Jugendliche sind anfälliger

Jugendpsychiater Gottfried Barth über die Gefahren der exzessiven Mediennutzung

Bis zur Erschöpfung am Computer sitzen, das zeichnet nicht nur den Workoholic, sondern vor allem auch den Computersüchtigen aus. Über exzessive Mediennutzung sprechen heute um 19 Uhr im Hörsaal der Psychiatrische Klinik, Calwer Straße 14, der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Gottfried Barth und die Diplompsychologin Isabel-Amor Brandhorst. Wir befragten Barth im Vorfeld zu diesem Problem, das sich zu einer psychischen Erkrankung auswachsen kann.

28.09.2016

Von Ulla Steuernagel

Nicht jeder, der Zeit am Computer verbringt, gerät in Abhängigkeit, aber er kann in einen Sog geraten. Archivbild: Rippmann

Nicht jeder, der Zeit am Computer verbringt, gerät in Abhängigkeit, aber er kann in einen Sog geraten. Archivbild: Rippmann

Alle hängen heute an Smartphone und Computer. Welche Symptome unterscheiden den normalen vom abhängigen User?

Es gibt inzwischen klare Kriterien durch das amerikanische Klassifikationssystem DSM-5 (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen, fünfte Auflage) und. Dazu gehören das Entstehen massiver negativer Folgen und die Unfähigkeit, trotz dieser Folgen das Verhalten zu ändern. Daneben sind es auch noch Symptome wie zum Beispiel alleinige Affektregulation durch elektronische Medien oder Täuschen von Angehörigen über das Ausmaß der Nutzung. Wenn zu Hause der Streit über die Nutzung massiv eskaliert, ist dies ein Hinweis, dass eine Abhängigkeit vorliegen könnte.

Entwickelt man die Sucht eher in jugendlichem Alter?

Es sind sowohl Jugendliche als auch Erwachsene betroffen. Im Jugendalter ist die Affektregulation und die Verhaltenskontrolle noch nicht ausgereift, deshalb ist man anfälliger. Andererseits gibt es Angehörige, die begrenzen können. Die gibt es bei Erwachsenen weniger, was deren Gefährdung vergrößert.

Eltern machen sich Sorgen, dass ihre Kinder zuviel Zeit im Netz verbringen. Gibt es da altersgemäße Richtwerte?

Das ist in ständigem Wandel begriffen, deshalb lässt sich dies kaum in Zahlen fassen. Im Kindergartenalter sehen wir die elektronischen Medien eher kritisch, die Erfahrungen sollten primär anders gemacht werden. In diesem und im Grundschulalter sollten es nur kurze Zeiten zwischen einer halben und maximal einer Stunde sein, beim gemeinsamen Filmschauen auch mal etwas länger.

Im Alter von 10 bis 12 Jahren gehören die Medien zum Alltag. Es ist aber wichtig wie sie genutzt werden: ob daneben noch andere Kommunikation möglich ist, dass keine altersgemäßen Aufgaben und Aktivitäten vernachlässigt werden und die Fähigkeit erhalten ist, jederzeit wenn notwendig, zu unterbrechen oder aufzuhören. Schließlich gehört auch dazu, problemlos einen oder mehrere Tage auf Medien verzichten zu können.

Kann man schon durch exzessive Nutzung in Abhängigkeit geraten, schlummern also die Voraussetzungen dafür in jedem Einzelnen oder gibt es einen besonders anfälligen Suchttyp?

Psychische Belastungen oder psychische Erkrankungen erhöhen das Risiko, abhängig zu werden. Eine Neigung zu Impulsivität ebenfalls. Daneben spielen aber zum Beispiel elterliche Vorbilder und die Peer Group auch eine entscheidende Rolle und schließlich auch, ob man auf anderen Gebieten Erfolgserlebnisse hat oder ob einem nur noch die Medien bleiben.

Welche Empfehlungen geben Sie Nutzern, die noch nicht die Schwelle überschritten haben? Wie könnte eine Medien-Diät aussehen?

Klare zeitliche Beschränkungen mit festen medienfreien Zeiten, auch Einplanen von medienfreien Tagen. Dies wird von nicht-abhängigen Nutzern oft als richtig befreiend erlebt.

Und wie gestaltet sich die Therapie bei abhängigen Usern?

Zum einen ist es wichtig, eine Therapiemotivation aufzubauen. Dazu müssen sich die Jugendlichen ernst genommen fühlen, also nicht von vorneherein verurteilt werden. In der Regel sind dies auch außerhalb der Mediennutzung oft vernünftige und zugängliche Jugendliche. Wenn eingesehen werden kann, dass sie sich unnötige Schwierigkeiten bereiten, kann in schrittweiser Zusammenarbeit eine Änderung angestrebt werden.

Was können die Eltern tun?

Diese können durch eine entspannte, reflektierte, aber auch klare Haltung ebenfalls Änderungen bewirken. Falls alles nichts nützt und zum Beispiel der Schulbesuch beeinträchtigt ist, kann an eine stationäre Behandlung gedacht werden. In extremen Fällen muss dies auch gegen den Willen des Betroffenen bewirkt werden. Was im Jugendalter mit richterlichem Beschluss noch möglich ist.

Gottfried BarthArchivbild

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Erstellt:
28.09.2016, 00:45 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 38sec
zuletzt aktualisiert: 28.09.2016, 00:45 Uhr

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