Übrigens

Lieber geschoben als verhoben

Als Neuling an der Uni kommt einem vieles fremd vor. Das war schon vor mehr als 30 Jahren so, als ich zum ersten Mal den Hegelbau betrat. Wie gut, dass ich schon im Foyer über einen Infostand des Fachschaftsrats Geschichte stolperte: Freundliche Menschen, die mir Wesentliches erklärten.

30.05.2016

Von Uschi Hahn

Der Nachmittag war ziemlich lustig. Ich erfuhr viel über das Rätesystem, lernte, dass man Klausuren und Scheine auf keinen Fall wichtiger als die politische Basisgruppenarbeit nehmen soll, und bekam auch gleich noch mit, dass Doppelkopf mindestens so essentiell fürs Geschichtsstudium ist wie die Lektüre von Marx und Engels.

Jetzt wusste ich also alles, was man so als Uni-Anfänger wissen muss. Dachte ich. Das änderte sich schnell, als ich auf dem Parkplatz gegenüber mein Auto suchte. Ein lindgrüner R4. Eigentlich nicht zu übersehen. Aber da, wo ich ihn am späten Vormittag geparkt hatte, stand er nicht mehr. Sollte man mir etwa meinen fahrbaren Untersatz geklaut haben? Mein erstes Auto, das mich und zwei Freundinnen die Wochen zuvor durch Italien kutschiert hatte?

Ich fand ihn dann doch wieder. Ganz hinten unter der Hecke. Dort hatte ich ihn bestimmt nicht abgestellt. Als ich erleichtert einsteigen wollte, wunderte ich mich nicht nur über die halb offen stehende Scheibe der Fahrertür. Ich fand auch einen Zettel, der unter den Scheibenwischer geklemmt war.

Da musste jemand ziemlich wütend gewesen sein. Jedenfalls las sich das Dahingekritzelte so. Ob ich noch ganz dicht sei, stand da, ob ich noch nie was von gelöster Handbremse gehört hätte und weshalb ich, verdammt, denn den Gang dringelassen hätte. Ich verstand nur Bahnhof, setzte mich in den grünen Frosch und fuhr heim.

Am nächsten Vormittag dann das Aha-Erlebnis. Wieder stellte ich den Wagen in der schon ziemlich zugeparkten Mittelgasse ab. Beim Aussteigen lief ein Typ auf mich zu und herrschte mich an: „Na, haste die Handbremse lose und den Gang draußen oder soll ich mir wieder einen abheben?“ „Äh?“

Es dauerte keine fünf Minuten, bis ich das Prinzip des Schiebeparkplatzes begriffen hatte. Ich musste nur zuschauen, wie die nächsten Parkplatzsucher die schon abgestellten Karossen, Stoßstange an Stoßstange, vor- und zurückschubsten, um neue Lücken zu schaffen. Problemlos klappte auch das Rangieren von Hand, wenn jemand sein Auto aus einem der seitlichen Parkplätze herausfahren wollte. Ein super System eigentlich.

Es war mir arg, dass tags zuvor mein grüner R4 gut gebremst im Weg stand. Noch peinlicher war mir, als der Typ, der mich beim Aussteigen gestellt hatte, berichtete, wie er, gemeinsam mit drei anderen Studenten, meine grüne Klapperkiste eigenhändig weggehievt hatte, um mit seinem eigenen Auto freizukommen. Der arme Kerl hatte sich dabei fast verhoben. Einer der nächsten, dem der R4 den Heimweg versperrte, hatte dann offenbar die Scheibe runtergedrückt und die Tür geöffnet, um die Handbremse zu lösen und den Ganghebel zu ziehen.

Schade eigentlich, dass das Prinzip Schiebeparkplatz in der Wilhelmstraße bald der Vergangenheit angehören soll. Man konnte da als Erstsemester echt was fürs Leben lernen. Blöd nur, dass die von der Fachschaft mir das nicht gleich erklärt hatten. Manchmal sind angehende Historiker halt doch ein bisschen lebensfremd.

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Erstellt:
30.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 29sec
zuletzt aktualisiert: 30.05.2016, 01:00 Uhr

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