Essig-Manufaktur

Handwerk mit Genuss

Der Reutlinger Frank Höwner stellt aus Apfelsaft von Streuobstbäumen eigenen Obstessig her. Den verkauft er seit 2008 im Herzen der Reutlinger Altstadt – neben Produkten von anderen Genuss- und Kunsthandwerkern.

22.07.2016

Von Matthias Reichert

Feines aus heimischem Streuobst: Frank Höwner produziert für seine Reutlinger Essig- Manufaktur auch Fruchtbalsam mit geringerem Säuregehalt in fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen als Aperitif oder als Digestif. Bild: Horst Haas

Feines aus heimischem Streuobst: Frank Höwner produziert für seine Reutlinger Essig- Manufaktur auch Fruchtbalsam mit geringerem Säuregehalt in fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen als Aperitif oder als Digestif. Bild: Horst Haas

Saures hat Frank Höwner schon immer geschmeckt. Auch während er auf den Reporter wartet, löffelt der Reutlinger ein Zitro-neneis. Irgendwann hat der gelernte Koch, der später zum Industriekaufmann umschulte, beobachtet, wie der eigene Süßmost im Fass kippte und schließlich zu Essig wurde. Das hat ihn auf die Idee gebracht, eigenen Essig herzustellen. Einige Jahre tat er das als Geschenk für Freunde. 2008 gründete er dann seine Reutlinger Essig-Manufaktur.

Höwner bewirtschaftet 30 Ar eigene Streuobstwiesen am Albtrauf zwischen Eningen und Pfullingen. Dort baut er Äpfel, Birnen, Mirabellen, Pflaumen und Walnüsse an. Manche Wiesen werden von Schafen beweidet. Auf den Bäumen wachsen alte Apfelsorten – etwa Boskoop, Gloster, Gewürzluike, Goldparmäne.

Der 49-Jährige erntet die Äpfel und lässt in regionalen Mostereien Saft daraus machen. Nach der Ernte im Herbst ist bis Ostern Most aus dem Saft entstanden, sechs bis acht Monate dauert es dann, bis Essig daraus wird – „je nachdem, wie kalt der Winter ist“.

Dass im Gewölbekeller Essig aus dem Most wird, „geht im Prinzip von selber“. Höwner holt ein großes Glas, in dem eine durchsichtige, quallenartige Masse schwimmt – die sogenannte „Essig-Mutter“. Der Reutlinger verwendet das „Orléans-Verfahren“, mit dem französische Hersteller schon im 18. Jahrhundert Essig gewonnen haben. Die industrielle Produktion dauere im Vergleich nur 24 Stunden. Höwners Geheimnis sind die Bakterienstämme, die er dem Saft zusetzt: Er impft ihn sozusagen mit Essig-Bakterien.

Der Rohessig wird gesiebt und abgefüllt. Danach steht er noch einmal vier bis fünf Monate, damit sich das Aroma entfaltet. Sein Essig sei im Vergleich zu industriellen Erzeugnissen gesünder und habe das bessere Aroma, wirbt Höwner. Er werde nicht filtriert, enthalte keine Sulfite, Farbstoffe oder künstliche Aromen. Sein Essig sei sogar vegan – industrielle Ware werde hingegen mit Gelatine geklärt. Dennoch ist Höwners Essig nicht bio-zertifiziert. Dafür sei der Verwaltungsaufwand zu hoch: „Die Kosten müsste ich an den Endverbraucher weitergeben.

Obstessig muss fünf Prozent Essigsäure enthalten, das ist vorgeschrieben. So steht es auch auf den Etiketten, die Höwner nach Feierabend selbst druckt. Der Reutlinger aromatisiert den Apfelessig mit Kräutern oder Früchten.

36 Essigsorten hat er insgesamt im Angebot – beispielsweise mit den extrahierten Aromen von Kirschen, Beeren oder sogar Hagebutten. Fünf weitere Fruchbalsam-Sorten mit halb so viel Säure bietet er als Aperitif oder Digestif an. 4000 Kilo Äpfel verarbeitet Höwner im Jahr, hundert Kilo ergeben etwa 70 Liter Essig. Zudem stellt er für Privatleute auch Lohnessig her.

Höwner hat die offizielle Berufsbezeichnung Genusshandwerker. Er verkauft die Essig-Spezialitäten in seiner „Werkstatt Nr. 10“ in der Nürtinger-hofstraße beim Haus der Jugend. Die ist an den Reutlinger Markttagen geöffnet – dienstags, donnerstags und samstags. Darin bietet er Künstlern, Kunst- und Genusshandwerkern Raum, ihre Produkte feilzubieten: Porzellankunst, Keramik, handgeschöpftes Papier, Produkte aus heimischen Hölzern, Marmeladen, Seifen und Salze. Und auch das Schwaben-Ketchup des Reutlingers Stefan Merkel. Insgesamt sind in der Werkstatt die Erzeugnisse von 14 Herstellern erhältlich. Höwner gehört dem Netzwerk „Startnetz“ von Edith Koschwitz an, in dem die Stadt Existenzgründer unterstützt.

Er vertreibt seine Produkte auch online (www.reutlingeressigmanufaktur.de). Und er besucht viele Regionalmärkte. Die Essigherstellung ist nur eines von mehreren Standbeinen des 49-Jährigen. Er veranstaltet auch Degustationen für Privatleute oder Firmengruppen. Nebenbei gibt er Kochkurse bei der Volkshochschule. Mit seiner Frau Birgit Wester, einer Imkerin, hegt er rund 50 Bienenvölker, der Honig ist natürlich ebenfalls in der Nürtingerhofstraße erhältlich. Und für das Landratsamt betreut Höwner als Streuobst-Pädagoge Grundschulklassen im „grünen Klassenzimmer“.

Der 49-Jährige ist auch Fördermitglied im Glemser Obstbaumuseum. „Das Engagement muss man leben“, sagt er. Er beklagt den besorgniserregenden Zustand vieler Streuobstwiesen: Viele Bäume seien kaputt oder in schlechter Verfassung, oft würden sie wenig oder gar nicht gepflegt. Wenn dann noch ein Unwetter kommt wie 2013 der schwere Hagelsturm, seien Ernteausfälle programmiert. „Wir brauchen diese Kulturlandschaft“, erklärt Höwner sein Engagement für die Streuobstwiesen. Und zwar längst nicht nur für die eigene Essigproduktion.

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Erstellt:
22.07.2016, 08:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2016, 08:00 Uhr

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