Wir waren unterhaltsam und bösartig

Klaus Eberhartinger, Sänger der EAV, über Falco, Kenia, die Kirche und die tagesaktuelle Politik

Die Erste Allgemeine Verunsicherung hatte ihre erfolgreichste Zeit in den 1980er-Jahren – ein Hit jagte den nächsten. Die Texte schienen klamaukig, waren jedoch immer böse Gesellschafts-Satiren. Vor dem EAV-Auftritt bei Rock of Ages am Sonntag, 31. Juli in Seebronn gab Frontmann und Sänger Klaus Eberhartinger dem SCHWÄBISCHEN TAGBLATT ein Telefon-Interview.

21.07.2016

Klaus Eberhartinger macht gerne tagesaktuelle Ansagen: „Man sollte den Blickwinkel auf die Gesellschaft nicht verlieren.“ Agenturbild

Klaus Eberhartinger macht gerne tagesaktuelle Ansagen: „Man sollte den Blickwinkel auf die Gesellschaft nicht verlieren.“ Agenturbild

Herr Eberhartinger, wo kommt denn die Lust der EAV am Verkleiden her? Aus der katholischen Prägung, die man als Österreicher erfährt?

Am Anfang der Band waren’s die Show-Geschichten. Der Nino (Holm) und der Thomas (Spitzer, die beiden Bandgründer, d. Red.) kannten sich von der Kunstakademie. Die standen beide auf Comics. Der Thomas zeichnet bis heute und der Nino ist ein bis Japan anerkannter Künstler. Der hat damals diese crazy Requisiten gemacht. Mir war es irgendwann zu aufwändig, ständig in andere Gewänder zu schlüpfen. Das mache ich nur noch bei „Banküberfall“ und „Märchenprinz“ – ansonsten trag’ ich die Grundmontur.

Sie sind aber auch eine klassische Rampensau, mit ihren Grimassen und weil Sie ständig in Bewegung sind. Wie steht‘s mit der Kondition?

Das fällt mir immer noch relativ leicht.

Stichwort „Märchenprinz“. Ihre Stücke sind ja alles kleine Geschichten und Charakter-Darstellungen. Wo kriegen Sie die her?

Der „Märchenprinz“ ist eine Nonsens-Geschichte, entstanden aus Beobachtung und Überzeichnung. Das andere Element sind politische Kommentare. (Lässt sich einige Minuten lang über die politische Situation in Österreich aus, speziell über die Flüchtlingspolitik.)

Sehen Sie es als Pflicht des Künstlers, sich politisch einzumischen?

Wenn einer sagt, er hat mit Politik nichts am Hut, dem sag’ ich, dann bist’ halt einfach ein Trottel. Man sollte den Blickwinkel auf die Gesellschaft einfach nicht verlieren. Bei unserem Sommerprogramm spielen wir ein „Best of“ – da ist leider zu wenig Zeit für entsprechende Kommentare. Mir macht’s mehr Spaß, wenn ich Ansagen zu tagesaktuellen Meldungen machen kann. Bei einem Festival kann man das leider nicht.

Der katholischen Kirche haben Sie immer gerne einen mitgegeben. Ich erinnere mich an das Video von „Heiße Nächte in Palermo“ ...

... da tanzt die Mafia mit dem Vatikan Tango. Das ist seit Jahrhunderten so. Papst Franziskus prüft gerade die Geldwäsche der Vatikanbank – an so einem Thema kann man sich die Hände verbrennen. Das andere Thema ist die Homosexualität in den eigenen Reihen – eine unglaubliche Geschichte. Die Kirche wurde ein Refugium für Männer, ein Paradies für Homosexuelle: Eine gute Ausbildung und lauter junge Burschen. Familiengründungen von Priestern sind verboten, Kindesmissbrauch wird toleriert. Diese Doppelmoral war immer schon Thema, die Kirche war uns nie heilig. Aber ich hab’ mich auch schon mit dem (ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten, in der NS-Zeit Wehrmachtsoffizier, Kurt) Waldheim angelegt und hatte eine Klage von Jörg Haider.

Thomas Spitzer ist gerade im ostafrikanischen Kenia. Sie beide haben je ein zweites Domizil dort.

Ich habe Kenia als erster entdeckt und mir eine Bude eingerichtet, um gerne dort zu sein. Wir machen dort auch Produktionen in einem kleinen Studio.

Wie kamen Sie auf Kenia?

Ganz zufällig. Als Student wollte ich weg. Ich hab’ Ende der 60’er Jahre in Graz Medizin studiert. An der Uni dort gab es den Ring freier Studenten, der war deutsch-national beherrscht. Es gab immer Kämpfe. Ich wollte was von der Welt sehen. Ende der Sechziger wollte alles nach Indien – hau’ Dir Dein Hirn voll mit Drogen und schau’ was passiert. Mich hat der Kontinent Afrika gerufen. Das lag wohl auch am Professor Grzimek. Ich bin seinerzeit fast bis Südafrika gereist und irgendwann in Kenia gelandet. Die Liebe zu diesem Kontinent hat sich nicht mehr verloren. Irgendwann hab’ ich den Spitzer mitgenommen. Den hat‘s auch immer wieder in warme Gefilde gezogen.

Ihre Beziehung zu Thomas Spitzer ist offenbar eine besondere. Stimmt es, dass sie zuerst seine Schwester kannten?

Ich war damals mit der Eva Spitzer zusammen. Der Thomas und ich, wir haben uns sofort mögen. Er war g’scheit. Ich war damals in der Hochschulpolitik, er war beim Bundesheer. Als es die ersten Ansätze einer Band gab – sozusagen die erste Erste Allgemeine Verunsicherung –, hab’ ich ihn animiert, sein erstes Programm zu schreiben.

Sie sind aber erst 1981 eingestiegen, nach dem Selbstmord von Walter Hammerl.

Anfangs war ja der Wilfried, ein damals schon bekannter Popkünstler, Conférencier, später der Walter Hammerl – ein wilder Typ. Ich glaube, er hat sich wegen den Drogen umgebracht. Er wollte in andere Dimensionen tauchen und ist zu weit gegangen.

Wie kamen Sie dann dazu?

Der Thomas tauchte auf: „Wir haben eine Tournee. Mach Du den Conférencier!“ Die Anderen in der Band waren mir gegenüber misstrauisch. Ich hab’ allein mit dem Thomas und dem Nino geprobt. Eigentlich wollte ich damals meine Dissertation vollenden.

Haben Sie das geschafft?

Die ist bis heute unvollendet.

Thema?

„Gewinnaufteilung in Kleingruppen“ – dazu könnte ich heute, mit all den Problemen der Geld-Umverteilung, jede Menge sagen. In Mikrogesellschaften sind die Menschen viel solidarischer, was die Aufteilung betrifft. Naja, Rechtsphilosophie. Es gibt schon trockene Phasen im Studium.

Gegen Ende der 70er- Jahre kamen immer mehr Künstler auf die Deutsch sangen. Das hat auch die Musik aus Österreich beflügelt, oder?

Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch – die waren bekannt bis Hamburg. Dann gab’s Drahdiwaberl ...

... mit einem wie aus dem Ei gepellten Bassisten in einem Haufen Chaoten, mit seinem gegelten Haar und der Pilotenbrille – später als Falco bekannt ...

Das war seine Verkleidung – immer. So hat er sich gesehen. Der Hans Hölzl war ein toller, gescheiter Kerl. Ein toller Lyriker. Er hat das Glück des ganz großen Hits („Der Kommissar“, d. Red.) gehabt. Das hat ihn aber auch belastet.

Hat das Aufblühen der österreichischen Popszene damals auch etwas damit zu tun gehabt, dass es in Mode kam, im Dialekt zu singen? In Deutschland sangen ja beispielsweise Schwoißfuaß auf Schwäbisch und BAP auf Kölsch.

Dialekt kam und ging wieder. Die neue deutsche Welle hat alles weggeblasen. Die ndw hat bei Radiojournalisten Komplexe hervorgerufen: „Sind wir noch modern genug?“

Die Erste Allgemeine Verunsicherung hat diese Phase überstanden und weiter auf deutschsprachige Texte gesetzt.

Wir sind wiedergekommen. Wir waren unterhaltsam und bösartig – wir haben halt überlebt. Die ndw ist für mich Vorläufer vom Techno, das war sehr Deutsch für mich – wie Marschmusik (ahmt nach): Unz unz unz.

Die EAV kann sich auf ein Stammpublikum verlassen ...

Nicht nur: Die jungen sind wieder da. Aber die, die uns seit ihrer Kindheit kennen, haben uns getragen.

Was hat sich verändert?

Thomas tritt kaum noch live auf. Er sagt, damit verscheißt er sich die Zeit. Als Gitarrist vorne zu stehen ist ihm zu wenig. Er schreibt lieber Geschichten. Ich wünsch‘ mir manchmal auch, dass ich ein choreografisches Double hätte.

Wie haben die Fans reagiert? Immerhin war er seit Gründung der Kopf der Band.

Viele Fans haben den Thomas vermisst. Die Entscheidung hat mich auch betroffen. Wie ersetzt man ihn? Jetzt steht und fällt die EAV mit mir. Wir hatten schon eine Verwurzelung miteinander und eine Chemie auf der Bühne. Möglicherweise machen wir im 18er Jahr (2018) nochmal eine neue Platte mit Thomas und eine Abschlusstournee mit dem Programm – das kann man dann vielleicht zwei, drei Jahre spielen (lacht).

Vorher seid Ihr aber, ohne Thomas, mit dem „Best of“-Programm bei Rock of Ages ...

Spielen wir da nicht nachmittags? Das wird ein bisschen hektisch für mich.

Warum?

Ich muss danach schnell weiter, mit dem Ambros Wolferl den Watzmann machen – auf seiner Abschiedstournee. Ich sing’ wieder die Gailtalerin. Ganz in der Nähe von Euch, mit dem Auto eine Stunde weiter. Ich hoff’ die Stimme hält.

Interview: Michael Sturm

Die Versicherung zog ihre Klage zurück

Die Legende will es so: 1977 fuhren vier Mitglieder einer noch unbenannten Band – Eik Breit (Bass), Thomas Spitzer (Gitarre, Komposition und Texte), sowie die beiden gebürtigen Schweden Nino Holm (Keyboard) und Anders Stenmo (Schlagzeug) – mit dem Bus durch Wien. Sie kamen am Hauptsitz der Ersten Allgemeinen Versicherung vorbei und kamen so auf ihren Bandnamen. Die Versicherung leitete zunächst juristische Schritte ein, zog die Klage aber später wieder zurück und trat darüber hinaus ein paar Jahre später als Sponsor einer EAV-Tour auf. 1981 stieß Klaus Eberhartinger als Conférencier und Sänger dazu. Mit der Platte „Geld oder Leben“ und den Titeln „Ba-Ba-Banküberfall“, „Märchenprinz“, „Heiße Nächte in Palermo“ und „Fata Morgana“ kam 1985 der große Durchbruch.

Zum Artikel

Erstellt:
21.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 10sec
zuletzt aktualisiert: 21.07.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!