Chaos vor den Spielen
Nach IOC-Entscheid herrscht Unklarheit unter russischen Sportlern
Nach dem IOC-Entscheid haben Internationale Verbände Dutzende russischer Olympia-Kandidaten gesperrt. Es herrschen chaotische Zustände.
Schwarze Fliege, weiße Hose, dunkelblauer Blazer mit weiß gerandeten Kragen und Doppeltaschen, die neu gestylte Uniform der russischen Olympia-Athleten wurde im russischen Internet als „Witz des Tages“ begrüßt. „Sind das Kellner oder Hotelportiers?“, höhnte der Blogger Rustem Adagamow.
Gestern starteten auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo die ersten 70 Olympia-Sportler nach Rio, aber es ist unklar, wie viele ihnen folgen werden. Nach den 67 schon zuvor gesperrten Leichtathleten, wurden in den vergangenen Tagen wieder Dutzende russischer Athleten disqualifiziert, andere warten noch auf eine Entscheidung. Und zum Schaden durch den Skandal um das russische Staatsdoping gesellt sich der Spott über das an sowjetische Filmkomödien erinnernde Paradekostüm der Russen.
Am Sonntag hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) entschieden, Russland nicht komplett für Rio zu sperren, wie es die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) gefordert hatte, sondern die internationalen Fachverbände bestimmen zu lassen. Seitdem haben diese laut der Zeitung Sport Express 22 Ruderer, sieben Schwimmer, fünf Kanuten, vier Radrennfahrer, zwei Gewichtheber, je einen Ringer, Segler, Volleyballer und Modernen Fünfkämpfer ausgeschlossen. „Olympische Neuigkeiten sind wie Frontberichte“, schreibt die Fachzeitung Sowetski Sport. „Die russische Mannschaft erleidet täglich neue Verluste.“ Laut NOK-Chef Alexander Schukow bestätigten die Verbände bis gestern morgen das Startrecht für etwa 270 Sportler.
Unklar blieb das Schicksal der Boxer, Golfer, der Handballer, der übrigen Radfahrer und vor allem Gewichtheber. Am Mittwochabend waren positive Dopingproben vier russischer Schwerathleten bei den Spielen in London 2012 bekannt geworden. Der internationale Gewichtheber-Verband will keine Mannschaften aus Ländern zulassen, die bei den vergangenen zwei Olympiaden mehr als drei Dopingsünder am Start hatten.
Die verhaltene Freude nach dem milden IOC-Spruch vom vergangenen Sonntag hat sich in Zittern verwandelt. Und in Zorn und Ratlosigkeit angesichts der unklaren Kriterien, nachdem viele Sportler ihr Startrecht verlieren.
Der Volleyballer Alexander Markin wurde ausgeschlossen, weil Anfang Februar in seinem Blut das seit Neujahr verbotene Herzmittel Meldonium nachgewiesen worden war, aber in einer so geringen Restdosis, dass der internationale Volleyballverband eine vorläufige Sperre gegen Markin rasch wieder aufhob. Jetzt aber wird Markin die IOC-Forderung zum Verhängnis, dass kein russischer Athlet mit Doping-Vergangenheit in Rio starten darf. „Ich würde gern den Leuten ins Auge sehen, die ohne sichere Informationen so weitreichende Schlüsse ziehen“, räsoniert sein Mannschaftskapitän Sergei Tetjuchin. „Erklären Sie Jungs wie Markin, warum sie nicht zu Olympia dürfen, dafür aber US-Sprinter, die schon wiederholt wegen Dopings disqualifiziert worden sind“, sagt Alexei Lebedew, Sportchef der Zeitung Moskowski Komsomoljez. „Das riecht natürlich nach Doppelmoral.“
Auch Sportler, die eine Sperre erhielten, weil sie in den nicht öffentlichen Passagen des sogenannten McLaren-Bericht über das russische Staatsdoping erwähnt wurden, rätseln darüber, was ihnen zur Last gelegt wird. Schwimmstar Julia Jefimowa will vor dem Internationalen Gerichtshof Cas in Lausanne gegen ihre Disqualifikation klagen. Andere Athleten aber fürchten, die Wada und die Verbände könnten noch während der Spiele mit neuen Dopingenthüllungen und Disqualifikationen überraschen.
Wladimir Putin sprach am Mittwoch im Kreml vor zugelassenen wie gesperrten Olympioniken von einer zielgerichteten Kampagne gegen die russischen Athleten. „Das ist ein Versuch, jene Regeln auf den Sport anzuwenden, die leider in der Weltpolitik üblich sind.“
Putin kündigte dabei an, die neu gegründete Antidoping-Kommission werde „maximal eng“ mit den zuständigen internationalen Behörden kooperieren. Ihr Vorsitzender, der 81-jährige Vitali Smirnow, der schon vor 40 Jahren für die Sowjetunion im IOC saß, erklärte gestern allerdings: „In Russland gibt es kein, gab es nie, und wird es nie ein staatliches Programm zur Unterstützung des Dopings geben.“ Offenbar hat der IOC-Beschluss kein Umdenken bei den Verantwortlichen bewirkt.