Tübingen
Musste schlucken
Um Flüchtlingspolitik und die Sorgen der Bevölkerung ging es in einem Leserbrief von Heike Bartz-Schmidt am 18. Mai.
Sehr geehrte Frau Bartz-Schmidt,
Sie schreiben in Ihrem Leserbrief den Satz: „Verfolgte Menschen sind willkommen, der soziokulturelle Hintergrund der Gesellschaften, aus denen diese Flüchtlinge stammen, ist es nicht.“ Da musste ich schlucken.
Was ist das bloß für eine Kulturbegriff? Als ob es den einen soziokulturellen Hintergrund gäbe, der am Besten mit der Rettungsweste an der Garderobe abgegeben werden sollte. Als ob nicht gerade eine gesunde soziokulturelle Verankerung plus die Erfahrung einer grundsätzlichen Wertschätzung davon zu einem Reflexionsprozess führen könnte, der hilft, mit Brüchen und Ungleichzeitigkeiten in einer Flüchtlingsbiographie und somit in der von Ihnen beschworenen „liberalen und toleranten Gesellschaft“ klarzukommen.
Aber wahrscheinlich denken Sie nicht an den familiären Zusammenhalt unter Geflüchteten, an die Solidarität aufgrund gemeinsamer Herkunft, Sprache, Religion, die genau da wichtiger wird, wo die unseres „liberalen Landes“ nicht zu spüren ist. Wahrscheinlich denken Sie auch nicht an das Sesambrot, das Ihnen beim Salam auf Nachfrage serviert wird, an die Berlinalefilme iranischer Regisseure, an die unendlich schöne Wüstenmusik aus Mali, an Rafik Schamis Geschichten aus Damaskus. Nein, denn es ist die Burka, die wir nicht sind, die schlimme, schlimme Burka.
Apropos: Neulich dachte ich, zum ersten Mal im Leben in Tübingen einer vollverschleierten Frau ansichtig zu werden. Sie drehte sich um – und entpuppte sich als Nonne.