtige Amt oder das Generalkonsulat zu erreichen. Vergebens. Auch das Tübinger Landratsamt bemühte sich, berichtet Allouch. Die zuständige Sachbearbeiterin habe sogar von ihrem Urlaub aus angerufen und nachgefragt, ob alles klappt. „In Einzelfällen wurde mit der jeweiligen Botschaft Kontakt aufgenommen oder ein unterstützendes Schreiben von der Ausländerbehörde verfasst“, bestätigt Sprecher Gabriel Wehle vom Landratsamt. Doch „aktiv“ können man das Familiennachzugsverfahren nicht steuern.
Für Markus Zelinka liegt das Problem des Familiennachzugs „im System“. Ohne persönlichen Termin bei der deutschen Botschaft ließe sich das Visums-Verfahren deutlich vereinfachen. Und jetzt? Die deutsche Botschaft in Jakarta hat noch im Mai einen Ersatztermin für Familie Allouch angeboten. Moklf Allouch sagt: „Wenn meine Familie in Tübingen ankommt, mache ich ein großes Fest.“Übersetzer: Sirwan Ali