Übrigens
Der tapfere Kampf von Mutter Schwan
Mitten in Tübingen, unter den Augen von Tausenden von Passanten, spielt sich in diesen Wochen ein Drama ab, wie es selbst im Tierreich nicht alle Tage vorkommt. Es handelt von einer Mutter, die nicht aufgibt, einer hoffnungsvollen starken Mutter, die einem unentrinnbaren Schicksal trotzt, einer Mutter, die alles tun würde für ihre Kinder, wenn sie nur welche hätte.
Wir sprechen von jenem Tübinger Schwanenpaar, das sich im vergangenen Jahr unglücklicherweise entschloss, sein Nest an einer Stelle zu bauen, die eigentlich sehr geeignet ist, zugleich aber auch vollkommen ungeeignet.
„Schwäne“, sagt Margret Erman vom Tübinger Tierschutzverein, „sind sehr, sehr intelligente Tiere.“ Aus Schwanensicht ist es deshalb eine gute Idee, im seichten Wasser vor der Plataneninsel, direkt an der Neckarbrücke, ein Nest zu bauen. Hier ist die Strömung schwach, das Wasser liegt direkt vor der Nest-Tür, und es sind viele Menschen in der Nähe, die den kleinen Küken und ihren Eltern nur zu gern ein Stück Brot reichen würden.
Was die Schwäne trotz ihrer großen Intelligenz nicht wissen können, ist, dass jedes Jahr genau an dieser Stelle eine entscheidende Etappe des Tübinger Stocherkahnrennens stattfindet. Dieses Rennen gibt es seit gefühlt hundert Jahren, es kann nicht verlegt werden. Die Kähne müssen dadurch.
Mit blutendem Herzen haben deshalb schon im vergangenen Jahr Frau Erman und Frau Metzinger vom Tübinger Tierschutzverein die Eier des Paares durch Holzeier ausgetauscht. Unbeirrbar brüteten die Schwäne weiter. Es war rührend anzusehen. In diesem Jahr haben die Tierschützer nun das Nest widerstrebend komplett zerstört. Doch die Schwäne ließen sich nicht beirren. Sie bauten ein neues. Es ist offensichtlich, dass Mutter Schwan Kinder will und sich davon durch nichts abbringen lässt.
In der kommenden Woche werden die Tierschützerinnen das Nest wieder abräumen. „Das tut extrem weh“, sagt Margret Erman. Aber es gibt keine Alternative, die Stelle ist nicht geeignet. Dabei weiß die engagierte Tierschützerin jetzt schon, dass an genau dem gleichen Ort kaum zwei Wochen später das Paar erneut ein Nest bauen wird. Der Platz unter der Neckarbrücke ist ihr Platz. Dort und nirgendwo sonst wollen sie ihre Kinder bekommen. „Auch im nächsten Jahr“, sagt Erman, „werden die Schwäne wieder dort ihr Nest bauen, sie werden es immer wieder tun.“
Es ist eine Tragödie. Man fühlt sich an Sisyphos erinnert, der seinen Stein immer wieder den Berg hochrollte. Alle Mütter der Welt sollten auf diese Schwanenmutter schauen, die alles gibt für ihre Kinder. Sie ist ein Vorbild.
Niemals wird diese tapfere Mutter am Muttertag einen Blumenstrauß oder einen selbstgemalten Gutschein für „zen mahl Tieschdecken“ bekommen. Aber beklagt sie sich darüber?